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June 18, 2018

Knapp! Schneidend! Rhythmisch! Provokativ! Dichterin Marina Zwetajewa

Verena Spechtenhauser

 

BAUT EINER KEIN HAUS – 
Spuckt die Erde vor ihm aus.

Baut einer kein Haus –
Wird er nie zur Erde:
Erst Stroh, dann Asche im Herde …

Ich baute kein Haus.

 

Am Dienstag, 19. Juni 2018 ab 18 H feiert Literatur Lana auf Schloss Pienzenau ein Sommerfest mit Musik und Wein zu Ehren der russischen Dichterin Marina Zwetajewa. Bei der Hommage wird der erste Band der soeben im Suhrkamp Verlag erschienenen Gesammelten Werke mit dem Titel “Ich schicke meinen Schatten voraus” präsentiert. Vorgestellt werden Buch und Dichterin von der renommierten Autorin, Literaturkritikerin und Übersetzerin Ilma Rakusa, die im Rahmen der Veranstaltung außerdem mit der deutschen Dichterin Anja Utler ein Gespräch über die russischen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts führen wird. Hanns Zischler, Schauspieler, Regisseur, Übersetzer und Essayist, wird aus dem Prosawerk von Marina  Zwetajewa in der Übersetzung von Ilma Rakusa lesen. Hier nun vorab Fragen und Antworten zu Leben und Werk von Marina Zwetajewa, freundlicherweise beantwortet von Ilma Rakusa.

Was ist das Besondere an Marina Zwetajewa? Warum sollten wir diese Dichterin lesen? 

Marina Zwetajewa (1892–1941) ist – neben Anna Achmatowa – die bedeutendste russische Dichterin des 20. Jahrhunderts und eine Lyrikerin von Weltrang. Ohne sich einer literarischen Schule oder Gruppierung anzuschliessen, entwickelte sie einen völlig eigenständigen Stil: knapp, schneidend, rhythmisch, provokativ. Das entsprach ihrem unruhigen, rebellischen Temperament. Sie hinterfragte alles, gab sich nie mit einfachen Antworten zufrieden. Und war fordernd, vor allem in der Liebe. Mit dieser maximalistischen Haltung machte sie es sich selbst – und anderen – schwer. Aber ihre Dichtung profitierte davon. Zwetajewas Poesie und Prosa ist von ungewöhnlicher Intensität, man kann sich ihr schlicht nicht entziehen.

Das Leben von Marina Zwetajewa war genauso turbulent wie die Zeiten, in die sie geboren ist. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Zwetajewas Leben lässt sich in wenigen Sätzen nicht schildern. Es war zutiefst tragisch. Hier nur ein paar Stichworte: Sie stammte aus einer gebildeten Familie, der Vater war Kunsthistoriker, die Mutter Pianistin. Da die Mutter früh an Tuberkulose erkrankte und zu Sanatoriumsaufenthalten ins Ausland musste, verbrachten auch Marina und ihre Schwester längere Zeit in Deutschland, Italien und der Schweiz. Nach dem Tod der Mutter begann ein ungebundenes, zugleich ungeborgenes Leben, das die Kinder vorzeitig zum Erwachsensein zwang. Marina schreibt, veröffentlicht mit achtzehn ihren ersten Gedichtband, heiratet mit zwanzig Sergej Efron und wird bald darauf Mutter. Den Ersten Weltkrieg verbringt sie größtenteils auf der Krim, die Revolution und Bürgerkriegszeit in Moskau. Ihre zweite Tochter verhungert 1920 und von ihrem Mann, der auf Seiten der Weißen Armee kämpft, fehlt jede Spur. Bis Zwetajewa erfährt, dass er sich über Konstantinopel nach Prag abgesetzt hat. Ohne zu zögern folgt sie ihm in die Emigration. 1925 kommt Sohn Georgij zur Welt, dann geht es aus der Tschechoslowakei nach Paris. Doch Zwetajewa wird nicht heimisch und die Familie ist bitterarm. Mitte der dreißiger Jahre kehrt die Tochter in die Sowjetunion zurück, kurz darauf Efron, der in den Mord an einem sowjetischen Ex-Geheimdienstler verwickelt ist. Schweren Herzens entschließt sich auch Zwetajewa zur Reemigration. Doch kaum ist die Familie vereinigt, werden Tochter und Mann verhaftet. Zwetajewa hat kein Auskommen, übersetzt, um sich und den Sohn über Wasser zu halten. Nach Kriegsausbruch wird sie ins tatarische Jelabuga evakuiert. Dort nimmt sie sich am 31. August 1941 aus Verzweiflung das Leben, 49 Jahre alt.

Wie haben diese persönlichen Erfahrungen ihre literarischen Arbeiten beeinflusst?

Natürlich haben Zwetajewas Erfahrungen Eingang in ihr Werk gefunden. Es gibt von ihr Poeme über die Weiße Armee, Tagebuchprosa, in der sie anschaulich über ihren Alltag während der Bürgerkriegswirren schreibt, Gedichte, die ihre Einsamkeit als Emigrantin und ihre Ausweglosigkeit nach der Reemigration zur Sprache bringen. Ihre schwierige Kindheit hat Zwetajewa in autobiografischen Erzählungen geschildert. Hinzu kommt ein umfangreiches Briefwerk, das in jeden Winkel ihres Lebens hineinleuchtet.

Insgesamt sollen vier Bände von den gesammelten Werken von Zwetajewa erscheinen. Was erwartet die_den LeserIn neben der Prosa aus dem ersten Band noch?

Im zweiten Band finden sich Erinnerungen an Zeitgenossen sowie Essays über Literatur und Kunst. Der dritte Band bietet einen Querschnitt durch Zwetajewas unveröffentlichte Notizhefte – eine Fundgrube an persönlichen Reflexionen und Beobachtungen. Der vierte und letzte Band schließlich ist Zwetajewas Lyrik gewidmet. Er dürfte den Höhepunkt der Werkausgabe bilden.

Wie schwierig ist es Marina Zwetajewa zu übersetzen?

Enorm schwierig. Vor allem die Lyrik stellt einen vor fast unüberwindliche Probleme. Wie schafft man es, Zwetajewas Knappheit und Präzision, ihre Rhythmen und Reime wiederzugeben? Auch die Prosa ist äußerst anspruchsvoll, sehr poetisch und voller Wortspiele. Man muss als Übersetzer über ein feines Ohr und viel Sprachphantasie verfügen. Denn hier ist Nachdichtung gefragt.

Welches ist dein persönliches Lieblingsgedicht/-werk? Womit hat Zwetajewa dich für sich gewonnen?

Vom ersten Moment an bezaubert hat mich Zwetajewas Erzählung “Mutter und die Musik”. Großartig, wie die Erfahrung des Kindes mit der Musik – dem Klavier, den Noten, Tonleitern usw. – beschworen wird. Ein Rausch an Bildern und Assoziationen, an Wortschöpfungen und Sprachspielen. Im Grunde schildert Zwetajewa die Geburtsstunde der Dichterin.

Foto: Suhrkamp Verlag 

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