Music

January 17, 2019

“Il Brandy non si mette nel tè”: XelaM

Florian Rabatscher

Längst vergessene Klänge aus den 80ern erfüllen das Sudwerk an Halloween 2018. – Der Moment, in dem ich dieses wunderbare Duo namens XelaM entdeckte. Was für ein Konzert, ich kann fast nicht glauben, was ich da höre. Zwei Stimmen, ein durchdringlicher New Wave Beat, gezielte Schläge auf Percussion-Pads und zwischendurch ein paar Theremineinlagen. Die Stimmung wird zunehmend ausgelassener, das Publikum wirkt regelrecht hypnotisiert. Gütiger Gott, bin ich vielleicht zufällig in ein interstellares Wurmloch gestolpert und 30 Jahre durch die Zeit zurückgereist? Kann nicht sein, da ich mich immer noch in Südtirol befinde und es zu dieser Zeit nicht mal ansatzweise einen solchen Sound gab. Aber es muss doch eine Erklärung dafür geben, denn wie viele neue Bands versuchten schon diesen 80er-Stil zu kopieren. Die meisten davon scheiterten kläglich, fast schon armselig. Denkt nur an das Album „Ælita“ von Mando Diao: Alles schön und gut, aber … nein. Warum also XelaM den Spirit dieser Ära so exzellent einfangen? – Ganz einfach, sie haben die Luft dieser Zeit selbst eingeatmet. Ja, genau, das Projekt begann eigentlich schon im fernen Jahr 1985 …

Ich nehme mal stark an, dass ich euch dieses Underground-Traumpaar nicht genauer vorstellen muss, da sie in Bozen keine Unbekannten sind: Monik und Mr. Alex. Irgendwie und irgendwo haben sich eure und ihre Wege sicher schon gekreuzt, glaubt mir. Entweder ihr habt sie live mit ihren Bands (Peggy Germs, Santa Monika …) erlebt, Mr. Alex als DJ oder sie fielen euch einfach durch ihre besondere Aura auf. Für die ganzen legendären Geschichten, die sich um dieses Rock’n’Roll-Gespann ranken, reicht der Platz hier leider nicht aus. Deswegen bleiben wir bei der Sache und sprechen über XelaM. Wir treffen uns in ihren Privatgemächern, um bei Tee mit Rum über die Band zu sprechen. Ok, den Rum konnten wir nicht finden, stattdessen versetzten wir widerwillig unseren Tee mit einem Brandy. „Il Brandy non si mette nel tè”, erwidert Alex. Was auch stimmt, aber drauf geschissen, runter mit dem Gesöff und zurück zur Geschichte …XelaM2

Wir befinden uns in einer Zeit von miserablen Frisuren, genialer Musik, noch genialeren Filmen und einer noch in den Kinderschuhen steckenden Technik. Popper, Punker, Yuppies und Koks bevölkern die Szene. Und im gelobten Südtirol? Hier hingen Kühe noch an Ketten, man wurde vom Ski-Boom und vom Tourismus überrollt, endlose Diskussionen über ein Miteinander der beiden Sprachgruppen wurden geführt und doch konnte man sich in diesem wirtschaftlichen Schlaraffenland nur wohl fühlen. Ganz genau und zum Teufel damit. Was hätte auch Besseres passieren sollen? Wir waren ja zu beschäftigt damit, unsere traumatische Vergangenheit immer und immer wieder aufzuarbeiten. Keine Zeit für Dinge, die …naja … einfach Spaß machen. Auf der anderen Seite gab es dennoch diese Leute, wie XelaM, die sich in den Dienst des Rock’n’Rolls stellten. Wie gerne ich doch ihre alten Geschichten höre, viel besser als den Standardpatrioten bei ihren Vorträgen über Werte und Tradition zuzuhören. Reißt euch mal am Riemen und ergebt euch den wahren Freuden.XelaM3

Rock’n’Roll will save your soul… Im Jahr 1982 kommt ein junger Mr. Alex mit einem Drumcomputer in der Tasche aus London zurück nach Bozen. Er fängt an, mit dieser, damals noch neuartigen Maschine herumzuexperimentieren und nennt sich selbst XelA (sein Name rückwärts gelesen). Dann kam Monika in sein Leben, sie wurden ein Paar und ergänzten ihren Bandnamen mit einem „M“. Was für eine süße Geschichte doch hinter dem Namen XelaM steckt, mir kommen fast die Tränen. Der Rest ihrer Anfänge ist schnell erzählt: Nach nur einem Konzert und diversen Tapes, die sie nicht mehr finden, widmeten sie sich wieder anderen Projekten. (In den unendlichen Weiten von Alex’ Musiksammlung etwas zu finden, stellt sich als schwieriges Unterfangen heraus. Sogar Monik musste ihre Klamotten aus dem Kleiderschrank verbannen, um Platz für weitere Sammlerstücke zu schaffen.) Jedenfalls war der Sound auf diesen Kassetten viel experimenteller, als er es heute ist. Sollten sie wieder auftauchen, kriegen wir sie hoffentlich noch zu hören … – „The Lost Tapes Of XelaM“ … Heutzutage, denkt er, seien sie einfach zu alt, um nochmals diesen Anarchie-Charakter von damals hinzubekommen. Zu dieser Zeit verstanden sie einfach einen feuchten Dreck von Musik und das war alles: Alex spielte zum Beispiel eine Gitarre, die nie gestimmt war. Herrlich. Aber schlussendlich: Wer hätte sich so auf eine Bühne getraut? Niemand! Genau deshalb war es schon wieder Punk. Gibt es jetzt etwas Vergleichbares bei uns hier? Natürlich nicht. Doch sie versprühen den Duft des Punks, wie Pheromone, ganz natürlich. Und wie sollen wir ihren Sound nun also nennen? 80er Musik? New Wave? Vergesst das alles, nennt es bitte einfach nicht „Italo-Disco“ und passt. Hauptsache, die Leute reagieren gut darauf. Und das tun sie, obwohl sich Alex dessen anfangs gar nicht so sicher war. Da sie völlig ohne Instrumente auskommen und zu vorbereiteten Beats abgehen, kam es ihm eher wie Karaoke vor. Aber durchaus nicht! Für jüngere Leute ist es Vintage-Techno, für sie selbst ist es einfach ihre eigene Vergangenheit und für mich ist es eine verdammte Offenbarung. Zusammengefasst: Für uns ist es neu, für XelaM sind es alte Erinnerungen. Genau deshalb ist es schwierig für junge Bands, diesen Sound zu verstehen oder selbst hinzubekommen, weil sie diese Erinnerungen nicht haben. Mr. Alex erklärt es so: „Wie willst du zum Beispiel authentischen Reggae machen, wenn du kein Jamaikaner bist oder nie da warst?“ Darüber lässt sich natürlich noch länger diskutieren, aber eines ist sicher: Der Brandy schmeckt übrigens immer noch hervorragend im Tee. XelaM4

Wie erfrischend es doch ist, in einer Zeit von glatt geschniegelter Musik, eine Band wie diese zu hören. Es ist dreckigster Vintage und feinster Trash zugleich. Medizin für unsere gebeutelten Herzen. Der Song „Ice and Gin“ und das dazugehörige Video treffen es eigentlich auf den Punkt: Wie die Musik wurde auch das Video in ihrer gemeinsamen Wohnung produziert. Im Schlafzimmer, um genau zu sein, also noch privater geht wohl nicht: Ganz einfach einen Green-Screen vor das Bett gespannt und fertig war die Produktion. Und denkt nicht, dass es so trashig wirkt, weil sie keine anderen Mittel hatten, oh nein, genauso stellten sie es sich vor. Wie es sich gehört, ein kühles und distanziertes Auftreten, dazu noch ein paar abgeschmackte Hintergründe und ein Mr. Alex im Doppelpack … Was will man mehr? Das verdammte Bolzano-New-Wave-Paket. Auch für den Sound selbst werden schlicht und einfach dieselben Geräte wie früher verwendet. „Diese Bands klangen pur“, meint Monik. Worauf Alex kopfschüttelnd erwidert: „Pur? Blödsinn. So waren einfach die Zeiten, man hatte ja nix anderes.“  
Ganz genau, mit irgendwelchen neuen Computerprogrammen kriegst du es einfach nie genauso hin, also warum nicht gleich wie damals arbeiten? Feiner Schachzug. Langsam kommen wir dem Geheimnis ihres Sounds schon näher. Der Text zu „Ice And Gin“ stammt übrigens aus Moniks Feder: „Wenn du willst, dass ich freundlich zu dir bin, dann kauf mir einfach eine Flasche Gin.“ Punkpoesie der Extraklasse, die Ramones hätten es nicht besser ausgedrückt.

Noch ein kräftiger Schluck vom Tee mit Brandy, was für eine brisante Mischung, doch irgendwie funktioniert es, genau wie XelaM. Liegt es daran, dass sie wie füreinander geschaffen sind? Oder der Fakt, dass sie eigentlich alles von Zuhause aus machen können? Dass zu zweit einfach alles unkomplizierter ist? Egal woran es liegt, es breitet sich aus wie eine Atombombe. Wenn man daran denkt, dass sie erst im Juli 2018 wieder damit angefangen haben, ging doch alles ziemlich schnell. Drei Konzerte (zwei mehr als in den 80ern), ein Video und die erst kürzlich erschienene EP „Ice And Gin EP“. Es geht aufwärts, man hat jetzt schon das Gefühl, Legenden zu hören. Kein Revival von irgendeinem abgebrannten Star aus dieser Zeit, XelaM ist neu. Ich will sie auch keinesfalls als Erben von Bauhaus, DAF oder New Order betiteln. Auch wenn es übertrieben klingt, sehe ich sie eher auf derselben Ebene. Mittlerweile trinken wir den Brandy pur, wie es sich gehört. Und ja, er schmeckt vorzüglich. Während Alex verschiedene Anekdoten aus Elvis’ Leben vorträgt, von seltenen Vinyl-Formaten erzählt und sie beide verträumt vom CBGB (dem legendären New Yorker Underground-Lokal) berichten, stelle ich mir vor, wie die Freaks und der ganze Abschaum dieses Landes sich versammelt und zu der Musik von XelaM die Wiederauferstehung einer Ära feiert. Ja, die Welt ist wahrlich nur mehr eine einzige Kloake, tanzen wir deswegen zu Klängen aus einer besseren Zeit. Aus einer Zeit, in der dich jeder ausgelacht hätte, wenn du ihm erzählt hättest, dass Donald Trump einmal Präsident der Vereinigten Staaten wird. Einer Zeit, in der Justin Bieber noch nicht mal in Planung war und nur Face-Tattoos zu besitzen nicht als musikalisches Talent galt. XelaM schenken uns mit ihrer Musik Erinnerungen, die wir eigentlich gar nicht besitzen. Dafür ein großes DANKESCHÖN. XelaM5      

Fotos: XelaM   

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