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June 18, 2018

Judith Neunhäuserer – von München nach Istanbul bis in die Antarktis

Katja Ebner

Die junge Künstlerin aus Bruneck kommt ganz schön um die Welt. Die Kunst veranlasste Judith Neunhäuserer dazu, nach München zu ziehen um dort Freie Kunst, Religionswissenschaft und Philosophie zu studieren. Dabei verbrachte sie einige Zeit in Istanbul. 2017 war sie dann als Initiatorin der Videokunstpräsentationen auf der Neumayer-Station III in der Antarktis tätig. Am Dienstag, 12. Juni hat sie ab 20 Uhr in der Bibliothek Olang von ihrer Antarktis-Expedition erzählt. An welchen Projekten Judith so beteiligt war und was für die Zukunft geplant ist, erfahren wir im Interview.

Was hat dich dazu veranlasst, den Weg der Kunst einzuschlagen? Gab es irgendetwas Besonderes, das dich dazu inspiriert hat?

Schon als Kind habe ich gerne gezeichnet und gebastelt und ich habe viel gelesen und mir selbst Geschichten ausgedacht. Ich interessiere mich für die Welt und als Teenagerin wollte ich sie unbedingt verstehen, vielleicht könnte man das Neugier nennen und Neugier ist ein wichtiger Antrieb für die Kunstproduktion, finde ich. Ich habe das Kunstlyzeum in Bruneck besucht und das erforderliche Praktikum bei Margit Klammer, die mit meiner Mutter zur Schule ging, in Meran absolviert. Das hat mir gezeigt, dass Künstlerin ein ernstzunehmender und möglicher Berufsweg ist. Meine Studienwahl war von dem Gedanken geleitet, etwas zu lernen und zu arbeiten, bei dem mich die Tätigkeit selbst freut und mir nicht langweilig wird, und ich denke, in der Kunst die größtmögliche Vielfalt an Tätigkeitsformen zur Verfügung zu haben. Von der zu erwartenden prekären Lebenssituation hatte ich damals keine Ahnung beziehungsweise habe ich die Tragweite der Entscheidung für die Kunst nicht gesehen.

Vor einigen Jahren hast du einmal monatlich für einen Abend lang Gruppenausstellungen im Treppenhaus deines Wohnhauses veranstaltet. Wie können wir uns das vorstellen?

Den Karl-Marx-Ring 7 habe ich zum Ausstellungsort gemacht, weil ich einmal die Bedingungen eines Kunstraumes selbst bestimmen wollte. Also als Reaktion auf bestehende Strukturen in München, die aber in anderen Städten ähnlich funktionieren, und zwar, dass Raum teuer und daher unverfügbar ist und immer die gleichen Arbeiten und Leute in demselben Bekanntenkreis als Auszustellende herumgereicht werden. Ich wollte ausprobieren, ob man schnell und ohne Druck und Geld gute Ausstellungen machen kann und ich wollte Themen selbst wählen, ohne mich an Diskurstrends anzuschließen und viel Text dazu zu produzieren.
Ich habe künstlerische Arbeiten, die ich kannte und zwischen denen ich Themen- oder Formenassoziationen im Kopf hatte, zusammengebracht und im Eingangsraum des Hauses aufgebaut. (Die Themen habe ich außerdem immer ein bisschen an die Jahreszeiten angepasst, zum Beispiel hieß die Sommerausstellung BiKiNi und es ging um „Zweiteiler“ und die Adventsausstellung im Dezember begrüßte das Publikum mit vielen brennenden Kerzen in von Janka Zöller gestalteten Kerzenständern.) Es handelt sich um einen Wohnblock in Neuperlach, dem neuesten Stadtteil Münchens, der als „Satellitenstadt“ in den 60er-Jahren hauptsächlich für Arbeiter von Siemens gebaut wurde. Dementsprechend war der Kunstraum kein White Cube, sondern orange-grün gefliest im 70er Jahre-Stil. Dieser Look und der Stadtteil, in dem normalerweise keine zeitgenössische Kunst gezeigt wird, machten den Karl-Marx-Ring 7 zu etwas Besonderem und viele Studierende und Kulturinteressierte, welche die Ausstellungsabende besuchten, kamen zum ersten Mal nach Neuperlach. Ich wohne immer noch dort zusammen mit meiner Mitbewohnerin Olivia, die das Projekt sehr unterstützt hat. Sie hat eine Android-App mit Audioguides zu den einzelnen Arbeiten geschrieben und über Foodsharing für die Verpflegung der Gäste gesorgt.

JudithWie kam es dazu, dass du als Kuratorin der Videokunstpräsentationen auf dem Messemonitor der Neumayer-Station III in der Antarktis tätig warst? 

Ende letzten Jahres bin ich im Rahmen des Programms „Expedition Wissenschaft und Kunst“, einer Kooperation von Hanse-Wissenschaftskolleg in Delmenhorst und Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Bremerhaven, zur deutschen Forschungsstation Neumayer III in der Antarktis gereist.
Ich habe die Arbeit auf der Station teilnehmend beobachtet und mittels Tagebuch und Kamera dokumentiert und Interviews geführt und gezeichnet. An der Naturwissenschaft, wie sie dort betrieben wird, interessieren mich die ästhetischen Aspekte, die von den Akteuren im System selbst oft zugunsten des Zwecks vernachlässigt werden, zum Beispiel: wie sehen eigentlich die Messinstrumente aus, welche wiederholten Handlungen laufen ab und ist das alles wirklich nur zur Beantwortung der Forschungsfrage so? Ich will die „Rituale“ der Naturwissenschaftler ergründen – und die Antarktis ist der richtige Ort für eine entsprechende Feldforschung, denn die Naturwissenschaft bildet seine indigene Kultur.
Weil das Stipendium einen „Dialog zwischen Naturwissenschaft und Kunst“ vorgesehen hat und ich nicht nur zuhören, sondern auch erzählen wollte, habe ich in einem Abendvortrag meine eigene Arbeit vorgestellt und Kunst von Freunden und Freunden von Freunden mitgebracht: Im Vorfeld habe ich Videos eingesammelt, die an Begriffe wie Expedition, Naturwissenschaft, Arktis/Antarktis, Klimawandel, die Farbe Weiß, Wüste etc. anknüpfen. Vor Ort habe ich dann zur Kaffeezeit täglich ein anderes Kunstvideo auf dem vorhandenen Monitor in der „Messe“, dem Speisesaal der Station, gezeigt.

Du hast bereits an zahlreichen Ausstellungen und Projekten mitgewirkt. Welche Ausstellung bzw. welches Projekt ist dir am meisten in Erinnerung geblieben und warum?

Sehr prägend für mich war meine Einzelausstellung notizzurperson in der Akademiegalerie in München 2014. Da habe ich alles von Anfang bis Ende selbst gemacht (von Konzept, Bewerbung und Werbung bis zum Ausstellungsabbau und der Katalogproduktion) und dadurch viel gelernt. In dieser Arbeit habe ich zum ersten Mal Menschen (Performerinnen) in eine Installation integriert, das hat sich angefühlt, als ob ich „mein Medium“ gefunden hätte, und sich insofern bestätigt, als dass ich es immer noch nutze. Diese Ausstellung war auch ein „Richtungswechsel“ in meiner Kunst, weil die konkret autobiographischen Arbeiten, die ich bis dahin gemacht hatte, von abstrakter formulierten Bildern abgelöst wurden. Auch stark in Erinnerung ist mir die Arbeit im Künstlerinnenkollektiv XPatch Collective, weil es einerseits abgefahren ist, wie man zu fünft eine Idee haben und umsetzen kann, die kein Kompromiss ist und aus einer gemeinsamen Kraft entsteht, und andererseits wie anstrengend Zusammenarbeit sein kann.0-XPatch-Kollektiv_titel

Du bist Künstlerin, kuratierst aber auch Projekte und Ausstellungen. Was gefällt dir persönlich besser, bzw. bei welcher dieser Arbeiten fühlst du dich mehr in deinem Element?

Persönlich erfüllender finde ich das Kunst-Machen und zwischenmenschlich ist es auch einfacher, denn die Projekte im Treppenhaus und auf der Forschungsstation haben bei anderen nicht nur Gefallen ausgelöst. Die kuratorische Arbeit sehe ich eher als eine Form von Aktivismus, indem ich innerhalb „meines“ Systems Rahmenbedingungen schaffe, wie ich sie selbst haben möchte. Ich will mich so ein Stück weit unabhängig von den teilweise exklusiven Machtstrukturen machen und versuche, meinem Ideal vom Kunstsystem näher zu kommen, indem ich es auf Solidarität und Freundschaft und auf (in meinen Augen) gute Kunst gründe.

Im Moment bist du an der Gruppenausstellung “Eiskalt” in der ERES-Stiftung in München beteiligt, die am 11. Juni gestartet ist …

Ich zeige Auskoppelungen aus meinem in der Antarktis gesammelten Material: eine als Wandtapete installierte Digitalfotografie, die die Passage zum Untergrund der Neumayer-Station III abbildet, zwei Videoclips aus der Serie Polar Portals und eine Live-Szene, wobei eine Performerin Fragmente aus dem Logbuch meiner Antarktisexpedition auf ein eigens angefertigtes magnetisches Schreibpult überträgt. Inhaltlich drehen sich diese Arbeiten um eine überkommene wissenschaftliche Theorie, die mittlerweile im Bereich der Verschwörungstheorien wuchert. Die „Theorie der hohlen Erde“ nimmt – in unterschiedlichen Ausgestaltungen ‑ an, dass unser Planet hohl ist und an den Polen Eingänge zur Innenseite des Globus zu finden sind. In dieser Tradition habe ich mich in der Antarktis auf die Suche nach dem Loch am Pol begeben. Dazu habe ich Methoden und Gerätschaften der Naturwissenschaft benutzt, meine Interventionen habe ich als Text und mit Video festgehalten. Insgesamt geht es in der von Stephan Huber kuratierten Gruppenausstellung um den Begriff „Eiskalt“ in seiner Doppeldeutigkeit, einerseits als Seelenzustand, andererseits als Naturphänomen, und es wird darüber versucht, einen gesellschaftlichen Status quo zu beschreiben.

Gibt es schon konkret Pläne für die Zukunft? Was steht an, wo willst du hin …?

Das übergeordnete, allgemeine Ziel ist weiterhin Kunst machen zu können und damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Eventuell setze ich auch mein kulturwissenschaftliches Studium der Religionswissenschaft fort.
Konkrete Pläne für die nähere Zukunft sind die Publikation meines „Expeditionsberichtes (Albedo, Hammann von Mier Verlag München, erscheint im September 2018), zwei Ausstellungen im September 2018 (Antarctic Jungle [mit Adrian Sölch] Galerie 21 Hamburg, PALAOA [Solo] Gedok München) und eine Containerschiffsreise nach Buenos Aires mit Mathias R. Zausinger im Oktober 2018. Vielleicht zieht es mich im nächsten Frühling aus München weg, voraussichtlich wird vorher aber in der Galerie Prisma in Bozen meine Arbeit zu sehen sein.

Fotos: Judith Neunhäuserer

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