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March 30, 2011

all&tägliches: Doing Kaffeehäuser

Sarah Sailer

„Drei Euro sechzig.“ Krass. Damit hatte ich nicht gerechnet. Mit einem zögerndem Zusammen-krallen der Restmünzen und einem mir-nichts-anmerkendem Lächeln übergab ich dem Kellner – er konnte schließlich nichts dafür – das Geld. Das war bisher das Höchste, was ich für eine Wiener Melange hinblättern – oder besser – hinklimpern sollte. Es war auch das Kaffeehaus, wo mir von Freunden undReiseführern suggeriert wurde, dringend hinzugehen, um ein Stück traditionelle Wiener Kultur zu erleben. Darauf war ich – obgleich aus der Ethnologie kommend vorgewarnt – gespannt. Bevor ich also aus dieser Stadt abhaue, musste dieses Kaffee abgehakt sein. Es war das vierte seit dem Beginn meiner Tour durch einen Bestandteil der Wiener Kultur, das teuerste und das dunkelste. Alles war dunkel, das Holz der schweren Möbel, die tiefrot und tiefbraun gestrichenen Wände und die Vorhänge dämpften auch noch das letzte Licht von draußen. Ich dachte während meines – für Kaffeehäuser eher untypischen – kurzen Aufenthaltes über den Wert dieses Kaffeehauses nach, das sich insbesondere ob seines Erhaltes der authentischen Einrichtung so sehr der Beliebtheit der Reiseführer erfreut. Etwa aufgrund der Vorhänge und der Sitzbänke, die schon seit mindestens einem Jahrhundert nicht mehr gewechselt wurden und der hölzernen Kleiderständer, die fast nur noch als Zierde darin standen. Die Ausstellung moderner Kunst war jedoch frisch. Sie lockerte die sonst so schwerfällige, biedere Atmosphäre etwas auf. Ungemütlich saß ich auf der grindigen Bank, trank den laschen Kaffee und beobachtete die Touristen um mich, die in dieselbe Falle getappt waren. Alle tranken Kaffee. So gehört es sich. In einem Kaffeehaus muss man_Tourist:frau_Touristin fast Kaffee trinken, um sich als Teil der Kultur zu fühlen. Um integriert zu sein. Für jene, die sich ganz den Klischees Wiens beugten, muss auch noch ein Stück Sachertorte hinzu. Ich mag keine Sachertorte, mir reichte der Kaffee und die drei Euro sechzig.

Viel billiger war es auch in den anderen Kaffeehäusern nicht. Doch andere Spitzfindigkeiten wogen den Preis auf. Entweder die Torten übertrafen sich gegenseitig in ihrem Aussehen oder die Kronleuchter glänzten auf eine beeindruckende Weise oder die Vielfalt der Zeitungen aus (fast) aller Welt führte zu Erstaunen oder die billigen Menüs. Systematisch hatte ich in dem Selbstversuch „Besuch der Wiener Kaffeehäuser“ jeweils eine Melange und (manchmal) eine Frittatensuppe bestellt. Ich übte mich im langen Ausharren – wie es sich für das Wiener Kaffeehaus gehört – studierte gleich mehrere Zeitungen, schmiedete an Texten, las angesehene Lektüre und erfüllte somit die kulturelle Disposition, die dieser Ort vorgab. Ich bewegte mich nach dem vorgegebenem Muster. Bewusst. Nie fühlte es sich aber so richtig entspannt an. Aber es bedarf wohl einfach einiger Übung. Und dazu bedarf es der Lust aus reiner Beobachtungsfreude drei Euro sechzig für die Melange zu bezahlen. Und sich ins Dunkle zu setzen. Und kitschig zu sein. Und die hab ich grad nicht. Lieber will ich eine Donaukanalstudie durchführen.

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