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May 29, 2012

Maxi Obexers gefährlich lachende Hunde

Vissidarte

Mit ihrem Theaterstück Das Geisterschiff begann Maxi Obexer die schriftliche Auseinandersetzung mit dem Los jener Afrikaner, die auf dem Weg nach Europa ihr Leben riskieren.

Der 2011 erschienene Roman Wenn gefährliche Hunde lachen ist der Versuch der Bühnenregisseurin und Autorin, ein Einzelschicksal herauszuarbeiten.Über den Alptraum einer gefährlichen Reise, die grausame Gleichgültigkeit Europas und angestrengte Versuche – inmitten von Chaos und Gefahr – Kraft zum Weitermachen zu bewahren.

Wie wurde ein afrikanisches Flüchtlings-Schicksal zu Ihrem Romanthema?

Maxi Obexer: Die Auseinandersetzung mit afrikanischen Flüchtlingen und wie Europa damit umgeht, geht auf einen längeren Prozess zurück. In meinem Stück Das Geisterschiff geht es um eine Flüchtlings-Katastrophe, die jahrelang verheimlicht wurde. In den Medien wird das Bild von etwas Kollektivem, von einer Masse suggeriert, es ging mir bei „Wenn gefährliche Hunde lachen“ darum,eine einzelne Geschichte darzustellen, auch, um dieser Kollektivierung etwas entgegenzustellen.

Wie schreibt sich eine Geschichte, wenn man Erzählungen und Erfahrungen von Augenzeugen mit einfließen lässt?

Es beginnt damit, dass ich Verantwortung habe, wenn ich darüber schreibe. Ich muss wissen, wo ich mich befinde, ich muss wissen, dass ich keine schwarze Migrantin bin. Es ist eine zweigeteilte Sache: einerseits sind da die Recherchen für Details und Gedanken, Visionen und Enttäuschungen. Andererseits habe ich mich an Motiven orientiert, die auch andere Migranten betreffen, die sich in dieser Zwischenwelt aufhalten, in denen Realität schwer zu fassen ist und in der Not auch gerne beschönigt wird. Wenn es einem beschissen geht bzw. man gar nicht weiß, wie es einem geht, kann man sich die Wahrheit oft kaum leisten, will man die Kraft, durchzuhalten, nicht verlieren. Weg gehenist immer eine Bewährungsprobe für alle, die das tun. Ich gehe im Roman wie mit einer Handkamera ins Detail, maße mir aber nicht an, die Gefühle der Agierenden zu beschreiben. Ich kann Welten ausleuchten, will mir aber nicht anmaßen, Gefühle zu beschreiben, die ich erfinden müsste.

Warum der Titel „Wenn gefährliche Hunde lachen“?

Der Titel ist wie das ganze Konzept des Romans, es ist eine Schilderung dessen, wie diese Reise überlebt wird. Zum Beispiel erzählt Helen nicht die Wahrheit über die Hunde, die ihr während einer der Razzien Angst machen, sondern sie biegt die Wahrheit zurecht und beschreibt, wie selbst in diesen gefährlichen Hunden noch ein Lachen gefunden werden kann, also Schönheit.

Kennen Sie die Gründe, warum die Menschen Europas so gleichgültig den Flüchtlingen gegenüber sind?

Vielleicht ist es so, dass bei Menschen, die einen relativen Wohlstand gewohnt sind, die Fähigkeit, sich in schwierige Situationen hinein zu fühlen, abnimmt. Es fällt ihnen schwer, sich in eine Existenz in Bewegung, die mit Fantasie und Hoffnung überleben will, einzufühlen. Reichtum erscheint wie eine Festung, die mit ihren Mauern beide Seiten einschließt und abgrenzt. Auf vielen Lesungen sind allerdings sehr viele Menschen, die sich unentgeltlich organisieren, um anderen eine Hand zu reichen, die für das Wohl von Flüchtlingen arbeiten. Es gibt viele, die sich auf den Wegmachen, um anderen zu helfen. Die europäische Politik ist hingegen gnadenlos gleichgültig.

Um Unrecht zu erkennen und zu verurteilen, Unrecht, das man selbst nie erfahren hat: Welche Eigenschaften braucht ein Mensch dazu? 

Ich denke, das Unrechtsbewusstsein wird sehr früh entwickelt, jedes Kind kommt damit zur Welt, es ist nur unterschiedlich ausgeprägt. Jedes Kind hat einen Instinkt für Unrecht. Danach liegt es an den Eltern, inwiefern sie in ihrer Erziehung dann auf dieses Empfinden Wert legen oder nicht, diese Wahrnehmungen schärfen oder nicht.

Hatten Sie schon einmal Angst vor einem anderen Menschen?

Als Kind hatte ich Angst vor Menschenfressern und, konkreter, vor Lehrern. Diese Angst, wenn man sich ohnmächtig fühlt, das Zittern vor den Lehrern. Heute kann ich mich an die Erwachsenenangst erinnern, die aufkommt, wenn ich einem Menschen begegne, dem ich einmal sehr nahe war und der große Verletzungen hinterlassen hat. Ich habe auch Angst vor Machtmenschen und Angst vor denjenigen, die manipulieren. Etwas abstrakter ist die Angst vor gesetzlicher Gewalt und vor Menschen in Uniformen.

Wie in vielen anderen Bereichen ist die Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern eine Bereicherung. Wie Karl-Markus Gauß* treffend formulierte: „In England hingegen hat selbst die Literatur, die stolze Hüterin der Nationalität, ihre stärksten Impulse in den letzten Jahrzehnten von den Zuwanderern erhalten. Ebenso ist der segensreiche Einfluss von Nordafrikanern und Westindern auf die französische Literatur der Gegenwart unverkennbar. Ohne Autoren wie… Amin Maalouf oder Adonis… hätte die französische Literatur längst nicht mehr jene Strahlkraft, die ihr immer noch in aller Welt Beachtung sichert“. Kennen Sie Literatur von Zuwanderern in Südtirol?

Bei Donne Nissà, einer Vereinigung aus Bozen, habe ich Schreiberinnen entdeckt.

Beeindruckte Sie Fabrizio Gattis** „Als Illegalerauf dem Weg nach Europa“?

Das Buch erschien gerade, als ich mit dem Schreiben meines Romans begonnen hatte. Ich konnte es aus schreibtechnischen Gründen nicht lesen.

Momente, in denen Sie Angst vor Tieren hatten?

Ja, ich wurde im letzten Sommer fast von einem Pferd aufgefressen. Wir wussten nicht, dass wir in deren Revier gelandet waren, wir hatten einen klaren Revierbruch begangen. Den Blick der Leitstute werde ich nicht vergessen; er war mordlustig, sie wollte mich umbringen. Ich dachte, zur Not springen wir über den Abgrund, wohin uns die Pferde treiben wollten, mein Freund war der Meinung, dann würden wir in den Tod springen. Meine Freundin, beherzter als wir, zog alles Mögliche aus ihrem Rucksack, als uns die vier Stuten mit ihren Fohlen einkreisten. Dann konnten wir uns langsam davon schleichen.

Was ist Ihre erste Erinnerung an ein Tier?

Mit vier Jahren bekam ich meinen ersten Hund. Er war sechs Jahre lang bei mir, das ist sehr lange für ein Kind. Über die Tiere, mit denen ich aufwuchs, brachten meine Eltern mir Verantwortungsbewusstsein bei. Tiere bedeuten auch, eine andere als unsere menschliche Wirklichkeit kennen zu lernen, dafür kann man nicht dankbar genug sein.

*Karl-Markus Gauß: Mit mir, ohne mich. Ein Journal. PaulZsolnay Verlag, Wien. 2002
** Fabizio Gatti: Bilal. Viaggiare, lavorare, morire da clandestini.Bur – Rizzoli, 2007

Maxi Obexer
*1970 in Brixen. Die Autorin lebt in Berlin. www.m-obexer.de

Text und Fotos von Katharina Hohenstein, erschienen in vissidarte 7 – tierisch.bestiale.beastly
www.vissidarte.org und zum Online-Lesen www.loladesign.info

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