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August 19, 2012

Ausgewandertes Sprechen: Literaturtage Lana von 20. bis 23. August 2012

Haimo Perkmann

Am kommenden Montag, den 20. August 2012, ist es wieder Zeit für die Literaturtage Lana. Um 20.00 Uhr wird die 27. Edition der ältesten und erfolgreichsten Kulturtage des Landes im Schallerhof in der Vill in Oberlana unter dem Titel „ausgewandertes Sprechen“ im Rahmen einer anspruchsvollen Eröffnungsveranstaltung inauguriert.

Nach einer Einführung des großen Verlegers Egon Ammann in das Werk Georges-Arthur Goldschmidts wird dieser aus seinem neuen Roman Ein Wiederkommen lesen und anschließend eine Autorengespräch mit Ammann über sein neues Werk, im weitesten aber auch über das Motto des diesjährigen Literaturtage führen. Denn so wie „ausgewandertes Sprechen“ in seiner Bedeutungsvielfalt viel facettenreicher ist als die Katalogisierung Exilliteratur, geht es doch auch um den Umgang mit Sprache und Muttersprache, so handelt “Ein Wiederkommen” nicht nur von der Ausweichbewegung eines „Schwarzfahrers des Schicksals“, sondern ist zuigleich Selbsterforschung, im Eigenen wie im Antlitz des Anderen.

Die Literaturtage 2012 bleiben der seit geraumer Zeit verfolgten Linie treu. Sie sind kurz, aber dicht gepackt. Im Mittelpunkt der prominent besetzten Lesungen, Gespräche und Vorträge stehen die Themen “Exil” und “Mehrsprachigkeit” – als Lebenspraxis, Selbstvergewisserung, Denkform und poetologisches Konzept. So werden Erfahrungen von Exil und Emigration verhandelt, die zu außerordentlichem literarischen Schaffen führen können und – über das Erleben von Unterdrückung und Rettung hinaus – zur Entwicklung eines empfindsames Sprachbewusstseins beitragen. Ausgangspunkt der Reflexion zu diesem Thema bildete der 2000 erschienene Essay Die exilierte Sprache von Imre Kertész, worin der spätere Nobelpreisträger sein unerbittliches Nachdenken über das Überleben nach dem Holocaust und über die Bedeutung des Exils für ein Weiterleben der Ausgewanderten oder Vertriebenen bezeugt. Viele Autoren teilen dieses Schicksal der unfreiwilligen Auswanderung in eine andere Realität, einen anderen Kontinent, eine andere Sprache, eine Horizontverschiebung der Bedeutungsgrenzen, und haben in ihrer neuen Realität ebendiese Sprache aufgenommen und zur Sprache ihrer Literatur erkoren bzw. zwischen den beiden Sprachen hin- und her changieren gelernt wie in einer erratischen Deterritorialisierung der Zeichen. Von Vladimir Nabokov bis Agota Kristov, von Georges-Arthur Goldschmidt bis David Albahari wird die Sprache der Besiegten und Flüchtenden, die Sprache der Kinder und Vertriebenen zur Muttersprache, die jedoch zugleich die Feder beherrscht. So weisen sie alle auf die sprachliche Lücke hin, das kontingente „was wäre wenn“ oder auch „ich bin, was ich verloren habe“, um auch der ursprünglichen Bedeutung des Wortes „privat“ Rechnung zu zollen. So titelt Egon Ammann seine Freundesworte für Goldschmidt denn auch „ich bin, was mir geschieht“.

„Für den, der die Heimat seiner Sprache verlassen hat – so umschreibt es die Einladung der Veranstalter von Literatur Lana – steht auch die Muttersprache in einem nie unangestrengten Verhältnis zur Sprache jenes Landes, das ihm neue Heimat geworden ist. Für manchen bleibt sie wesentliches Zeichen seiner Vertreibung und Herkunft, für manchen ist sie auch die Sprache jener, die Verfolgung und Tod verordneten. Wer aber die Muttersprache mit den Augen einer fremden Sprache betrachtet, erlebt Mehrsprachigkeit als Praxis und Denkform, die einen mehrfachen Blick auf Wirklichkeit ermöglicht.“

PROGRAMM

Montag, 20.08.2012 – Nach der Einführung von Egon Ammann um 20.00 und einer Lesung aus dem autobiografischen Roman „Ein Wiederkommen“ von Georges-Arthur Goldschmidt, sprechen die beiden über das Werk und die Hintergründe, die Flucht eines Kindes aus Nazideutschland, dessen Rettung in Frankreich und einem Deutschlandbesuch nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dienstag, 21.08.2012 – Aus dem er 1933 erstmals erschienenen, bis heute kaum wahrgenommene Roman „Die Gehetzten“ von Michel Matveev über die Massenflucht zur Zeit der russischen Pogrome von 1919, wird der Übersetzer des Werkes, Rudolf v. Bitter, Auszüge vortragen. Danach liest der in Kanada lebende jüdische Serbe David Albahari, dessen wichtigste Werke, ähnlich wie bei den zuvor genannten, erst im kanadischen Exil entstanden sind, wiewohl sein Exil ein freiwilliges war und seine Sprache das Serbische geblieben ist. Albahari gehört vielleicht zu den größten lebenden Autoren. Er liest aus seinem neuen Buch Der Bruder. Darin beschreibt Albahari, wie sich der Balkan verändert hat und doch erschreckend gleich geblieben ist. Eine schmerzhafte Parabel, die an Tommasi di Lampedusas Gattopardo gemahnt, aber auch – so die Broschüre der Bücherwürmer Lana – eine fulminante literarische Identitätssuche voller schwarzem Humor”.

Mittwoch, 22.08.2012 – Der Spur Georges-Arthur Goldschmidts folgen Marco Baschera, Joachim Helfer und Theresia Prammer, die sich am Mittwoch Abend im Schallerhof mit der Mehrsprachigkeit als Lebenspraxis, Denkform und poetologisches Konzept auseinandersetzen – in einem mehrsprachigen Land, in dem die Selbstverständlichkeit eines mehrsprachigen Lebens nicht immer gegeben ist.

Die Verbindung zwischen Migration und Minderheiten
„Dass die Muttersprache auch die Bedeutung der Selbstvergewisserung erhalten kann“, gilt für Migranten ebenso wie für Angehörige von Minderheiten, wiewohl diese Verbindung, diese Trajektorie zwischen Migranten und Minderheiten – vielleicht die einzige Verbindung zwischen denen, die auswandern mussten und denen, die sich an ihre Scholle klammern – politisch-soziale und letzten Endes sprachliche Implikationen birgt, die man gerade in Südtirol auf das Schärfste vermeiden zu müssen meint, da die Minderheitenproblematik sich umso stärker von jeder Form der Migration abzugrenzen versucht, als sie ihr Recht auf territoriale Ursprünglichkeit wahren muss und in einer Art verspätetem Optionstrauma ein Tyroliozentrisches Weltbild mit Bozen als geographischem und politischem Zentrum der Welt vor den kulturellen Einflüssen aller anderen Kulturen dieser Erde zu schützen versucht. Florjan Lipus gehört der slowenischen Minderheit in Kärnten an. Er geht die Sache von einer ganz anderen Seite an und zeigt uns, wie man diese Trajektorie sehr wohl zusammen denken kann. So erzählt er in seinem Roman „Boštjans Flug“ voll „Wehmut und gebrochener Melodik von seiner Kindheit, die unauslöschlich von Verlust geprägt wird, nachdem die Mutter verschleppt und 1943 im KZ Ravensbrück gestorben war, während der Vater in der deutschen Wehrmacht diente.“

Donnerstag, 23.08.2012 – Wie sich Leben und Dichtung in einem verschlüsselten Sprechen überlagern, „zeigt der Fall des 2006 verstorbenen Dichters Oskar Pastior, der als 17jähriger für fünf Jahre in ein ukrainisches Lager verschleppt worden war. 2010 wurde eine Erklärung bekannt, mit der sich Pastior verpflichtete, Informationen an den rumänischen Geheimdienst zu liefern. Mit Ernest Wichner, Autor und Leiter des Literaturhauses Berlin, Oswald Egger (Dichter, Träger des Oskar-Pastior-Preises 2010, und Ulf Stolterfoht, Dichter und Mitglied der Oskar-Pastior-Stiftung, greifen die Literaturtage Lana am Donnerstag, den 23. August, abschließend eine Lektüre Pastiors auf, die es „vor historischen Fakten und moralischen Fragen tunlichst meidet, dass das Werk Pastiors hinter sein Leben trete“.

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