Culture + Arts > Cinema

March 7, 2012

Ich habe einen Hirntumor und das ist nicht witzig

Christoph Tauber

NOTE: 9

Andreas Dresens halbdokumentarischer Spielfilm Halt auf freier Strecke zeigt eindrücklich, wie es ist, wenn der Tod ins Leben tritt.
Eigentlich möchte man weglaufen, aufstehen und wieder gehen und trotzdem ziehen diese überlebensgroßen Nahaufnahmen direkt ins Bild hinein, zwingen zum Sitzenbleiben. Man muss sich mit einem nicht alltäglichen Thema auseinandersetzen: dem Sterben und dem Tod.

Der halbdokumentarische Spielfilm Halt auf freier Strecke von Andreas Dresen zeigt das Leben eines zum Sterben verurteilten Menschen:  Frank Lange (Milan Peschel) erhält die Diagnose Hirntumor. Nicht behandelbar, nicht operierbar. Tödlich. Frank, seine Frau Simone (Steffi Kühnert) und seine Kinder Lilli (Talisa Lilli Lemke) und Mika (Mika Nilson Seidel) versuchen mit der Situation umzugehen, müssen lernen mit der Situation umzugehen. So wie Frank und seine Familie der Diagnose nicht entkommen können, kann man als Zuschauer den Bildern nicht entkommen. Andreas Dresen verwendet durchwegs nahe und halbnahe Einstellungen um diese Intimität erzeugen zu können, die betroffen macht. Die beständige Abnahme der Fähigkeiten von Frank mit dem Leben umzugehen, die einfachsten Dinge zu erledigen, wie das Zusammenbauen eines Kinderbettes für seinen Sohn, machen betroffen und berühren.

Einzelne absurde Szenen lockern auf, lachen kann man jedoch nicht: Frank spielt am Handy herum, spricht etwas aufs Handy und eine witzige Comicfigur gibt das gesagte wieder: „Ich hab‘ einen Hirntumor und das ist nicht lustig!“ Lachen kann man auch nicht über die Situation, als Frank verzweifelt in seinem Haus die Toilette sucht, sie aber nicht findet und kurzerhand auf den Boden im Zimmer seiner Tochter pinkelt. Schmunzeln kann man aber über den Einfallsreichtum seiner Frau, die kurzerhand alles im Haus mit gelben Post-it-Zettelchen beschriftet, damit Frank in Zukunft die Toilette finden kann. „Geh nicht alleine raus,“ schreibt Frank ein paar Tage darauf auf ein Zettelchen und klebt es an die Eingangstür. Und nur um zu beweisen, dass er es noch kann geht er wenig später raus, irrt durch die Straßen des Dorfes in der Nähe von Berlin, um beim Bäcker Brot einzukaufen. Nur um zu beweisen, dass er es noch kann, beschriftet er alle Schächtelchen voll von Schrauben, Nägeln, Dübeln und Muttern im Keller, um am Ende doch einsehen zu müssen, dass seine physischen und kognitiven Fähigkeiten abnehmen. Ein Gehirntumor ändert auch die Persönlichkeit eines Menschen. Frank schreit seine Frau Simone immer öfter an; ob es auf die Veränderung der Persönlichkeit zurückzuführen ist oder ob es die reine Verzweiflung ist, dass es mit seinem Leben zu Ende geht, ist schwer ersichtlich. Dies  ist aber  auch  nebensächlich, denn der Tod steht auch hier ganz am Ende.

Andreas Dresen hat „das ganze Reich des Todes vermessen“, bis er selbst kurz davor war abzubrechen, wie es in einem Flyer zum Film heißt. „Aber der Stoff war stärker.“  „Halt auf freier Strecke“ hat das Sterben zum Thema, und hat es wieder zurückgeholt zu den Menschen. Während früher die Menschen sehr viel stärker im Kontakt mit dem Tod waren, hat er sich heute aus dem Alltag der Menschen zurückgezogen. Gestorben wird in Krankenhäusern und Pflegeheimen, nicht aber zu Hause. Der Film zeigt eindrücklich, wie der Tod ins Leben eines Menschen tritt, langsam aber sicher und auch die Menschen darum herum verändert. Was bedeutet es, wenn jemand gehen muss – für die Familie, die Freunde, für den Sterbenden selbst? Andreas Dresen zeigt dies eindrücklich.

Zu sehen:

Kaltern, Filmtreff, Sa 10.03.2012, 18.00 Uhr + So, 11.03.2012, 20.30 Uhr
Neumarkt, Ballhaus, Mi 28.03.2012, 20:00 Uhr
Bruneck, Kolpinghaus, Do 29.03.2012, 20:00 Uhr
Sterzing, Stadttheater, Fr 30.03.2012, 20:30 Uhr
Brixen, Forum Brixen, Mo 02.04.2012, 20:30 Uhr
Meran, Bürgersaal, Di 03.04.2012, 20:30 Uhr
www.filmtreff-kaltern.it
www.filmclub.it 

Im Innsbrucker Leokino noch bis Ende März: http://leokino.at/db/sql.php?FID=F12718

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are 2 comments for this article.