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February 2, 2012

Das Buch als Gesamtkunstwerk. Im Gespräch: Thomas Kager, Raetia Verlag

Reinhard Christanell

Der Bozner Raetia Verlag steht seit mehr als zwanzig Jahren im Mittelpunkt des kulturellen Lebens unseres Landes. Mit insgesamt fünf Mitarbeitern (nicht zu vergessen der langjährige Verlagsleiter Gottfried Solderer), bringt der Verlag  jährlich an die fünfundzwanzig neue Bücher auf den Markt.  Schwerpunkte: Literatur und Südtiroler Geschichte. Außerdem sollen nun zwei neue Initiativen (Dolomyte Media Marketing und ex libris) Raetia vor den Gefahren der Wirtschaftskrise schützen. Näheres über die Tätigkeit und die Zukunft des Verlags haben wir in diesem Gespräch mit Programmleiter Thomas Kager in Erfahrung gebracht.

In Zeiten akuter Wirtschaftskrisen betrachten die Regierenden Kultur als kostspieligen Luxus. Leidet auch das (lokale Verlagswesen unter den einschneidenden Sparmassnahmen oder ist man mit Sparsamkeit bereits vertraut? Verliert man in diesen geldarmen Zeiten zusätzlich Leser bzw. Umsatz oder findet das Buch neue, unerwartete Freunde?

Leichter wird das Büchermachen sicher nicht. Als Regionalverlag außerhalb der Landesgrenzen zu bestehen ist schwierig – unsere Themen sind auf Südtirol bezogen, das Absatzgebiet daher beschränkt, die Auflagen notgedrungen klein und die Druckkosten hoch. Über den Verkauf allein rechnet sich die Veröffentlichung von Literatur und ansprechenden Sachbüchern nicht. Solche Titel können nur mit der Unterstützung der öffentlichen Hand, von Stiftungen und privaten Sponsoren erscheinen. Zum Glück gibt es diese, aber in Krisenzeiten wird eben gespart. Nun sind wir Sparsamkeit sicher gewohnt, aber es ist uns wichtig, auch aktiv neue Möglichkeiten der Querfinanzierung zu finden. Um also unabhängiger agieren zu können und das Weiterbestehen des Verlages zu sichern, haben wir zwei weitere Standbeine geschaffen: Die Genossenschaft Ex Libris bietet Korrektur-, Lektorat- und weitere Textarbeiten für Dritte an, Dolomyte Media Marketing fungiert als Bindeglied zwischen der heimischen Wirtschaft und Filmproduzenten, die in Südtirol drehen und auf der Suche nach Werbekunden sind. Beide Unternehmen befinden sich im Aufbau, das ist unsere Antwort auf die Krise. Dass die Leser die Krise auch spüren und etwas zurückhaltender sind, haben wir beim Verkauf von aufwendigeren und daher etwas teureren Büchern gemerkt. Ansonsten kann die Krise dem Buch als Geschenkartikel vielleicht neuen Aufschwung bringen, denn ganz ehrlich: Ein Buch zu verschenken, kann sich wirklich jeder leisten. Ich jedenfalls freue mich immer über Buchgeschenke.

Man spricht schon seit Jahren von der Vergänglichkeit des Buches als „Gegenstand“ und von der unaufhaltbaren E-Book Ära, die ja die den Markt, das Verhältnis zwischen Autor und Leser total umkrempeln soll. Wie sehen Sie als Verleger die Situation? Haben Sie sich auf das Neue vorbereitet? Sind Sie an E-Books interessiert?

Ein Generationenwandel wird stattfinden und wir werden uns, wohl oder übel, darauf vorbereiten müssen. Für mich persönlich ist ein Buch ein Gesamtkunstwerk, das nicht nur aus Text und Bildern besteht, sondern aus mehr: Umschlaggestaltung, Papier, Vorsatzpapier, die Wahl der Schrift, die grafische Gestaltung – alles Dinge, die beim E-Book verloren gehen. Was wird aus den Bücherregalen? Früher konnte man bei Freunden noch in der Plattensammlung stöbern und sich mal eine ausleihen, auch das gibt es heute nicht mehr. Das Schicksal der Bücher könnte ein ähnliches sein. Aber mit Nostalgie alleine kann der Trend nicht aufgehalten werden. Wir als Verlag beobachten die Entwicklung, informieren uns und überlegen uns auch schon eigene Projekte. Doch grundsätzlich warten wir mal ab: Es gibt noch kein verbindliches Standardprogramm, dafür eine Menge an unterschiedlichen Lesegeräten. Es ist alles noch im Fluss. Ich glaube auch nicht, dass es zu einer Verdrängung, sondern zu einem Nebeneinander von E-Book, Hörbuch und dem klassischen Buch kommen wird, es werden sich Schnittstellen ergeben, um situationsabhängig zwischen den Formaten wechseln zu können. Vorerst bleiben wir also bei den Büchern im wahren Sinne des Wortes. Wir legen dabei großen Wert auf die Gestaltung und Aufmachung des Buches und versuchen so, jene Leser anzusprechen, die genauso denken wie wir. E-books kann ich mir als parallele Publikation zum gedruckten Buch vorstellen oder um vergriffene Titel neu aufzulegen. Da ein Nachdruck meist zu teuer ist und man auch die Auflagehöhe schwer abschätzen kann, könnte das E-Book eine Alternative sein, um Titel weiter verfügbar zu haben. Derzeit sind die Kosten für die Umwandlung aber noch so hoch, dass es sich nicht rechnet.

Raetia ist tief und rückhaltlos in der komplexen Südtiroler Realität verwurzelt, Geschichte in all ihren Gestalten und Nuancen gehört sozusagen seit jeher zum täglichen Brot des Bozner Verlages. Werden Sie diesem Leitbild auch in Zukunft treu bleiben oder gibt es neue, gewissermaßen schlummernde Themenkreise bzw. Marktnischen, die Sie erforschen möchten?

Ich werde mich hüten, schlummernde Marktnischen öffentlich bekannt zu geben, wie Sie sicher verstehen werden ; – ). Die Konkurrenz schläft nicht! Die Beschäftigung mit der Südtiroler Zeitgeschichte und ihre kritische Aufarbeitung sind und bleiben weiterhin Säulen des Verlages. Da gibt es auch noch viele spannende Themen, und wir hoffen auf junge Historikerinnen und Historiker, die sich für neue Themen interessieren. Zu Option und Bombenjahren ist schon alles gesagt, aber in der jüngsten Geschichte und auch vor dem Ersten Weltkrieg gäbe es noch vieles aufzuarbeiten. Wir sind auch für neue Herangehensweisen offen und plädieren dafür, lokale Geschichte in einen größeren Kontext einzubetten: Vor dem Hintergrund soziologischer, ethnologischer oder politologischer Theorien lassen sich lokale Phänomene auch überregional interessant darstellen. Bereits in der Schublade haben wir eine Menge an Lebenserinnerungen und Tagebüchern, die wir in der Reihe „Memoria – Erinnerungen an das 20. Jahrhundert in Südtirol“ veröffentlichen werden. Diese Geschichten reichen von KZ-Tagebüchern über Aufzeichnungen einer Australien-Auswandererin in den 1950er-Jahren bis hin zu den Erinnerungen einer Meranerin, welche in den 1920er-Jahren in China gelebt hat. Spannende Themen, die mich selber faszinieren – ich bleibe daher dem Leitbild sicher treu. Auch die Förderung junger literarischer Talente im Lande bleibt weiterhin ein Anliegen wie auch die Veröffentlichung von italienischen und ladinischen Büchern. Ausbauen möchte ich längerfristig den Bereich Übersetzungen und schon bald den Bereich Bergliteratur.

Was haben sie für das heurige Jahr 2012 auf Lager? Wie viele Titel werden Sie auf den Markt bringen? Wird es auch italienische Bücher geben, was ja inzwischen bei allen Südtiroler Verlagen zur Normalität geworden ist?

Es gibt uns nun seit 21 Jahren, was wir dieses Jahr in einem nicht-runden, aber besonderen Jubiläum auch feiern werden. Und die beiden bereits genannten Unternehmen erfordern natürlich auch ihre Zeit. Im Schnitt haben wir immer 20 bis 25 Titel im Jahr veröffentlicht, vielleicht werden es heuer etwas weniger sein. Da wir uns grundsätzlich als zwei-, ja eigentlich dreisprachiger Verlag verstehen, was sich auch im Verlagsnamen ausdrückt, ist die Herausgabe von italienischsprachigen Titeln eine Selbstverständlichkeit. Dass es nicht mehr sind, liegt am eingeschränkten Markt und der komplizierten Förderpolitik der italienischen Kulturabteilung, die zudem selber verlegerisch aktiv ist, was nun wirklich nicht Aufgabe eines Landesamtes ist. Zudem gibt es keine klaren Förderkriterien für Übersetzungen und keine spezifisch dafür vorgesehenen Fördermittel. Nichtsdestotrotz werden auch italienische Titel erscheinen, unter anderem „Alto Adige/Südtirol 1945–1948. Dalla liberazione alla ricostruzione. Saggi, documenti, cronache“, herausgegeben vom ANPI, der Vereinigung der ehemaligen Partisanen, oder „Curiosità e segreti del Trentino-Alto Adige“ von Brunamaria Dal Lago Veneri. Als deutschsprachigen Geschichtstitel, der sich einem besonderen Aspekt widmet, haben wir Roman Dreschers „Bier in Südtirol“ auf dem Programm, also die Geschichte des bis um die Jahrhundertwende blühenden Brauereiwesens. Dass man noch 1880 27 Brauereien zählte, weiß heute niemand mehr. In Zeiten der Reblaus war Südtirol fast mehr Bier- als Weinland. Solche vergessenen Aspekte der Geschichte auszugraben macht Freude.

Wie sehen sie die Südtiroler Literatur? Gäbe es ohne eine öffentliche Unterstützung Literatur in Südtirol überhaupt? Hat es ihrer Meinung nach in diesen letzten Jahren einen Aufschwung gegeben (sprich junge Autoren, neue Inhalte) oder wird der alte Brei (Identität, Zusammenleben usw.) ständig neu aufgewärmt? Wieso stoßen unsere Autoren mit wenigen Ausnahmen auf relativ geringes Interesse im Ausland (Italien inbegriffen?)

Zum Schreiben braucht es nicht viel: Kugelschreiber und Papier oder heute einen PC. Grundsätzlich könnte also Literatur ohne Unterstützung entstehen. Tatsache ist aber, dass man vom Schreiben nicht nur nicht leben kann, sondern, wenn es keine Veröffentlichungsmöglichkeiten gibt, nur für die Schublade schreibt. Es braucht also die öffentliche und private Unterstützung, damit Literatur entstehen kann. Man könnte einen Vergleich zum Sport ziehen. Genauso wie Topathleten aus der Vielzahl an begeisterten Freizeitsportlern hervorgehen, geschieht dies auch bei der Literatur. Und genauso wie Sportvereine und Wettbewerbe zur Förderung des Sports notwendig sind, braucht es im Bereich der Literatur Verlage, Literaturzeitschriften, Bibliotheken, Veranstalter, Literaturhäuser, Autorenvereinigungen und literarische Wettbewerbe. Doch während man für eine Sportveranstaltung einen privaten Sponsor gewinnen kann, ist dies im Bereich der Kultur schwierig, weshalb es vor allem der öffentlichen Hand obliegt, diese zu fördern. Auf diese Weise können neue literarische Stimmen entstehen. Als Beispiel möchte ich Selma Mahlknecht nennen, entdeckt beim Literaturwettbewerb der Stiftung Südtiroler Sparkasse, Veröffentlichung mehrerer Erzählbände und zweier Romane in unserem Verlag, wobei der Roman „Es ist nichts geschehen“ in zweiter Auflage vorliegt und ins Schwedische übersetzt wurde. Selma Mahlknecht ist auch ein Beispiel hierfür, dass sehr wohl Südtirol-unabhängige Themen erfolgreich sein können und gerade junge Autorinnen und Autoren auch viel freier in ihrer Themenwahl sind. Andererseits ist die ewige Identitätsfrage – „ewig“ nicht, weil sie ein alter Brei ist, sondern weil sie immer aufs Neue gestellt werden kann und in einem Land wie Südtirol vielleicht auch muss – verbunden mit der Beschäftigung mit der jüngeren Geschichte ein Impuls, den viele Schreibende aufnehmen. Man denke nur an Sabine Grubers Erfolgsroman „Stillbach oder Die Sehnsucht“. Auch Waltraud Mittich wird noch im Frühjahr einen zeitgeschichtlichen Roman vorlegen, und zwar eine Annäherung an den Widerständler Hans Egarter unter dem Titel „Du bist immer auch das Gerede über dich“. Es ist wohl die noch immer unverdaute Geschichte sowie die Schwierigkeit des Zusammenlebens in Südtirol – zwischen den Sprachgruppen und zwischen den Generationen –, die am stärksten nach Aufarbeitung und Abarbeitung drängt. Diese gesellschaftlichen Fragen werden als Schwingungen und Beben von den Schriftstellern wie Seismographen wahrgenommen. Ein Fluch und Segen zugleich. Die Literatur nimmt auf diese Weise eine wichtige gesellschaftliche Funktion wahr, schränkt sich aber damit auch ein. Die thematische Einschränkung bedingt meist, dass die Wahrnehmung außerhalb Südtirols ausbleibt. Die Beschäftigung mit der eigenen Lebenswelt wird vorschnell als provinziell abgetan. Doch als Provinz finde ich Südtirol sehr spannend und würde zu behaupten wagen, dass wohl auch aufgrund der besonderen geschichtlichen und politischen Situation des Landes, die literarische Produktion im Vergleich zu anderen ländlichen Regionen unserer Größenordnung aktiver ist. Ich bin daher zuversichtlich, dass neue und junge Autorinnen und Autoren kommen werden und auch den Mut aufbringen, neue Themen anzugehen. Unsere Bereitschaft, ihnen eine Plattform zu bieten, ist jedenfalls gegeben.

Foto: Thomas Kager

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