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May 27, 2011

Acta est Fabula. Literatur, Kunst und Tanztheater in Lana

Haimo Perkmann

Acta est Fabula. Was geschehen ist, ist Geschichte. Unter diesem Titel findet Freitag und Samstag im Eurocenter der Industriezone Lana die jüngste Veranstaltung des renommierten Literaturvereins Literatur Lana statt. Mit diesem Event sprengt Literatur Lana ein weiteres Mal das enge Korsett der Einzellesung. So begibt sich das Programm von Acta est Fabula auf die Spur des Erzählens in Dichtung, Kunst und Tanz. Dabei werden die Lesungen von Vorträgen und Gesprächen, einer Videoinstallation von Judith Albert und einer Tanzperformance der illustren Wiener Tanzgruppe „Kabinett ad Co“ begleitet.

Wohin führt die Spur der Erzählung? Die Spur der vielen kleinen Erzählungen, die es wert sind erzählt zu werden? Und was macht sie es wert, erzählt zu werden? „Acta est Fabula“, der Spruch, der häufig altrömische Komödien beendete und auch dem römischen Kaiser Augustus als Sterbewort in den Mund gelegt wird, kann hier zweierlei Nuancen annehmen. Er kann als „Vorbei ist vorbei“ gedeutet werden, er kann aber auch den Übertritt des Realen in das Virtuelle, in den Kometenschweif des Wissens, bezeichnen, zum Beispiel in Form des Übertritts vom Leben in den Tod. Dann würde er besagen: „Das Geschehene wird nun der Geschichte überantwortet“. Doch was der Geschichte überantwortet wird, wird auch der Geschichte überlassen. Schon Sokrates beschwerte sich in Platons Phaidros darüber, dass der nicht Anwesende sich gegen die Anwesenden nicht verteidigen kann.  So kann sich das geschriebene Wort im hier und jetzt nicht gegen das gesprochene Wort verteidigen. Gleichwohl könnte man festhalten, dass sich das gesprochene Wort in der Geschichte nicht gegen das geschriebene Wort verteidigen kann. In seinem Primat des gesprochenen Wortes schreibt Sokrates nicht,  sondern spricht nur vor Ort mit den Menschen, aus demselben Grund schreibt Lao Tse nicht, sondern spricht nur mit denen, die ihn aufsuchen. Die kleinen Erzählungen, die tausend Geschichten des vielfältigen regionalen, minoritären Wissens sind weit davon entfernt, unter dem Stereotyp des Hausverstandes subsummiert zu werden zu können.

Mit „Acta est Fabula“ folgt Literatur Lana also der Frage nach der minimalsten Spur dieser minoritären Erzählungen, die in Kunst, Literatur und im Tanz am Werk sind, diese aufbauen. Doch was passiert mit dem Rest an Narration? Die Kunst trachtet nach einer künstlerischen Position, um den narrativen Grund und die narrative Mitteilung aufzulösen und sie in Abstraktion zu setzen? „Dann gewinnt – so die Analyse der Organisatoren von Literatur Lana – möglicherweise die Reduktion der Narration und Handlung umso mehr die zwingende Bedeutung der Erinnerung ans Gegebene und der Erinnerung an den Anfang als Auslöser der Erzählung und des Sprechens im Kontinuum.“

Die Veranstaltung

Die Veranstaltung findet im Eurocenter in der Industriezone von Lana (MeBo Ausfahrt Meran Süd, großer Parkplatz) statt, wo eine Halle bespielt und damit für zwei Tage eine periphere Kulturstation an einem Ort von eigenartiger regionaler Atmosphäre errichtet wird: Inmitten einer singulären Kulisse, zwischen der unberührten Natur des Biotops und der straffen Raumordnung der Gewerbezone geben Literatur, Kunst und Tanz ein Gastspiel als Ereignis:

In den Videoarbeiten der Künstlerin Judith Albert gibt es Handlungen, kleinste Geschichten, die erzählt werden, den Ablauf eines Geschehens mit einem Anfang und einem Ende. „Auch wenn bisweilen Bezüge zu bekannten Gemälden aufleuchten, so erinnert diese Sprache höchstens, und auch dies nur von ferne, an die Arbeiten Tarkowskis; wie dort ist hier eine Verbindung von Ruhe, Konzentration und Gelassenheit zu spüren, die einem erst nach dem Verlassen des Raumes zeigt, dass nicht mehr alles so ist wie vorher.“ (NZZ, 9.,10 November 2004)

Werner Hamacher, Sprachphilosoph und Literaturtheoretiker, nimmt ein provokant deklariertes Ende des erzählenden Sprechens als Anlass, um über Gegenwart und Gegenwert der Philologie zu reflektieren. In Lana referiert Hamacher über die notwenige Selbstvergessenheit der Philologie: „Beten ist nur möglich, wenn es keinen Gott gibt. Erst das Gebet ergibt einen Gott. Die fortgesetzte Gabelung zwischen keinem und einem Gott ist der Weg der Philologie. Er ist eine fortgesetzte Aporie, eine Diaporie.“

Mit den Dichtern Ferenc Szijj, Farhad Showhgi und Anja Utler kommt eine Lyrik zur Sprache, die auf je verschiedene Weise den narrativen Grund als „assoziative Andockmanöver“ (F. Mayröcker) oder als beständige Kulisse der zurückhaltenden Reflexion aufbaut und präsent hält. Unaufdringlich wird dabei ein Geschehen, eingedenk der Kontingenz des Faktischen, erzählerisch arrangiert.

Den Abschluss der Veranstaltung bildet eine besondere Aufführung des renommierten und viel prämiertenTanztheater Kabinett ad Co. um Paul Wenninger. In der Inszenierung „47 Items – Ingeborg & Armin“ folgt die Tanzgruppe einer Textvorlage des Lyrikers Michael Donhauser und erhebt darin die Koordination als Methode der Raumerzeugung. Sie geschieht parallel zur szenischen Handlung anhand von Produkten aus dem Supermarkt. Durch das Zusammenwirken von Objekten wird er Text in einen raumzeitlichen Ablauf übersetzt, und der Supermarkt als Pre-Fab-Umgebung und Objektlager stilisiert.

„47 Items – Ingeborg & Armin“ erzählt das Geschehen des Alltags, das in seiner unwiederbringlich verlorenen Alltäglichkeit, diskontinuierlich fortlaufend, immer schon singulär ist. Der Alltag als etwas, das komplizierter, vielfältiger und spannender ist als die Fiktion.

Die musikalische Umsetzung der imaginären Geschichte zeigt eine Vergänglichkeit, die im Klang der Trompete Reales, Erfundenes und Göttliches in eins setzt. Die Musik folgt den Spuren, welche die Ereignisse beschreiben und die dramaturgischen Elemente verbindet.

„Paradox daran erscheint, dass das Individuum dazu aufgefordert wird, je individuell für diese Sportlichkeit und Leistungsbereitschaft zu sorgen, um sie dann als austauschbare Größen zur Verfügung zu stellen. Das körperpolitische Prinzip dahinter erklärt damit die Bedingungen des Körpers und Individuums zu einer Agenda des Privaten, dessen Rolle – wenn überhaupt – nur unter den Koordinaten des Imaginären erscheinen darf. Die Grenze dieses Imaginären zu thematisieren und zu verhandeln, ist körperpolitische Frage, die sich dem Tanz gegenwärtig stellt. Und geschieht dies, wie in der Inszenierung von Wenninger, dann erreicht der Tanz – so paradox dies klingen mag – eine Gegenwärtigkeit auf der Basis dessen, was ihm versagt bleibt.“ (Andreas Spiegl)

ACTA EST FABULA
Von der Nähe des Erzählens in Dichtung, Kunst und Tanz
Im EUROCENTER der INDUSTRIEZONE LANA (MeBo Ausfahrt Meran Süd)
Freitag, 27. MAI 2011 und Samstag, 28. MAI 2011
Kuratiert von Michael Donhauser und Christine Vescoli
Mit Judith Albert, Werner Hamacher, Farhad Showghi, Ferenc Szijj, Anja Utler und Paul Wenninger mit dem Kabinett ad Co.

PROGRAMM

Freitag, 27.05.; 20.00
Eröffnung: Christine Vescoli
Michael Donhauser: bewegend bewegt. Zur Frage des Erzählens und der Perspektive
Judith Albert: Videoarbeiten

Samstag, 28.05.
11.00: Werner Hamacher: Thesen zur Philologie. Kommentierter Vortrag und Gespräch
18.00: Lesungen: Ferenc Szijj, Anja Utler und Farhad Showghi
20.30: Paul Wenninger und Kabinett ad Co: 47 ITEMS – Ingeborg & Armin
Konzept: Paul Wenninger
Tanz: Ewa Bankowska, Laia Fabre, Lisa Hinterreithner, Esther Koller
Text: Michael Donhauser
Soundenvironment: Nik Hummer
Komposition und Trompete: Franz Hautzinger
60 Minuten

Während der Gesamtdauer der zweitägigen Veranstaltung werden zwei Videoarbeiten von Judith Albert in der Halle der Eurocenters gezeigt:
Pomeriggio, 2002,  Video, 60 Min. Loop, Farbe, Ton
rough the eye of the hand, 2010, Video, 6 Min. Loop, Farbe, Ton

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