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June 27, 2012

Gesellschafft Form – Designkonzept aus Bozen in Berlin

Franz

Vom 6. bis 10. Juni fand im Berliner Stadtteil Neukölln die Ausstellung Gesellschafft Form statt, die von den beiden freischaffenden Designern und Absolventen der Uni Bozen Jakob Maurer und Paul Voggenreiter erdacht, konzipiert und kuratiert wurde. Obwohl primär Designobjekte, größtenteils Möbel, ausgestellt wurden, standen nicht die gezeigten Dinge, sondern die dahinterstehenden Themen und Konzepte im Vordergrund. Maurer und Voggenreiter wollten Arbeiten zusammenbringen, die sich mit der Frage nach der Form und Ausformung der uns umgebenden Objekte und Themen beschäftigen. Genauer: ob und wie die Gesellschaft geformt wird und wie sie wiederum selbst Formen erschafft.

Die Ausstellung sollte also nicht dazu dienen, “ästhetisch ansehnliche” oder konträr dazu “verstörende” Objekte zu zeigen, die schlussendlich nur verkauft werden sollen, sondern viel mehr eine Beschäftigung mit den uns umgebenden Objekten und Themen zuzulassen. Denn vergessen wir nicht: Hinter jeder Arbeit in der Kunst, im Design, auch in der Mode, hinter jedem Möbel steckt eine Ideologie, eine Art der Wahrnehmung, verstecken sich Themen, ob das dem Designer oder Künstler beim Entwerfen und Ausarbeiten bewusst ist oder nicht, die sich wiederum auf den Nutzer und Betrachter übertragen.

So wurden auf der Ausstellung Möbel gezeigt, die sich mit der Evolution und dem Zufall auseinandersetzen (Möbel Darwin), mit dem Optimierungswahn und wo dieser hinführen kann (Superfurniture). Dieser Stuhl ist kein Gebrauchsgegenstand mehr. Es ist nichts mehr und das aus obwohl es von zehn namhaften Designern gestaltet wurde. Mehr und mehr wurde daran gearbeitet, das Überhinaus, das unsere Zeit permanent fordert wurde hier zu Ende gedacht und gestaltet und übrig bleibt, nicht ein perfekt funktionaler Stuhl, sondern ein Kunstwerk, das verstört und laut auf den Zustand unserer Zeit hinweist.

Ein anderes Objekt beschäftigte sich mit der Legasthenie (Permutations) und was diese für die Wahrnehmung des Betroffenen bedeutet, wenn jedes Wort und damit die gesamte Sprache nicht ein einheitliches Ganzes, ein verständliches Regelwerk darstellt, sondern ständig zerbricht und sich verändert, alles permanent einer Permutation unterworfen ist. Auch die Aufmerksamkeit bzw. die zunehmende Ablenkung vom Wesentlichen, das heißt vom Leben, wurde thematisiert (in der Arbeit Aufgemerkt!). Es ging um die Frage, ob wir überhaupt noch wahrnehmen können, das heißt für wahr halten mit voller Aufmerksamkeit und dann überhaupt erst sehen können. Denn unsere Zeit scheint uns vor allem Ablenkung, ja, verkaufen zu wollen. Ablenkung nicht im Sinne der Zerstreuung von Langeweile, sondern Ablenkung auch von den grundwichtigen Dingen. Auch ist hier zu bemerken, dass erst mit der Langeweile der Wille zur Schöpfung entsteht. Wird also die Langeweile durch Ablenkung verdrängt, stirbt die Möglichkeit zur Schöpfung.

Diese gesellschaftspolitischen, ästhetischen und philosophische Fragestellungen waren zentral und werden in zukünftigen Arbeiten der Aussteller und Kuratoren im Fokus bleiben. Denn was erreicht werden soll, ist ein Denken, das die uns umgebende und uns haltende Welt bedenkt.

Deshalb war der Rahmen der Ausstellung auch breit gefächert. Es war, wie es die Kuratoren selbst nannten, ein großes Spektakel. Neben Konzerten und DJ-Sets, gab es aber auch Vorträge, die zu einem breiteren Verständnis der heutigen Lebenswelten beitragen sollten. Ein Vortrag beschäftigte sich mit der Suche des modernen Menschen und seine Aufgabe das Labyrinth des Daseins zu meistern und die Klippen des Lebens zu überwinden und zwar so, dass immer noch mehr überwunden werden kann und die eigene Kraft nicht aufgebraucht wird. Ein anderer Vortrag beschäftigte sich eingehender mit der Frage nach der Aufmerksamkeit und der Ablenkung. Diese hängen in unserer Zeit stärker zusammen denn je zuvor.

Der Wunsch der Aussteller war es die Besucher mit einzubeziehen, zur Diskussion zu bringen mit sich und den anderen über die behandelten Themen und Formen. „Bei der Ausstellung ging es uns vor allem um die Neugier – und zwar die Neugier, mit der die Aussteller an die jeweiligen Themen herangetreten sind und die Neugier, die die Ausstellungsstücke bei den Besuchern geweckt haben“, sagt Maurer.

Neugier werden sich auch mit ihren zukünftigen Arbeiten erregen, das über die Jahre des Studiums entstandene Kollektiv wird weiterhin auf der Suche bleibe und die Zukunft mitgestalten.

Denn machen wir uns klar: Jedes Objekt, von dem wir umgeben sind, formt unsere Wahrnehmung und damit die Welt.

More info: www.gesellschafftform.de. Ort des Geschehens: www.facebook.com/locht43.

Einige Eindrücke:

Fotos von Rupert Adlmaier

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