Food

May 25, 2012

Futurismus in der Küche: Noi siamo contro la pasta asciutta!

Kunigunde Weissenegger

Marinetti, Severini, Boccioni, Carrà, Russolo, Balla und Depero – diese Namen haben wir schon einmal gehört. Uberto Bonetti sagt vielen vielleicht weniger etwas, dabei ist der futuristische Künstler sogar zwei Mal nach Bozen gekommen. Wir befinden uns Mitte der 30er Jahre, genauer gesagt 1934, und der junge Uberto Bonetti reist nach Südtirol, um seine Reihe der “Aeroviste d’Italia” – der Flugbilder von Italien – zu ergänzen und auch Zeichnungen von Bozen und Meran und dessen Neubauten zu machen. 1936 unternimmt er seine zweite Reise nach Südtirol und konzentriert sich diesmal auf Recherchen im Modebereich.

Geboren ist der Künstler genau in dem Jahr, in dem das erste Manifest der Strömung publiziert wurde, der er dann angehörte: 1909 publizierte Filippo Tommaso Marinetti das Manifest der sehr ambivalenten, aber hoch interessanten Bewegung des Futurismus. Kennzeichnend für die Futuristen war, dass sie mit dem Alten brechen und Neues schaffen wollten: Die italienische avantgardistische, aggressive Kunstbewegung hatte die Utopie, einen neuen Menschen zu schaffen und eine neue Stadt zu bauen. “Anti” war der Slogan der Antibewegung: antibürgerlich, antiklerikal, anarchistisch in der Frühphase, sehr frauenfeindlich und kriegsbegeistert lehnten die Anhänger jeden Traditionalismus ab. Sie wollten eine neue Kultur begründen. Die tiefsitzende Ambivalenz der Bewegung ist durch Gewaltbereitschaft geprägt,  die Anhänger befürworteten den Faschismus (der auch Neues schaffen wollte) und die Schaffung eines neuen Menschen in einer neuen Stadt – das Alte wird zerstört.

Die Stadtgalerie Bozen auf dem Dominikanerplatz hat das Thema des Futurismus aufgegriffen und präsentiert in einer Ausstellung bis 24. Juni 2012 den futuristischen Maler, Grafiker, Bühnenbildner und Modedesigner Uberto Bonetti aus Viareggio. Und am 8. Juni beschäftigt sich in der Langen Nacht des Futurismus ein gesamter Abend mit dieser avantgardistischen Kunstströmung, die in verschiedenste Disziplinen, wie Mode, Musik, Literatur, Theater, hineinreicht. “Interessant ist die Bewegung, weil die Verführbarkeit von Intellektuellen durch die Macht sichtbar wird. Es handelte sich ja durchaus um gebildete Menschen. Dieses Phänomen ereignet sich immer wieder,” erklärt der Direktor des Stadtarchivs Bozen, Hannes Obermair. “Durch die starke Affinität des Futurismus zwischen Politik und Kunst aber, war das Ganze nach 1945 vorüber und scheitert. Der Futurismus ist sehr spannend, weil er viele Kunstrichtungen beeinflusst hat. Für uns ist er heute wichtig, um die aktuelle Stadtlandschaft zu begreifen. Die Dinge sind da und für mich als Historiker ist es wichtig, den Stadtraum zu lesen und ihn zu verstehen.”

In der langen Nacht des Futurismus am 8. Juni 2012 wird Hannes Obermair in einem Gespräch auf dieses Anliegen des Verstehens eingehen und zum Thema “Traum und Terror: die Städte in ihrer Zeit” sprechen. Die provokatorischen Anliegen der breit gefächerten Strömung initiierten also viele Kunstrichtungen, von der Malerei über die Bildhauerei bis zur Architektur, beeinflussten aber auch die Dichtkunst, Theater, Musik, Tanz, Fotografie, Film, Mode und sogar die Küche. Ja, genau, richtig gelesen: die Küche. 20 Jahre nach dem Gründungsmanifest wurde das Manifest der futuristischen Küche veröffentlicht. “Noi siamo contro la pasta asciutta!” war nur eine ihrer Forderungen.

Die Anhänger wollten hauptsächlich provozieren und die traditionellen Rezepte und Küche über den Haufen werfen. In der Langen Nacht des Futurismus wird es im Café Museion, im Walthers’ und im Grifoncino Futuristisches zu verkosten geben: Die Aperitivi, oder wie die Futuristen sie heissen: “per mangiare”, heissen nicht etwa Hugo oder Veneziano, sondern “Guerra in Letto”, “Brucio in Bocca” oder “Diavolo in Tonaca Nera”. Sergio Coletti, Mitglied und langjähriger Präsident der Accademia Italiana della Cucina, hat sich mit dieser Küche eingehender beschäftigt und wird das Kulturphänomen in der Langen Nacht im Gespräch “In cucina il Futurismo di ieri e di oggi” erklären.

“Beispielsweise”, meint er, “haben die Futuristen Messer und Gabel abgelehnt und aßen mit den Händen. Farben, Gerüche, Musik und Gedichte begleiteten die Essen, damit alle Sinne aktiviert werden.” Die Teller waren aus Aluminium, ein Digestivo war ein “per alzarsi”, die Bar hieß “qui si beve”, der Cocktail “polibibita”, die Rezepte hießen “formule” und waren oft auch nicht essbar, weil ihre Zusammensetzung einfach zu extravagant und auch gewollt falsch dosiert war. Tommaso Marinetti verkündete damals auch folgenden Satz: “Ogni errore di dosaggio potrà dare vita ad una ricetta diversa!” Ob die Getränke wirklich so ungenießbar sind? Franz wird, wenn ihr Lust habt zusammen mit euch, in der Langen Nacht des Futurismus durch die Stadt touren, um alle Facetten des Futurismus zu entdecken. Das gesamte Programm der Langen Nacht gibt es hier.

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