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February 14, 2012
Offizin S. – Siegfried Höllrigls bewegliche Lettern
Vissidarte
Ich drücke die etwas lockere Türklinke in der Hallergasse Nr. 5 in Meran und trete in eine zeitlose Welt. Der grobe Holzboden knarrt, in einer Ecke knistert Feuer im Eisenofen. Kein Plätzchen mehr frei auf den Wänden, zwischen hohen, zum Bersten gefüllten Bücherregalen, die bis an die Decke reichen und den verschiedensten Holz- und Linoldrucken, Zeitungsartikel, Fotos und allerlei bejährten, aber gepflegten Gerätschaften. Alles scheint auf einem vorgesehenen und persönlichen Platz angebracht zu sein. Die Offizin S. lebt.
War die Gründung der Offizin 1985 die Erfüllungen eines lang gehegten Wunsches oder sind Sie da hineingestolpert, wie es im Leben oft passiert?
Siegfried Höllrigl: Ich muss sagen, ich bin hineingestolpert, da war ich noch Korrektor in einer Bozner Druckerei, in meiner Freizeit habe ich ein Buch für mich gemacht und auf diese Art und Weise zum Handwerk zurückgefunden. So ist die Leidenschaft für das Kreieren mit beweglichen Lettern und die Druckgraphik entstanden. Kurz darauf wurde der Bleisatz obsolet, man hat auf Fotosatz umgestellt und das ganze schöne Material zum Alteisen geworfen. Da habe ich mir einen Teil aussuchen können, auch eine Linotype Setzmaschine. Mit einem jungen Kollegen, Thomas Reichhalter, habe ich dort mit dem Drucken begonnen. Nach einem Jahr machte ich allein weiter mit der Bezeichnung Offizin – Werkstatt für Literatur, Typographie und Graphik – und übersiedelte die Werkstatt von Bozen nach Meran in das Haus meiner Eltern in der Hallergasse.
Was waren Ihre ersten Arbeiten in der Offizin S.?
Tarot, ein Buch in Reimen von Lisl Saltuari, mit 78 Vignetten von Trude Saltuari und original Holzschnitten von Heidrun Oberegger, ferner Liebesgedichte von Wolfgang S. Engel (feuerbohnenblüte) mit großen Autotypien von Christiane Grimm. Des Weiteren druckte ich eine Ausgabe mit sämtlichen Gedichten des aus Brixen stammenden und in Neapel und Padua lehrenden Sinologen, Martin Benedikter (Musik der Welt, 1989). Einige Jahre später (1993) bot ich Familie von Mörl aus Brixen an, ihre historische Holzpresse zu restaurieren. Sie hat eingewilligt.
Aber Sie konnten das ja nicht, restaurieren, wie haben Sie das gemacht? Haben Sie es gelernt, während Sie daran arbeiteten?
Eigentlich überlegte ich, ob es nicht besser wäre, diese Arbeit jemandem zuschanzen, der technisch bewandert ist, aber da traf ich meinen Nachbarn Wolfgang Bonell, der mir sagte: „Trau dir nur selbst auch etwas zu!“ Und ich habe es mir daraufhin zugetraut. Mit Hilfe Brigitte Widners, die seit 1988 die Offizin S. mitträgt, habe ich mich kundig gemacht. Ich reiste nach St. Pölten, München, an den Bodensee, nach Darmstadt, kam mit dem Professor für Druckgeschichte, Frans A. Janssen in Amsterdam in Kontakt und es erschien ein von mir verfasster Restaurierungsbericht, worin die Restaurierung Schritt für Schritt belegt und nachvollziehbar ist. Die dendrochronologische Untersuchung nicht-signifikanter Holzteile ergab, dass die Presse aus den Jahren zwischen 1550 und 1560 stammen muss. Es ist mir erlaubt worden, von der Brixner Druckerpresse eine Replik anfertigen zu lassen. Hier steht sie, in meiner Offizin.
Vor kurzem ist Ihr Buch „Was weiß der Reiter vom Gehen“ im Verlag edition laurin bei der innsbruck university press erschienen.
Ja, es ist ein Reisebericht. Ich bin 2004 von Basel, mit Unterbrechung in Meran, zu Fuß nach Istanbul gegangen. Die Idee zu einem Buch hat sich erst unterwegs ergeben.
Sie sind über den Balkan gewandert, was 2004 keine Selbstverständlichkeit war. Bemerkenswert finde ich, dass Sie teilweise in den Ortschaften schon bekannt waren, bevor Sie überhaupt dort angekommen sind. Ihr Ruf eilte Ihnen sozusagen voraus. Wie hat sich das zugetragen?
Ja, in Silivri am Marmarameer in der Türkei sagte der Postbeamte: „Sie sind ja aus Italien! Ich habe ein Bild von Ihnen gesehen, in der Zeitung!“ Möglicherweise haben mich Journalisten auf dem Weg beobachtet und fotografiert. In Goražde in Bosnien hatte ich Gelegenheit, vor der Fernsehkamera zu sprechen und in der in Sarajewo erscheinenden Tageszeitung AVAZ wurde ein Artikel publiziert.
In Ihrer Offizin drucken Sie ab und zu auch Selbstgeschriebenes, wie zum Beispiel „die Katzenhistoerchen“.
Das sind kurze Geschichten für eine Katzenliebhaberin über Begegnungen mit Katzen. „Plötzlich kam uns eine Katze ins Haus gelaufen. Unsere Katzennärrin konnte nicht mehr anders, als sie zu verwöhnen. Die Katze blieb, wurde ein braves Haustier. Doch leider, leider: Über Nacht zog sie weiter und blieb seither vermisst. Wie zum Dank für die Gastlichkeit lag an dem der Fluchtnacht folgenden Morgen eine tot gebissene Maus vor der Haustür.“
Zum Thema Tier – das Jahresthema 2012 der Reihe „Lyrik aus der Offizin S. – erscheinen drei Editionen, aus der Poliphilus handgesetzt und auf der Andruckpresse handgedruckt, in jeweils 55 plus 15 Exemplaren. Jedem Heft ist eine Originalgraphik beigefügt, von Künstlern aus verschiedenen Himmelsrichtungen.
Siegfried Höllrigl
1943 in Meran geboren, nach Schriftsetzerlehre Maschinensetzer und Korrektor, Reifeprüfung am Kunstlyzeum in Verona. Gründungsmitglied der Südtiroler Autorenvereinigung.
1985 Einrichtung einer eigenen Handdruckerei in Bozen.
Seit 1987 Handpressendrucker und Herausgeber bibliophiler Editionen in der Offizin S. in Meran. In der Offizin S. wird vorwiegend zeitgenössische Lyrik in deutscher Sprache in bibliophiler Ausstattung gedruckt, von Sarah Kirsch, Friederike Mayröcker, Kurt Drawert, Klaus Merz, Margarete Hannsmann, Joseph Zoderer…
Seit 2007 erscheint regelmäßig eine Lyrikreihe, in der u. a. Sabine Gruber, Semier Insayif, Hans Raimund und Gerhard Ruiss vertreten sind.
Text und Fotos von Ursula Niederegger, erschienen in vissidarte 7 – tierisch.bestiale.beastly
www.vissidarte.org und zum Online-Lesen www.loladesign.info
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