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January 15, 2011

all&tägliches: Haben Sie Wien schon bei Schnee gesehen, haben Sie das schon erlebt?

Sarah Sailer

Schon beim Aufstehen hatte ich gemerkt, dass ich sehr ruhig geschlafen hatte. Eine angenehme Müdigkeit umgab mich an diesem Morgen. Sie war durchaus anders als die an den übrigen Dezembertagen. Über Nacht hatte sich eine weiße Decke über alles gelegt. Schnee. Nun endlich auch in Wien. Freudig nahm ich wahr, wie das Bild vor meinem Fenster sich verändert hatte. Die Einheitsfarbe grau wurde vom einem deckenden Weiß abgelöst. Schon immer hat mich der Schnee wegen dieser seiner Verwandlungskunst fasziniert. Wenn es schneit ist nichts, wie es gewöhnlich ist. Es ist etwas Besonderes. Wie sehr dieses Besondere den Alltag in der Stadt verändern würde, wusste ich da allerdings noch nicht. I’ll tell you.

Der Schnee fiel und lag an diesem Morgen – wie es bei diesem Wetterphänomen durchaus üblich ist – in weißer Farbe. Es waren noch keine Schneeräumer ausgerückt, die Schneeschipper – umgangssprachlich würde mensch vielleicht „Schneaschaufler“ sagen – schliefen noch oder waren vielleicht gerade dabei, die Schaufeln aus dem Keller zu suchen. Überall auf den Straßen lag Schnee. Es waren wenige Menschen und wenige Autos auf den Wegen.

Es ist  an dieser Stelle durchaus angebracht, sich ein romantisches Bild mit beschneiten Straßen, Dächern und – wenn vorhanden – Bäumen, sowie in Mäntel und Mützen eingelullte Personen vorzustellen.

Sehr früh ging ich vorlesungsbedingt an diesem Tag außer Haus zur Straßenbahn; das Rad konnte ich nun endgültig im Hof stehen lassen. Auf dem Weg dorthin waren alle Verkehrszeichen auf der Straße verdeckt. Hätte ich es nicht anders gewusst, gäbe es keinen Radweg mehr, keinen Zebrastreifen, keine STOP-Aufschrift. Alles war unter der weißen Decke verschwunden. Ich frohlockte ob dieses Chaos’ und ging querfeldein durch und über die Straßen, sogar mitten auf der Straße. An der Haltestelle angekommen, wartete ich auf die Straßenbahn, in der ich zwei Minuten später eine auffällige Gedämpftheit wahrnahm. Es kam mir so vor, als ob an diesem Morgen alle  Fahrgäste – wie ich – nur schwer aus dem Bett gekommen waren. Nur eine Frau telefonierte aufgeregt, was diese sonderliche Ruhe störte.

Die Vorlesung entpuppte sich an diesem Morgen frisch wie immer, nur die hinterste Reihe war schläfrig. Bei vielen schien der Schnee nur wenig Einfluss zu haben. Ich fragte mich, woran das wohl liegen möge, und gerne hätte ich ihnen auch ein bisschen mehr Ruhe gegönnt. Aber was wäre wohl, wenn sich alle dieser Beruhigung der fallenden Flocken hingeben würden?

In der Zwischenzeit hatte ich eine Einladung in einen Randbezirk Wiens erhalten und erhoffte, während ich in die Flocken schaute und dem Hintergrundgeräusch des Referats lauschte, bald wieder hinaus in das Schneetreiben zu kommen. Und tatsächlich war ich wenig später mittendrin. Ich war – mit der U-Bahn – in der Nähe der Gastgeberstätte angekommen, hatte eine Stadtkarte mit, aber keine Chance mich zu orientieren. So wandelte ich also ein Weilchen durch den Schnee.

In der Zwischenzeit hatten sich schon Spuren in den Schnee festgemacht, erste braune Schneehaufen vermischt mit Kieselsteinen lagen herum, Matschspritzer von den vorbeifahrenden Autos besprenkelten meine Hosen. Doch es schneite fest weiter, mit aller Kraft so schien es, wollte sich das weiche Weiß die Stadt zurückerobern. Mit den Winterschuhen aus dem Waldviertel – das geographisch übrigens sehr nahe liegt ­– stapfte ich auf den noch ungeräumten Gehwegen.

An den Straßenseiten standen viele Autos mit einer Schneedecke, einige hatten es wohl heute stehen lassen. Die Fahrzeuge, die an mir vorbei fuhren, produzierten weniger Geräusche als sonst, weil die weiße Decke sie abdämpfte. Ich ging an Autos vorbei, die so langsam fahren mussten, dass ich als Fußgängerin gleichberechtigt war. Dies war sehr erfreulich, zumal sich in der Stadt ansonsten Autofahrer_innen oft wie die einzigen Besitzer_innen der Straßen verhalten.

Neben mir brachte ein Vater nur schwer seinen Kinderwagen voran, der Schnee forderte ihm einiges an Kraft und guten Willen ab. Ich stapfte an ihm vorbei und entdeckte endlich die Straße, in der sich die Wohnung befand. Ich bog ein, niemand (!) außer mir war da. Alleine an beschneiten Sträuchern und Autos vorbeigehend sinnierte ich über die Mobilität, die an diesem Tag nicht nur anders war, sondern von vielen gar nicht getätigt wurde. Die Fortbewegung in der Stadt war am Besten mit den Öffis – in der Stadt gebräuchliche Abkürzung für Öffentliche Verkehrsmittel –  und zu Fuß oder eben gar nicht zu bewältigen; Elternteile mit Kinderwagen, Radfahrer_innen und Autofahrer_innen würden im Schnee nicht gerade vom reibungslosen Fortkommen sprechen. Sie war jedenfalls durchbrochen, wirkte verlangsamt, ruhiger, stockiger, auch chaotischer.

Schließlich war ich angekommen. Die Wohnung lag im obersten Stock, es gab einen herrlichen Ausblick und eine herrliche Lasagne. Wir redeten über die Universität und freuten uns über den Schnee. Der Gastgeber las uns vor dem Computer sitzend vor, dass bei Schnee 4% der Menschen einen Schneemann bauen, 1% eine Schneeballschlacht machen und die restlichen anderen „Schnee“ auf Facebook posten. Amüsiert ob dieses Eintrags und mit der offenen Frage, ob es an der Passivität vieler Menschen oder der Macht des Social Networks, an Faulheit oder Entfremdung von der Natur liegt, beschäftigte mich hauptsächlich das Eindringen des Wortes „Schnee“ in die Alltagssprache.

An Schneetagen wird es entweder geposted oder gesmst oder es erreichen einen persönlich Berichte von Schneemengen, Schneeerlebnissen, Schneetatsachen. Es scheint fast so, als ob es unmöglich wäre, ihn nicht aufzunehmen, zu registrieren und eben wiederzugeben. Da klingelte das Telefon und ein Freund erzählte mir, dass es in Bayern seit mehreren Tagen nicht aufgehört hatte zu schneien.

Auch in Wien schneite es noch immer. Wir ließen uns in der Wärme noch etwas von den fallenden Flocken berieseln und gingen erst beim orange-gefärbten Abendhimmel nach Hause. Das Weiß hatte sich nun zunehmend in braune Masse verwandelt, auf den meisten Gehwegen waren Kieselsteine gestreut worden, vor den Geschäften wurde fleissig geschippt. Wie immer saß die Frau vor dem Spar, in dem ich einzukaufen pflege, und bat um Geld. Überall wurde und war geräumt, beseitigt, geschippt, gekehrt, enteist worden. Sie und die Räumer_innen und Kehrer_innen trotzten der Unordnung, die der Schnee brachte. Es tat mir ein bisschen leid, diesen Beseitigungsdrang zu vernehmen. Doch wann sonst hat der_die Stadtbewohner_in die Möglichkeit in das Stadtgeschehen einzugreifen? Dies mag jetzt vielleicht etwas argwöhnisch klingen, ist es aber nicht. Denn tatsächlich bietet der Schnee die Möglichkeit zu räumen, nicht nur den Schnee vor seiner eigenen Haustür, sondern auch den vor der Nachbar_innen Tür, wieso nicht den ganzen Gehsteig in der Wohnstraße. Ein sozialer Gedanke, so finde ich, und auch das ist ja nicht immer an der Tagesordnung.

Dieser Wetterzustand chaotisiert den Alltag, wirft ihn aus den Bahnen, führt eine ungewollte Entnormalisierung herbei, löst in manchen einen regelrechten Putz- und Sauberkeitsfimmel aus. Damit wieder ein bisschen Ordnung hineinkommt. Ich muss sagen, dass ich der Unordnung jenes Tages gerne ein wenig mehr gefrönt hätte. So machte ich – es schneit noch immer (!) ­– einen Schneespaziergang auf den schneebedeckten Spazierwegen der Stadt und legte mich anschließend zu Bett.

Am Frühstückstisch des darauffolgenden Morgens las ich die Glosse des Standards. Dort wurde über die Berichterstattung der Boulevard-Presse von Schneechaos und Schneehölle, wo doch Schnee eine gewöhnliche Erscheinung des Winters ist, geschimpft. Ich lächelte zufrieden. Nicht nur ich freute mich also über dieses gewöhnliche – dennoch nicht alltägliche – Winterereignis, das auch durchaus mal liegen bleiben darf. Zumal der Folgetag nicht nur Schönes und Ordentliches zu bieten hat – mit seinen auftauchenden Spuren, die im Schnee untergetaucht waren…

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