Carolyn Carlson bei Bozen Tanz: ein Interview mit der großen Tänzerin und Choreographin

Sie ist der Ehrengast des Festivals. Die heurige Ausgabe von Bozen Tanz, die dem Dialog zwischen den Generationen gewidmet ist, hat Carolyn Carlson eingeladen, zusammen mit vielen ihrer ehemaligen Schüler und Abenteuergefährten von damals, als sie in den 80er Jahren die neue Richtung des Tanztheaters aus Amerika nach Italien brachte. Michele Abbondanza, Antonella Bertoni, Simona Bucci oder Roberto Castello, die das Publikum in Bozen im Rahmen des Festivals schon gesehen hat oder sehen wird, sind nur einige der Tänzer und Choreographen, die mit Carolyn Carlson damals in Venedig, in der historischen Compagnia Teatro e danza La Fenice oder später in Paris mitgearbeitet haben, und die nun die damalige avantgardistische Innovation des Tanzes, weiterführen und, jeder von ihnen nach der eigenen künstlerischen Sensibilität, deklinieren. Für professionelle Tänzer hält Carlson eine Master Class – man darf nicht vergessen, dass Bolzano danza/Bozen Tanz vor 28 Jahren als Kursfestival geboren wurde und noch immer neben den Vorstellungen vielbesuchte Tanzkurse anbietet – und am Sonntag, 22. Juli wird sie um 18 Uhr in einem von der Kulturjournalistin Francesca Pedroni geführten Gespräch in der Museion Passage das Publikum treffen. Am Montag, den 23. Juli um 21 Uhr wird dann im Stadttheater ihr letztes an der Theorie von Carl Jung inspiriertes Stück Syncronicity von der Tanztruppe CCN Roubaix Nord Pas de Calais aufgeführt.
Carolyn Carlson, welches Thema behandeln Sie in Syncronicity, das als italienische Erstaufführung in Bozen gezeigt wird?
In Syncronicity versuche ich das Thema der Erinnerungen zu verarbeiten. Mich interessiert es, ihre Rolle sowie die Rolle der Zufälligkeit in unserem Leben zu thematisieren. Und ausserdem, wie die Zusammenfälle unsere Existenz beeinflussen. Ich habe mich an der Theorie von Carl Jung inspiriert, aber im Grunde versuche ich auszudrücken, dass es immer etwas gibt, das unbekannt bleibt und das wir nicht kontrollieren können. Keiner kann uns erklären, warum wir uns beispielsweise in jemanden verlieben: Es ist etwas, das uns einfach passiert und das man nicht vorhersehen kann. Also kann ich mein Leben nicht einfach bestimmen, als ob es eine Choreografie wäre – es gibt immer Dinge, die nicht vorhersehbar sind.
Und wie setzen Sie diesen Gedanke in ihrer Arbeit um?
Während der gesamten Vorstellung wird ein Film in Slow Motion vorgeführt und es wird alles sehr verlangsamt. Ich hoffe, dass es mir gelingt, dem Publikum mitzuteilen, dass wir im Leben eine Art Gäste sind und dass die Emotionen sehr wichtig sind.
Sie sind in Kalifornien geboren und aufgewachsen, Sie haben aber auch finnische Vorfahren. Wie viel von Finnland gibt es in ihrem Tanz?
Finnland ist ein sehr mystisches Land. Es gibt Tausende von Seen, den vielen Schnee und die Bäume. Dort lebt man sehr isoliert und kann der Natur noch zuhören, was in den Städten nicht möglich ist. Aber auch Kalifornien mit dem Ozean und seinen weiten Wäldern hat mich in diesem Sinn beeinflusst und geformt. Vielleicht ist dort meine mystische Vision entstanden, die ich auch in dem Tanz umsetze.
Sie haben mit vielen großen Persönlichkeiten des modernen Tanzes wie Maurice Bèjart und Rolf Liebermann an der Opéra von Paris mitgearbeitet, sie haben mit Nurejev getanzt und waren auch schon künstlerischer Leiter für den Tanz an der Biennale von Venedig. Wenn man eine so große Erfolgskarriere wie die Ihre hinter sich hat, was kann man professionell noch erreichen, welches Ziel haben sie noch?
Schauen Sie, meistens sind die großen Persönlichkeiten in Wirklichkeit sehr einfach, sie arbeiten mit ganzem Herzen und ich versuche das weiterzuführen, was ich von ihnen gelernt habe. Ich versuche eben meine Arbeit weiter mit ganzem Herzen zu tun.
In Syncronicity werden neun Tänzer auf der Bühne sein, sie werden aber nicht tanzen?
Nein, in diesem Stück habe ich mich nur um den choreographischen Teil und um das Video gekümmert. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht mehr tanzen werde. Im Frühjahr 2013 werde ich dagegen mein neues Solostück vorstellen. Ich war von einem kleinen Werk von Mark Rothko tief berührt und habe mich von seinem Malerei inspirieren lassen. Es wird ein bisschen wie eine Meditation sein.
Und zurück zum Anfang, wie kamen Sie zum Tanz?
In meiner Jugend, bevor ich mich dem Tanz näherte, war ich an der bildenden Kunst und an Kunst im Allgemeinen interessiert und wusste, dass ich mich irgendwie damit beschäftigen wollte. Dann fand ich in dem Tanz eine Ausdrucksform, die meinem Wesen entspricht. Entscheidend dabei war meine Begegnung mit Alwin Nikolais. Er ist ein wundervoller Lehrer für mich gewesen.