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December 31, 2011

Maxi Obexer: Trip durch die Hölle

Reinhard Christanell

Fragt mich jemand, wie ich mir die Hölle des globalisierten, dritten Jahrtausends vorstelle, kann ich meine Eindrücke in einem Wort zusammenfassen: Emigration. Nichts ist, im wahrsten Sinne des Wortes, höllischer bzw. teuflischer, als die „illegale“, vom sogenannten zivilisierten Abendland verabscheute Völkerwanderung, die tausende von jungen AfrikanerInnen von Zentral- und Nordafrika (aber auch Asiaten) auf unwegsamen Wegen, zu Land und zu Wasser, nach Europa führt. Ins gelobte Land Europa, das es inzwischen gar nicht mehr gibt – und dessen Jugend ebenfalls mit wachsender Besorgnis in die Zukunft blickt.
Wie vor 2000 Jahren Kimbern und Teutonen, Burgunder und Langobarden: welche allerdings au der Suche nach Grund und Boden als bewaffnetes Volk und nicht als verzweifelte Einzelgänger kreuz und quer durch das damalige Imperium Romanum „wanderten“. Die lebenshungrige und träumerische Jugend in Jeans und T-Shirt aus Somalien und Nigeria, Kenia und Tunesien stürmt mit Nylontasche und Handy in der Hand die verheißenen Küsten. Migranten, Flüchtlinge, Asylanten, Terroristen, arme Schlucker, Visionäre: Wie immer man die Männer, Frauen und Kinder (mit oder ohne Eltern) definieren will, ihr ungeheurer Trip durch die Hölle (wobei die glühende und zugleich eisige Sahara – oder die lebensgefährlichen Unterschlüpfe in LKWs oder Frachter –, in der sie jeder Art von psychischem und körperlichem Gräuel ausgesetzt sind, meist das kleinere Übel darstellen), der sie nicht nur ihr spärliches, hart zusammengerafftes Hab und Gut sondern mitunter auch Leib und Seele kostet, veranlasst und „organisiert“ von skrupel- und erbarmungslosen Bestien, droht nicht nur unsere (noch) heile Welt sondern vor allem ihr phantastische Bild, ihren Traum vom demokratischen, gastfreundlichen, gerechten Europa auf den Kopf zu stellen.

Nun gut. Von dieser Hölle („Ich bin zwei Mal durch die Hölle, und das durch Lybien. Wer Lybien überlebt, und das sogar zwei Mal, der hat den Arsch voller Glück, warum also sollte ich von einer Hölle reden, wenn ich soviel Glück hatte wie tausend andere nicht?“) und vom Leben (sofern man das noch Leben nennen kann) das man dort führt, berichtet Maxi Obexer in ihrem Erstlingsroman Wenn gefährliche Hunde lachen, erschienen im Folio Verlag (168 Seiten, € 21,70).

Obexer, geboren in Brixen, lebt als freie Autorin im Ausland. Sie hat kein leichtes Experiment gewagt, indem sie den hoffnungslosen Leidensweg ihrer Heldin, der ambitiösen Journalistin Helen, von Lagos, Nigeria, nach Deutschland, Europa, zu Papier gebracht hat. Sie widersteht standhaft der Versuchung, ein emotionsgeladenes, aufbauendes Bild vom qualvollen Treiben ihrer Romanheldin, der fürwahr kein Leid erspart bleibt, zu malen – auch dann, wenn sich ihr nach dem totalen, körperlichen und geistigen, Zusammenbruch, doch noch ein in schmaler Pfad zu sich selbst und der abweisenden Welt öffnet. Sie lässt die Zügel ihres kraftvollen Erzählens nie aus der Hand, bändigt mutig und unbeirrt ihr Mitleid(en), ihre natürliche Sympathie für die verlorenen Brüder und Schwestern aus der Unterwelt – besonders wenn die Wirklichkeit allzu sehr die Phantasie übertrifft. Das Buch liest sich gut, überzeugt, bewegt. Auch dank der einfachen, sauberen, ehrlichen Sprache, der sich Obexer bedient. Häufig lässt sie auch ihre Heldin zu Wort kommen bzw. traumhafte Briefe an ihre zurückgebliebenen, besorgten Angehörigen schreiben: Umstand der die Dramatik der Geschichte in ihrer völligen Absurdität noch unterstreicht.

Ist man als europäischer Leser von den unbeschreiblichen Schikanen, denen die Emigranten in der „dritten“ Welt ausgesetzt sind, zwar beeindruckt aber nicht wirklich betroffen, überwindet man den letzten Teil des Buches, wo Helen der kalten, herzlosen europäischen Bürokratie, die sie buchstäblich außer Verstand bringt, gegenübersteht, nicht ohne Magenkrämpfe. Berechtigte, möchte ich hinzufügen: Denn bezüglich Emigration bzw. Integration bedarf es auf dem alten Kontinent eines radikalen, allseitigen Umdenkens. Auch dazu kann dieses Buch hilfreich sein.

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