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May 17, 2012

An der Tafel König Laurins. Erwin Wurm in Bozen

Maximilian Lösch

Von einer Tür raus in die andere Tür rein. Ich kam gerade aus der Arbeit und wartete im Laurin auf Erwin Wurm, geladener Künstler zur Veranstaltungsreihe des SKB “Kunst im Gespräch”. Ich habe Susanne Barta getroffen und nach einem kurzen Wortwechsel kam er dann auch. Wir saßen in der eleganten Bar des Laurin und haben auch gleich begonnen: Er saß mir gegenüber, recht entspannt und sprach mit einem leichten österreichischen Akzent.

Sie sind hier zu einem Gespräch eingeladen mit dem Titel “Beruf Künstler”. Was sagen Sie dazu?

Das ist mein Beruf. Es ist der schönste Beruf, den es gibt und es ist auch der schrecklichste. Wenn man keine Achtung und kein Geld dafür erhält, ist es furchtbar, ich kenne Kollegen in meinem Alter, die immer noch von der Frau erhalten werden. Sonst ist es ein wundervoller Beruf.
Es ist auch ein sehr schwieriger Beruf. Denn man hat die ganze Welt als Gegenüber, man steht der ganzen Kunstgeschichte gegenüber, man misst sich mit den Besten. Ich bin immer noch schwer begeistert von der Kunst, sie ist eine andauernde Quelle der Inspiration, ich versuch mich damit zu messen. Aber man kann eigentlich nur scheitern. Als Künstler kann man sich nicht mit dem Kleinen begnügen, das Ziel ist das Allerhöchste, was man eigentlich nie erreichen kann, aber es ist gut, dass es da ist.

Die Kunst ist eine Quelle der Inspiration für Sie?

Ja das ist sie. Aber mich interessiert Kunst aus allen Bereichen, aus allen Epochen, ob das jetzt tribale Kunst, die Kunst der frühen Menschen oder die der Renaissance, die ganze Kunst gehört zum Gedächtnis der Welt. Sie ist eine andauernde Quelle der Begeisterung, der Faszination, Kunst entflammt. Und das macht diesen Beruf so schwierig , eine so hohe Qualität zu erreichen.

Ist es diese Faszination, die den Künstler antreibt?

Ja, all das ist Inspiration, all das treibt einen Künstler an, und das kommt aus allen Bereichen, sei es Kunst, Literatur, Philosophie. Die Natur nicht.

Die Natur ist für Sie also keine Quelle der Inspiration?

Nein, die Natur ist für mich eine Quelle der Ruhe, der Stimmigkeit, des in sich Kehrens, es ist eine Quelle der Harmonie. Aber eine Inspiration für meine künstlerische Arbeit ist sie nicht.

Ich habe drei mal drei Wörter herausgeschrieben, die mir in den Sinn gekommen sind, während ich ihre Arbeiten betrachtet habe. Der erste Triptychon ist: Das Zerdrücken, Hinabfallen, das Ersticken. Was Fällt ihnen dazu ein?

Dazu fallen mir Lebensängste, die Angst vor dem Scheitern ein.

Das ist etwas, das alle Menschen begleitet, nicht nur Künstler?

Ja, ich glaube schon. Das ist eine Angst, die jeden begleitet. Denn jeder Mensch hat eine Vorstellung, wie sein Leben sein sollte, was man möchte, und man möchte diese Vorstellung auch erreichen. Wenn man dies nicht erfüllt, dann scheitert man.

Das Verformen, das Schmelzen und Erhärten.

Ich bringe damit den skulpturalen Vorgang in Verbindung. Bei einer Skulptur arbeitet man mit Massen, man nimmt entweder Masse weg oder man gibt Masse dazu. Ich sehe Masse sowohl als Materie, aber auch als soziale Masse, als soziale/politische Dimension. In meiner Arbeit habe ich immer einen sozialen Zusammenhang.
Die Masse formen kommt aus der Politik. Und da kommen wir in diesen Bereich, wo entweder das Bedürfnis der Masse vor dem Bedürfnis des Individuums steht, so wie in Japan oder im Kommunismus, oder wo die Bedürfnisse des Individuums überwiegen. Und die Politik ist dieses jonglieren zwischen den Bedürfnissen des Individuums und dem der Masse.
Das Individuum, die Freiheit des Individuums gilt im Westen als die höchste Errungenschaft. Und Masse und Individuum sind scheinbare Gegensätze.

Scheinbare Gegensätze?

Ja, denn sie heben sich auf, die Bedürfnisse des Individuums hören dort auf, wo die Bedürfnisse der Masse beginnen. So wie die Bedürfnisse von Mehrheiten und Minderheiten…

Dann habe ich hier noch: Das Absurde, das Lustige und Tragische.

Es freut mich, dass Sie das Lustige und das Tragische in einem Atemzug nennen, da für mich das Lustige nicht etwas ist, was ich gewollt habe, es hat sich ergeben. Ich spreche gerne Situationen durch Zynismus an. Zynismus so definiert: mit Distanz auf ein Ereignis schauen, als ob es mich nichts angehen würde und aus einer etwas anderen Perspektive, aus einer ungewohnten Perspektive.
Ich vermische oft auch anthropomorphe und technologischen Formen, wie meine Arbeit “Fat Convertible”. So entstehen viel diese besonderen Formen, und die Leute finden es lustig und lachen, was aber eigentlich nicht mein Ziel ist
Ich wollte eigentlich ursprünglich Maler werden, man hat mich aber auf der Akademie bei den Malern nicht genommen. Ich wurde zu den Bildhauern gesteckt. Es war eine dramatische Wende für mich, ich habe mich gefragt, was das bedeuten kann. Ich habe mich auf eine Reise begeben und habe das Grundprinzip des Bildhauens selbst hinterfragt um eine andere Ebene des Bildhauens zu finden.
Wenn ich zunehme, oder wenn ich abnehme, zum Beispiel, ich also mit meinem Volumen arbeite, dann ist das Bildhauerei.
Und dann wollte ich die Bildhauerei mit den Themen unserer Zeit verbinden. Ist es möglich, dass die Bildhauerei soziale Fragen aufnimmt und sie mit bildhauerischen Themen zu belegen, war meine Frage. Ich habe mich dann mit verschiedensten Themen auseinandergesetzt, wie dem Gesundheitswahn, dem Jugendkult, Arbeit und Spiel, politischem Handeln/Korrektheit und vielem mehr.
Es gibt ja die Tendenz heutzutage zu sagen, alles was sich der Mensch vorstellen kann, das kann man auch realisieren. So wie z. B. die Idee des Beamens aus Star Trek. Vor Kurzem ist es Wissenschaftlern gelungen, ein Neutrino durch eine Stahlplatte zu beamen.
Und hier findet sich auch der gebogene Bus wieder. Die Arbeit heißt “Telekinetisch gebogener Bus”.
Sie können sich vielleicht an den ganzen Hype um Uri Geller erinnern, der Löffel gebogen hat und Uhren zu stehen gebracht hat. Das war eine richtige Massenhysterie. Also habe ich Uri Geller geschrieben und habe ihn gefragt, ob er einen Bus biegen kann. Ich habe natürlich nie eine Antwort erhalten. Ich habe also weiter recherchiert und bin auf einen Yogi gestoßen, der ebenfalls angab telekinetische Kräfte zu besitzen und der hat gesagt, er kann das machen. Er hatte ein paar Bedingungen:
Es kostet 2.000 €, er braucht ein Business Class Ticket, es muss Nacht sein, es müssen viele positiv gesonnene Menschen anwesend sein, die in einem Kreis um den Bus stehen und es darf keine Elektrizität fließen, also keine energetischen Störungen.

Ja und haben Sie ihn dann eingeladen?

Das bleibt ein Künstlergeheimnis.

(ich lache) So zum Abschluss, drei Momente in Ihrem Leben, die wichtig für Sie als Künstler waren.

Das erste waren die One Minute Sculptures, die aus einem Prozess kontinuierlicher Radikalisierung hervor gekommen sind und die Kurzlebigkeit der Kunst thematisieren.
Dann als die One Minute Sculptures in einem Video der Red Hot Chili Peppers verwendet wurden, das hat meine Arbeit weit über die Kunstwelt hinaus katapultiert.
Und zum Schluss die Rückkehr zum klassischen Thema der Bildhauerei, zurück zum Objekt.

Wollten Sie in den One Minute Sculptures die Hektik der Modernen Welt ansprechen?

Im Nachhinein könnte man das sagen. Damals war es aber eine kontinuierliche Reduzierung der Skulptur, bis zum ganz radikalen, wo dann die Skulptur nur noch einen Moment existiert, also vielleicht 10 Sekunden, habe dann aber, um dem Ganzen ein Logo zu geben, den Namen One Minute Sculptures geprägt.

Was meinen Sie mit dem klassischen Thema der Bildhauerei?

Also zurück zum Objekt, zur Skulptur. Aber schauen Sie, ich habe immer mit einer sehr breiten Basis gearbeitet, die ich parallel weiterentwickelt habe. Das 3D-Objekt, die Performance, Foto und Video, Text und Zeichnung. Sie laufen immer parallel, das Publikum hat dann den Fokus auf einen bestimmten Aspekt gelegt.

Und könnten Sie einen roten Fade aufzeigen, der sich durch ihre ganze Arbeit zieht?

Ich entwickle mich andauernd weiter. Es gibt ja zwei große Typen von Künstlern, die einen, die immer das selbe machen und die anderen, die sich andauernd verändern. Ich gehöre zu letzteren. Ich versuche immer das Neue aufzureißen, in konstanter Veränderung zu sein.
Ein weiterer Aspekt, der sich durch meine ganze Arbeit zieht, ist das Hinterfragen des Kulturellen, das Thema der Haut, das Verhältnis von Volumen und Oberfläche, das Verhältnis von biologischer/anthropomorpher und geometrischer Form.

Dann war die Zeit auch schon um, wir hatten nur eine halbe Stunde Zeit, jetzt war ein weiteres Interview geplant. Mich hat’s sehr gefreut, vielen Dank!

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