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June 15, 2012
He’s in town: Rudolf Stingel gestern zu Gast bei artiparlando in Bozen
Kunigunde Weissenegger
Mehr als ein Künstlergespräch war es ein gemütliches Plaudern unter Freunden vor Hunderten von teils schmachtenden Ohren und Augen. Rudolf Stingel war eingeladen zu artiparlando, Veranstaltung von Uni Bozen und Museion, gestern Abend und ist gekommen (eingeladen wurde er ja schon öfters – kommt er, kommt er nicht, gezittert wurde bis zum Letzten,) hat sich anschauen und angreifen lassen, hat gesprochen, Fragen beantwortet, jedenfalls auf die seiner Gesprächspartner Andreas Hapkemeyer und Gerhard Glüher, hat ihnen auch mit Registerwechsel gedroht, wenn ihm der Ton oder die Frage nicht passte… Manche Fragen waren ihm auch zu intim, sagte er deutlich… Auf die Fragen vom Publikum am Schluss hat er reagiert, vielfach mit Ellbogen-Antworten, manchmal auch geantwortet. Ein Gespräch mit ihm müsste Tage und Nächte dauern, ohne Unterbrechung, an einem Stück, um dann in Serien gezeigt zu werden. Der Saal in der Uni Bozen war zum Platzen voll zu klein. Wenn ein Stingel sich entschließt, New York zu verlassen (dort lebt er und arbeitet auch, mit seinen fünf Mitarbeitern – “allein wär’s ja langweilig”) und Südtirol zu beehren, bräuchte es Industriehallen, nicht Holzstuben. Heiß war’s, die Klimaanlage lief auf Hochtouren. Alle waren sie da, naja, fast. Spitzten die Ohren. Im Publikum auch Josef Zoderer, den er 1986 in New York kennen gelernt hatte, damals als er über den großen See in die Weltstadt an der Ostküste der USA kam. Um zu überleben, hat er damals Vieles gemacht, für andere Künstler gearbeitet und so weiter. Sich durchgeschlagen. “Es hat lange gedauert, bis ich in New York zu einer guten Galerie gekommen bin. In Deutschland oder Italien war das leichter. Die Leute kaufen dir da etwas ab, unterstützen dich dadurch. Das ist in den USA nicht so, dort haben sie Schulden, kein Geld.” Mit einem ersten Bild sei er damals zu einer Galeristin gegangen, die sogleich fragte: “What is your work about?” – Was wollte sie? – Ganz einfach: “It didn’t fly.” Das Bild alleine sei nicht geflogen. Die Galeristin wollte von ihm etwas hören, eine Geschichte. So verkaufe sich das nicht. “Aber warum er ein Bild genau so gemalt habe, denkt ein Künstler NIE! Keiner. Künstler können selbst kein Wort sprechen…” Nächste Frage, nächste Antwort… “Heute mach ich ja gar nix mehr selbst…” Rudolf Stingel witzelt nicht, er spricht, schildert, nüchtern, mit ironischem Unterton (da kennt man sich bei ihm nicht aus), was er erlebt hat. Haha, das Publikum lacht trotzdem, manchmal gar etwas zu krampfhaft. Hängt an seinen Lippen, schmachtend. Versucht ja kein Wort zu versäumen. Saugt auf. (Ich wette, da waren welche mit Aufnahmegeräten dort.)
Hapkemeyer, Stingel, Hapkemeyer, Stingel, Stingel, Glüher, Stingel… so geht das Gespräch hin und her… Hier ein paar Aussagen, die mir, wieso auch immer, in Erinnerung geblieben sind… ”Man hat sich damals so als Krieger verstanden. Als Killer. Die Devise war, wie kann ich die alle fertig machen. – Das ist lustig.” (Wieder Lachen, haben wir alle verstanden, wie er das gemeint hat…?) Und weiter, weiter: “Eine Meinung haben und eine Meinung sagen sind zwei unterschiedliche Sachen. Bei uns hier läuft das etwa so: Wie geht’s? – Mmh, ja, nicht so gut! – Das will der Amerikaner beispielsweise gar nicht wissen. Das ist europäisch. Drüben geht’s so: How are you? Great! Fertig! Und so ist es auch in der Kunst. Man muss nicht immer eine Meinung haben zu einer Arbeit.“ Thema Wettbewerb, Konkurrenz unter Künstlern… “Wenn ich im Wettbewerb war, dann mit den großen Künstlern.” Die sollten weg, das war ein Ziel. Damit sie verstehen, dass ihr Senf ein alter ist… …ob das nun ein Bild sei oder nicht: “Wo das Bild aufhört oder anfängt, ist mir eigentlich egal. – Das ist jedem Künstler egal.” Auf der einen Seite Farben, die zusammenfließen, auf der anderen Ornamente, kein Widerspruch? “Das ist eben so. Klar, wenn ich wollte, könnte ich das natürlich erklären, ich bin ja nicht blöd, etwas würde ich mir schon zusammen reimen. Aber das war auch wieder ein Aufstand – wenn ich das Bild schon über dem Sofa hängen habe, kann ich gleich die Tapete aufhängen…” Wieder Lachen im Publikum. Laut, sehr laut, zu laut.
“…wenn ich eine Ausstellung mache, will ich eine Ausstellung machen, wo man keine Chance hat wegzuschauen. …oder ich hab Ausstellungen gemacht mit nur einem Bild in riesigen Hallen, oder mit drei kleinen Bildern…” Für die Ausstellung im Palazzo Grassi mache er natürlich etwas Neues. “Ich habe mir selbst auferlegt, immer etwas Neues zu machen. Denn du musst das zusammen schweißen, die Treppen, die veschiedenen Ebenen, die du vorfindest… Vielleicht nehme ich auch ein altes Bild her, aber es muss zusammen passen.“ „…im Palazzo Grassi habe ich noch nie eine gute Ausstellung gesehen. Mein Anspruch ist es, den Palazzo Grassi zu knacken.“ Das fühle sich schon gut an, für einen kurzen Moment, aber ansonsten sei er eigentlich todunglücklich das ganze Leben lang. …jede Ausstellung sei eine Art der Kommunikation. Er gehe so an die Ausstellung heran, dass er sich ein gewisses Publikum vorstelle, auch Tote, Künstler, Freunde, die er überzeugen wolle, und mache sie dann für sie.
Intelligente Frage aus dem Publikum: …ob es denn möglich sei, dass es irgendwo in der Mongolei einen Künstler gebe, der super Dinge mache; seine entschiedene Antwort: “Nein, das gibt es nicht. Glauben Sie, dass es irgendwo in Afrika einen Fussballspieler gibt, der top Fussball spielt und den niemand kennt oder entdeckt hat? – Nein! Genauso ist es mit der Kunst! Das System legt fest, ob du erfolgreich bist oder nicht. Das machen die Künstlerkollegen. Die legen das zwei Jahre vorher fest. Wir selbst legen das fest.” Und aus dem Zusammenhang gerissen: “…nein, es gibt ganz wenige gute Künstler in Deutschland, vielleicht zwei oder drei.” Sein Rat, auf die Frage, was man denn als junger Kreativer machen müsse, um sich bemerkbar zu machen: “In Kneipen rum sitzen und sich mit Kollegen betrinken. Bemerkbar machen gehört dazu, man will ja etwas mitteilen.” Das habe aber nichts mit Managereigenschaften zu tun. Und man müsse natürlich Entscheidungen treffen, ständig. Und die richtigen. “Wenn du zur Biennale nach Litauen eingeladen wirst, beispielsweise – ich habe nichts gegen Litauen – da fährst du natürlich nicht hin! Nein! Das macht man nicht! Deshalb habe ich auch nie Ausstellungen in Südtirol gemacht. Und ich bin gerne hier, das möchte ich hier betonen…” Applaus, Applaus. Nachher Diskussionen über seine Selbstreflexion, seine Schlauheit… etwas Autogrammstunde… – Rudolf Stingel, nice to meet you, Franzmagazine. – Ja?! – Handschlag. – …Interview? – Nein, danke. – Weg war er. Wenn ich zum Interview gekommen wär, hätte ich auch dies gefragt… …warum geben Sie keine Interviews… wie ist es, in die Heimat zurückzukehren… vor gerammelt vollem Haus zu sprechen… vor einem Publikum, das an Ihren Lippen hängt… dieser Hype… fällt das leicht… gefällt Ihnen das… warum sind Sie denn gekommen… lehnen Sie Gespräche dieser Art nicht grundsätzlich ab… oder war dies eher ein gemütliches Plaudern unter Freunden, nichts Erörterndes… Sie erzählen gerne, erklären tun Sie weniger gerne… warum sind Sie nach New York… wie macht man das, gegen die großen Künstler kämpfen, sie killen, damit sie verstehen – ich zitiere – “dass genug mit Ihrem Senf ist”… … …hach, mit Ihnen könnte man tageweis reden und würde vielleicht doch nicht schlauer…oder doch…
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