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October 17, 2011

Abdulwahid Al Shami, der Buchrestaurator

Renate Mumelter

Die Tradition der Kamingespräche, nach der jeder in seiner Muttersprache spricht, konnte am Montag, den 10. Oktober nicht umgesetzt werden, denn Abdulwahid Al Shami kommt aus dem Jemen, seine Mutter ist Äthiopierin. Gastgeberin Verena Mumelter und Abdulwahid Al Shami unterhielten sich auf Deutsch. Abdulwahid Al Shami lebt in Girlan, ist mit einer Südtirolerin verheiratet, und betreibt eine Werkstatt als Buchrestaurator. Geboren wurde er in Äthiopien, aufgewachsen ist er im Jemen, studiert hat er in Deutschland. Seine Geschichte ist die Geschichte einer Reise, und es ist die Geschichte von Kulturschocks. Beim Kamingespräch des KulturForumCultura begaben sich Gast und Gastgeberin auf eine Reise, die auch das Publikum in unbekannte Welten und unbekannte Denkweisen entführte. Als Al Shami das erste Mal nach Deutschland kam, um sich in Göttingen zum Buchrestaurator ausbilden zu lassen, war der Kulturschock gewaltig, erzählt er. Kein Mensch lachte, kein Mädchen ist auf ihn zugegangen, wie es ihm die Kollegen im Jemen vorausgesagt hatten. Es war nicht sein erster Kulturschock. Nachdem er seine frühe Kindheit in Äthiopien verbracht hatte, wohin sein Vater als ganz junger Mann ausgewandert war, kehrte die Familie in den Jemen zurück. Dort sahen die Männer wie Frauen aus, erinnert er sich, sie trugen nicht Hosen, wie in Äthiopien sondern lange Kleider. Abdulwahid Al Shami gewöhnte sich daran, so wie er sich an das fehlende Lachen in Deutschland gewöhnte und an Vieles mehr.

Die Liebe zu Büchern ist fast zufällig entstanden. Nach dem Abitur war Abdulwahid Al Shami halbtags in einem Krankenhaus angestellt, den verbleibenden halben Tag fuhr er Taxi, weil er keine Lust hatte, den ganzen Nachmittag Kat zu rauchen, wie im Jemen üblich. Und bei diesen Taxifahrten lernte er zwei Buchrestauratoren aus Deutschland kennen, die einen reichen Manuskriptenfund in Sanaa betreuten. Eine Tätigkeit, die ihn interessierte, auch wenn es mit dem Job bei den Restauratoren nicht gleich klappte. Ein Jahr wartete er auf die Rückkehr der zwei Männer, nahm über eine kleine Ausrede mit ihnen wieder Kontakt auf, und so kam es zu einem Stipendium für eine dreijährige Ausbildung zum Buchrestaurator in Göttingen. Er arbeitete an der Restaurierungsabteilung der Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen, im Deutschen Ledermuseum in Offenbach, am Institut für Papierrestaurierung an der Bayrischen Staatsbibliothek in München. Seine Beziehung zum Jemen hat Abdulwahid Al Shami nie abgebrochen. Immer wieder kehrt er dorthin zurück, um Restauratoren auszubilden oder selbst Arbeiten vorzunehmen, wie erst im letzten Februar bei einem Fortbildungskurs im Manuskriptenhaus in Sanàa.

Abdulwahid Al Shami kennt den Nahen Osten gut, auch weil er sich immer wieder dort aufhält. So hat er beispielsweise Kurse für Restauratoren in Marokko (Rabat), Kairouan (Tunesien) durchgeführt, 1992 war er Projektrestaurator in der Assad-Bibliothek in Damaskus (Syrien). Entsprechend abwechslungsreich war das Kamingespräch mit ihm, in dem er unbekannte Welten und unbekannte Denkweisen näher brachte und eine kleine Tür in die den meisten nur aus flotten TV-Berichten bekannte Welt öffnete. Dass vor ein paar Tagen einer jemenitischen Frau der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, wertet er als großen Erfolg. Jemenitische Frauen seien stark, sagt Abdulwahid Al Shami.

Das nächste Kamingespräch zum Thema Wie Kultur entsteht findet am 14. November 2011 um 20.30 Uhr im Damensalon des Hotel Laurin statt. Der Musiker Andrea Maffei ist Gast von Micki Gruber.

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