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September 8, 2011

Teresa Margolles. Vitales Material

Lukas Bertagnolli

Gefühle essen Gedanken auf – Warum die Ausstellung Frontera im Museion ethisch bedenklich war und auf gewaltsame Weise den Blick auf den Tod trübte Vergangene Woche hat im Museion eine ethisch fragwürdige Schau geschlossen, für die das Körperfett von toten Menschen – ohne deren Einverständnis zu haben – abgesaugt, konserviert, umgeformt, ausgestellt und verkauft wurde.

Das ist in der Tat ein gewaltsamer Akt, zumal der Leichnam – anders als eine ausgestellte Gletschermumie oder eine medizinische Versuchsleiche – zu einer völlig anderen Identität umgeformt wird, zu einem ästhetischen Werk. Der tote Mensch und sein Leben dienen als willenloses Material für ein Ding und werden diesem Ding symbolisch untergeordnet.
Diese Unterordnung ist umso brutaler, als das tote menschliche Material zwecks Aura des Lebendigen organisch aufgepeppt wird: Mittels Wasser und Zellgewebe wird der tote Mensch – ganz anders als bei den Schädelkopien aus Platin von Damien Hirst – zum vitalen Material aufgemotzt.
Ein toter Mensch als vitales Material für eine Botschaft mit einer banalen symbolischen Rhetorik – dieses Unverhältnis macht Frontera nicht nur zu schlechter Kunst. Die Künstlerin macht sich die Toten verfügbar und zu einer entrechteten Biomasse. Es scheint geradezu so, als würde das biopolitisch unterworfene nackte Leben, so wie es Giorgio Agamben beschreibt, im Museion in Form eines Kunstwerkes anschaulich werden.
Den Vorwurf, dass es sich hier – wie moralisch auch immer die Botschaft der Ausstellung sein mag – im großen kulturhistorischen Kontext um gestörte Totenruhe und um verletzte Menschenwürde handelt, kommentierte die Kuratorin Letizia Ragaglia mit Verweisen auf berühmte Kunstaktionen mit Tierknochen und lebenden Chinesen, was insofern völlig verbogen ist, als sie das Problem völlig verfehlt.

Tatsächlich hat die emotionale Ausstellung den Blick auf den menschlichen Tod eher getrübt denn geklärt. Das zeigte sich auch in den Ausstellungsbesprechungen. Für Georg Mair im Wochenmagazin ff ist die Kunst schlichtweg „intim“ als ginge es um erotische Begegnungen, und in der Neuen Südtiroler Tageszeitung suchte Heinrich Schwazer einen kritischen Standpunkt mit Hilfe von politischen Parteien (sic!) und zog den irreführenden Vergleich zur Praxis der Reliquien, so als würden in Frontera eine Person nach ihrem Glauben verehrt und nicht als namenlose Masse ausgestellt in einer Form, die diesem toten Mensch völlig fremd und lebensfern ist.
Frontera ist ein Präzendensfall in der Kulturgeschichte, der – wie auch die Symbolik der Ausstellung – auf dem Prinzip der simplen Analogie und Umkehrung gründet. Der Ursprung der Kunst liegt im Totenkult, wofür Abbilder der Verstorbenen mit Medien hergestellt wurden, durch welche die Kunst erst vom Leben unabhängig werden konnte. Umgekehrt aber dient hier der Mensch als anonymes Material für eine künstlerische Botschaft, die sich über das Material dem Leben anzugleichen versucht. Es ist so, als wäre ein analytischer Maschinentheoretiker wie Mc Luhan („the medium ist the message“) zum durchgeknallten Kunstschamanen geworden. Die symbolische Gewalttätigkeit von Frontera kann – das haben einzelne Besprechungen der Ausstellung gezeigt – nur mit Zynismus oder Ignoranz gerechtfertigt werden. Im Museum wird sie in Form eines sauberen, weißen Minimalismus kaschiert.

Dass diese Neuformung von toten Menschen auch das Verdienen von Geld bedeutet, will der Katalog zur Ausstellung geradezu bestätigen, fragt er doch einmal: Warum sollte man etwas verurteilen, wenn es finanzielle Vorteile bringt? Es ist ein Satz, der im Zusammenhang mit dieser Ausstellung ins Auge fällt. Zumal die Künstlerin laut FAZ von bedürftigen Eltern schon mal die gepiercte Zunge eines Jungen abkauft, um sie dann öffentlich auszustellen.
Die Herstellung von Kunst wie Frontera ist in Europa nur schwer denkbar, gerne wird sie über den Kontext der mexikanischen Kultur erklärt, wo sich Aberglaube und Katholizismus mischen wie kaum anderswo. Die makabre Exotik gibt der Ausstellung in Bozen jene Note postkolonialer Toleranz, wie sie der Philosoph Slavoj Zizek unlängst beschrieben hat: „Toleranz bedeutet: Belästige mich nicht. Und belästige mich nicht bedeutet: Komm mir nicht zu nahe.“ Mit einem Wort: Diese Kunst soll berühren, aber zu nahe kommen darf sie nicht. Frontera war eine Ausstellung, die den mexikanischen Gewaltalltag im Museum auf symbolische Weise fortgesetzt hat. Sie erzwang auf unlautere Weise das Mitgefühl und deckte damit zugleich die klaren Gedanken zu. Frontera deckte die Gedanken zu, als wären sie Leichname.

Die Ausstellung war gemeinsam mit dem Fridericianum in Kassel produziert worden. Am Dienstag wurde deren künstlerischer Leiter, Rein Wolfs, zum Gastkurator des Museions für 2012 ernannt.

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