Music

September 23, 2018

Rappen als Therapie: Marco Zelda Picone

Eva Rottensteiner

Im Untergrund, dort wo sonst nur die Ratten hausen, liefert sich die Bozner Rapperszene Sprachbattles vom Feinsten. Und genau dort im flimmernden Schein der Leuchtröhren zwischen Graffitis und Boxen, dort wo die Pullover und Hosen nicht kleiner als Größe XL sind, auf dieser Bühne ist Zelda zuhause. Hier im Dunkeln erzählt er Geschichten und macht seinem Ärger Luft. Eigentlich heißt er nicht wirklich wie diese eine Figur aus einem japanischen Videospiel, off-stage heißt er Marco Picone. Marco ist 26 und hat bis vor mehr als 8 Jahren noch im Chaos gelebt, wie er seine Heimat Neapel mehr oder weniger liebevoll bezeichnet, bis die Arbeit seiner Eltern ihn schließlich nach Bozen gebracht hat. Auch gut. Die Kälte ist ihm sowieso lieber. Bald wird er mit seiner Gruppe WTR (WhattaRap) die erste CD herausbringen. Ich habe ihn bei einem großen Sportwasser im Café getroffen …

Wie bist du in die Welt des Rap eingetaucht?

Vor vier Jahren habe ich aus Spaß angefangen zu rappen, während ich mit Freunden und meiner Schwester am Meer war. Sehr wichtige Schlüsselfigur: meine Schwester! Sie ärgert sich immer, wenn ich sie nicht in meinen Interviews erwähne, denn sie war es, die mich dazu motiviert hat, wieder mit dem Rappen anzufangen. Ich habe nämlich schon mit 9 oder 10 gerappt, weil mein älterer Cousin mit seinen weiten T-Shirts und Hosen mein größtes Vorbild war. Während des Matheunterrichts habe ich immer meine Texte geschrieben und war unheimlich wütend, wenn mir dann die Lehrer meine Zettel zerrissen haben. Damals dachte ich, das wäre nur eine Phase, aber als mich meine Schwester gefragt hat, warum ich es denn nicht noch einmal versuchen möchte, habe ich schließlich angefangen bei Rap-Battles und Freestyle mitzumachen. Mit der Zeit habe ich dann meine ersten Texte geschrieben, zuerst in meinem neapolitanischen Dialekt und langsam habe ich dann einen eigenen Stil entwickelt.

Mit der Zeit hat sich in deinem Umfeld eine ganze Crew gebildet …

Genau, bei einem Freestyle Battle in Lana habe ich Planta  und Donny kennengelernt, die ich beide zuerst nicht ausstehen konnte. Wir haben uns alle vorher nicht gekannt. Im Laufe der Zeit hat sich aber doch eine Formation gebildet, mal mit Donny, dann mit Planta und letztlich haben wir alle drei die Gruppe „WTR“ (WhattaRap) gegründet. Das erste Konzert führte uns nach Kalabrien und bald folgten Konzerte in verschiedenen Städten in Italien. Mein persönliches Highlight war wohl das TourMusicFest 2016, wo wir es bis ins Finale geschafft haben, und deshalb im Piper Club in Rom auftreten durften. Das ist ein historisches Lokal, wo schon Größen wie Pink Floyd und Jimmy Hendrix gespielt haben. Schon wenn du den Backstage-Bereich betrittst und die ganzen Poster an der Wand hängen siehst, fragst du dich „was habe ich hier verloren???“! Das war ein unglaublicher Abend!

 Warum Rap und nichts anderes?

Ich weiß auch nicht, aber Rap hatte immer etwas, das mich am meisten angezogen hat. Die Tatsache, dass man etwas in Reimen erzählt, das ist wie eine Art neuer Poesie, die man sich viel leichter merken kann. Außerdem stottere ich manchmal, aber wenn ich rappe passiert mir das nicht. Das kommt davon, dass sich im Gehirn ein Bereich aktiviert, sodass man sich mehr auf den Reim konzentriert. Im normalen Alltag bin ich wirklich sehr schüchtern, aber wenn ich auf der Bühne stehe, ist es anders.

Gibt es hier in Südtirol überhaupt eine Rapperszene?

Natürlich gibt es sie, wir sind viele! Erst kürzlich habe ich zusammen mit einem anderen Rapper einen zehnminütigen Song veröffentlicht mit fast allen Rappern aus Bozen. Wir sind viele und wir sind stark! Leider ist die Rapperszene meist außerhalb von der Stadt.

Und wo finden wir euch dann?

Im Winter hört man uns gar nicht. Im Sommer aber bestimmt beim Playground Bolzano auf den Talferwiesen, dort sind wir alle da. Letztes Mal sind wir auch mit WTR dort aufgetreten.

Marco Zelda Pic (4)

Wie entstehen deine Songs?

Das ist sehr komisch bei mir. Wenn ich eine Strophe für eine andere Person schreibe, brauche ich 20 Minuten und das Geschriebene ist auch nicht mal schlecht, aber beim Storytelling ist das schon anders. Da schreibe ich meistens einen Satz im Park, ein anderer fällt mir ein, während ich im Zug sitze … Seit einigen Monaten sammle ich alles auf meinem Handy, damit ich nichts vergesse. Ich glaube nämlich, im Laufe der Jahre habe ich 4–5 Texte komplett vergessen und noch einige weitere, während ich geschlafen habe. Ansonsten ist es mir ein paar Mal passiert, dass ich meine Texte geträumt habe. Am liebsten schreibe ich abends, wenn es regnet, am Berg oder im Zug.
Der Song Altair e Vega sollte usprünglich früher fertig werden, aber irgendwie hat das nicht geklappt. Doch irgendwann dann im September um 2:00 Uhr nachts hatte ich plötzlich einen Gedankenblitz. Wie hypnotisiert habe ich dann alles in einem Zug herunter geschrieben, den Stift weggelegt und der Text war geboren. Dann habe ich schnell meine ganzen Freunde angerufen, um es ihnen zu zeigen, man bedenke es war 2:00 Uhr nachts. [lacht]  In dieser Nacht habe ich überhaupt nicht geschlafen, weil ich das Gefühl hatte, etwas Neues geschrieben zu haben. Dieses Mal war es nämlich ein Storytelling und das hat mir irgendwie eine tiefe Zufriedenheit gegeben.

marco-zelda-pic-3 Stefano Sgorbati

Was planst du nach dem Sommer?

Ich werde meine Musikworkshops für Rap und sonstiger Musik weiterführen – entweder im  Hauptsitz der Sozialgenossenschaft Babel, bei der ich arbeite, oder ich gehe auch ich in Schulen. Für meinen letzten Workshop im Juni 2018 war ich in Lana und habe gemeinsam mit den Kindern ihre Geschichten, die sie im Italienisch-Unterricht produziert haben, in Rap umgewandelt.
Außerdem studiere ich Musiktherapie in Bozen, denn ich möchte mich vor allem auf die Therapie von Menschen mit Autismus konzentrieren. Natürlich werde ich auch mit anderen Krankheiten arbeiten, aber beim Autismus habe ich das Gefühl, dort noch etwas mehr bewegen zu können. Und hilft Rap auch sehr.

Inwiefern?

Das kommt ganz auf die Personen an, mit denen ich arbeite. Einmal war ich in einer etwas schwierigeren Mittelschulklasse, wo ich mich zuerst nicht so leicht durchsetzen konnte, aber durch das Rappen konnte ich dann gute Resultate erzielen. Ein anderes Mal war ich in einer Oberschulklasse und wir haben versucht, Mathematikformeln in Rapform zu üben. Das war eher ein Experiment, aber letztendlich hat es wirklich funktioniert!

Marco Zelda Pic (2)

Dein Lieblingsrapper?

Also bei den italienischen Rappern denke ich sogleich an Murbutu, der in Wirklichkeit ein Professor ist und eigentlich nur Storytelling macht. Sonst habe ich sehr viele Lieblingsrapper: Mecna, Klangold, Lord Madness, Drake, Kendrick Lamar, Eminem … Ich müsste dir Tausende aufzählen, denn das kommt bei mir immer auf die Phase an.

Credits: Samira Mosca + Sara Mostacci + Stefano Sgorbati (3)

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