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April 19, 2012

Filmtage eröffnet: Die Summe meiner einzelnen Teile

Evelyn Gruber-Fischnaller

NOTE 8/10

Die 26. Bozner Filmtage wurden gestern wie immer mit viel Vorfreude, charmanter Improvisation und ein bisschen Melancholie über das schon Erlebte eröffnet. Hans Weingartner, der mit “Die Summe meiner einzelnen Teile” den Eröffnungsfilm präsentiert, ist nicht großer Worte, als auch er bei der Begrüßung seinen Film vorstellen soll. Der Regisseur von “Die fetten Jahre sind vorbei” und “Das weiße Rauschen” lässt hoffen auf eine weitere berührende Geschichte, voller Tragik und Wahrheit. Wir werden nicht enttäuscht.

“Hier ist Endstation”, sagen die Polizisten. Im wahrsten Sinne des Wortes, denke ich. Martin (Peter Schneider), ein junger Mathematiker mit vormals gutem Job und solidem Leben, ist scheinbar ganz unten angekommen. Depressiv und psychotisch soll er in die Psychiatrie eingeliefert werden. Er wird aufgepäppelt, doch seine Arbeitsstelle bekommt er nicht zurück, “wir brauchen jemand, der belastbar ist”. Als er auch seine Sozialwohnung verliert, verkriecht er sich in einem verlassenen Haus. Dort bekommt er unerwartet Gesellschaft: Der 10jährige Viktor (Timur Massold), ebenfalls obdachlos hilft mit seiner Bauernschläue allen beiden, als Martin schon lange nicht mehr kann. Als es auch im Haus nicht mehr sicher ist, ziehen die beiden in den Wald. Eine aus Ästen gebaute Hütte, die wilde Natur um sich – wie es langsam Frühling wird, leben die beiden richtig auf. Doch allzu lange dauert die schöne Zeit nicht. “Der Film handelt vor allem von einer Selbstbefreiung. Martin will ja auch einfach nur glücklich sein und ein Leben finden, das er leben kann”, beschreibt Hans Weingartner im Anschluss die Geschichte – für die, die seine Filme kennen, ein wiederkehrendes Motiv.

“Die Summe meiner einzelnen Teile” ist ein bewegendes Psychodrama, nicht zu laut und nicht zu leise, berührend aber nicht verschreckend. In der Stille, in der Ursprünglichkeit und ohne Zwänge findet Martin zurück zu sich selbst. Es wird klar, dass das vermeintliche “ganz unten” eben nicht die Endstation ist.

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