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May 17, 2018

Das Gefühl, eine ganze Welt zu spielen: Peter Schorn

Verena Spechtenhauser

ER mag weder Gardinen noch Kundenkarten, dafür aber Wasser, Reisen und Bilder – im Kopf und in echt. Hätte ER seine Passion nicht zum Beruf gemacht, dann wäre ER heute vielleicht Schlagzeuger oder Mahout. ER, das ist der Brixner Schauspieler Peter Schorn, und DAS hier ist unser Gespräch:

Du steckst gerade mitten in den Endproben zur Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán, die am 17. Mai bei den Vereinigten Bühnen Bozen Premiere feiert. Wie fühlt es sich an, so kurz vor der ersten Aufführung eines neuen Stücks? Hast du überhaupt Zeit und Muße meine Fragen zu beantworten?

Momentan ist tatsächlich eine intensive Zeit. Neben den Endproben für die Operette laufen auch schon die Vorbereitungen für die anschließende Sommertheater-Produktion im Brixner Tschumpus. Die Proben dafür beginnen am Tag vor der Premiere der “Csárdásfürstin”. Und nebenbei hatten wir noch eine Menge Schulvorstellungen mit „Goethes Faust“ gespielt und einen Kurzfilm abgedreht. Aber so ist das in unserem Beruf: Da gibt es extrem dichte Zeiten, wo sehr viele Projekte zusammenkommen und dann wieder ruhigere Zeiten, in denen man sich wieder sammeln und aufladen kann …

Du bewegst dich beruflich zwischen Film und TV, Theater und Kabarett. Zwischen Drama und Komödie? Wo fühlst du dich am Wohlsten? Warum?

Das Allerschönste ist natürlich gerade die Abwechslung. Und die Rolle muss mich interessieren. Oder – wie bei der “Csárdásfürstin” – die Zusammenarbeit mit einem Regisseur wie Georg Schmiedleitner, den ich einfach toll finde. Und dann würde ich sagen: wichtiger als das Genre oder das Medium ist mir, dass es um Themen geht, die etwas mit uns und unserer Zeit zu tun haben. Da kann die Inszenierung eines Klassikers genauso brandaktuell sein wie ein zeitgenössisches Stück oder tagespolitisches Kabarett. Ich finde ja auch, dass die Etiketten Komödie und Tragödie nicht mehr ganz zeitgemäß sind. Humor sollte nie fehlen – aber genauso wenig ein ernsthaftes (nicht bierernstes!) und bedeutungsvolles Thema, das uns berührt und bewegt!Csadrasfürstin_Christoph Sebastian

Auf deiner Webseite konnte ich mich durch deine beachtliche Vita lesen. Welche deiner zahlreichen Rollen war – bis jetzt – deine liebste?

Klar erinnere ich mich sehr gerne an die richtigen Traumrollen, die für jeden Schauspieler ein gefundenes Fressen sind: Hamlet und Mackie Messer aus der „Dreigroschenoper“, oder natürlich den Faust, den ich nun schon seit fünf Jahren mit Georg Kaser zusammen spiele. Rollen, bei denen man entweder durch ihre  psychologische Vielschichtigkeit und Komplexität aus dem Vollen schöpfen kann oder die mir die Chance geboten haben, etwas völlig Neues und Anderes zu suchen wie bei Hermann Wurm, dem verkrüppelten Sohn aus Werner Schwabs „Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos“. Aber manchmal gibt es auch sehr kleine Rollen, die mir ans Herz gewachsen sind, weil sie irgendetwas in mir berührt haben, das ich sehr mochte – wie zum Beispiel der Schnock in Shakespeares „Sommernachtstraum“. Da hatte ich im ganzen Stück nur wenige Zeilen zu sagen und doch das Gefühl, eine ganze Welt spielen zu können.

Ich picke jetzt einfach mal so eine Produktion heraus, an der du beteiligt warst – sagen wir mal „Draußen tobt die Dunkelziffer“ von Kathrin Röggla. Was fällt dir dazu als Erstes ein? Kannst du kurz mehr darüber erzählen?

Ja, die „Dunkelziffer“ war echt eine ganz besondere Herausforderung. Torsten Schilling hatte die Idee, die Textflächen und Dialoge live auf der Bühne von uns Schauspielern mit Playmobil-Figuren spielen zu lassen und das Ganze auf eine große Leinwand zu projizieren. Eva Kuen, Christina Khuen und ich haben gleichzeitig die Männchen bewegt, synchronisiert, mit eigens gebauten Mikrokameras abgefilmt, die Schärfe reguliert, hin- und hergeschnitten, Geräusche produziert, dazwischen moderiert und auch noch völlig abgedrehte Songs zum Besten gegeben. Eva an der E-Gitarre, Christina an einem uralten Yamaha-Kinder-Keyboard und ich an einer Tonne. Das sollte das Schlagzeug sein. Das war eine absolut verrückte Produktion, die ich sehr geliebt habe. Unglaublich anstrengend und zeitintensiv, aber auch selten lustig. Wir haben gespielt und uns ausgetobt wie Kinder.ECHT-PeterSchorn2-Foto_EvaKuen

Du bist in Brixen geboren und aufgewachsen und hast in Innsbruck Psychologie studiert. Bis dahin ein nicht wirklich untypischer Südtiroler Lebenslauf. Wie bist du dann doch noch zum Schauspiel gekommen? Hattest du einen Mentor?

Genau genommen wusste ich schon mit 15, dass ich Schauspieler werden will. Aber aus verschiedenen Gründen war das direkt nach der Matura für mich noch nicht denkbar, gleich damit zu beginnen – auf eine Schauspielschule zu gehen. Also habe ich mir mein Handwerk neben dem „ordentlichen“ Studium auf Umwegen selbst zusammengesammelt: vier Jahre Tanztheater und Körpertraining mit Elfi Troi, ein zweijähriger Theaterpädagogik-Lehrgang, ein Sommer an der Neighborhood Playhouse School of the Theatre in New York bei dem begnadeten Schauspiellehrer Richard Pinter, und natürlich: viel spielen …! Oder, wie es an der Schule in New York hieß: „The work will teach you“. So kam es, dass ich noch vor dem Abschluss meines Psychologie-Studiums beruflich im Theater gelandet war. Viel zu verdanken habe ich auf jeden Fall der Regisseurin Eva Niedermeiser, die mir schon früh großartige Rollen zugetraut hat und von der ich viel gelernt habe!

Psychologie und Schauspielerei … eigentlich gar nicht so unähnlich? Oder täusche ich mich?

Naja, das Psychologie-Studium in Innsbruck ist in erster Linie schon sehr theoretisch, es geht sehr stark um wissenschaftliches Arbeiten, Statistik, Testtheorie und dergleichen. Aber ich glaube schon, dass ich in den Jahren an der Uni auch eine gewisse Sensibilisierung für psychologische Vorgänge erfahren habe, die bei der Analyse von Szenen und Figuren hilfreich sein kann. Jedenfalls habe ich mein Studium nie bereut. Auch die „nicht lückenlosen“ Lebensläufe haben ihre Vorteile!

Du lebst in Südtirol und nicht – wie viele deiner Südtiroler Kollegen – im nahen deutschsprachigen Ausland? War das eine bewusste Entscheidung von dir?

Das geb ich ganz offen zu: mir gefällt es hier. Hier lebe ich mit meiner Familie, mit unserem kleinen Sohn, der hier zur Schule geht, und hier fühle ich mich zuhause. Nahe an der Natur und doch nicht zu weit weg von anderen Arbeitsmöglichkeiten: ab und zu ein paar Drehtage, wie etwa für „Mordkommission Königswinkel“ (ZDF) im Allgäu, oder Stückverträge an ausländischen Bühnen. Diesen Winter war ich für fast drei Monate in Bern in der Schweiz am Theater und das ist eine schöne Zeit – aber danach komme ich immer gerne wieder zurück und arbeite an den vielen Projekten mit Menschen, die ich gut kenne und denen ich schon viele Jahre hundertprozentig vertraue.DIE-DREI-MUSKETIERE-PeterSchorn-Foto_ArnoldRitter

Worauf dürfen wir uns in Zukunft freuen? Gibt es schon konkrete neue Angebote? Oder vielleicht was Neues von Fabrik Azzurro?

In ganz naher Zukunft geht es wieder „back to jail“: in den Tschumpus, den Innenhof des ehemaligen Bezirksgefängnisses direkt am Brixner Domplatz. Diesen Sommer inszeniert Gabi Rothmüller zum dritten Mal ein Freilichttheater-Highlight, produziert und organisiert vom unermüdlichen Georg Kaser. Heuer tauschen wir allerdings die Feile gegen das Florett. Wir kombinieren die klassische Geschichte der „Drei Musketiere“ wie gewohnt mit aktuellen kabarettistischen und satirischen Elementen. Und natürlich jeder Menge Action: feurigen Fecht-Choreografien, viel Musik und bombastischen Pyro-Effekten. Ein Spektakel, auf das ich mich schon das ganze Jahr freue, denn hier kann ich mich auf mehreren Ebenen einbringen: als singender, fechtender, tanzender Schauspieler wie auch als Autor und Kabarettist mit den Themen, die mir am Herzen liegen. Mindestens genauso freue ich mich dann auf den Herbst: Endlich wieder eine Zusammenarbeit mit meiner wunderbaren Partnerin und Regisseurin Eva Kuen, die in der Carambolage „Ferner“ von Martin Plattner inszenieren wird.

A propos Eva Kuen. Du hast mit ihr zusammen für die Kurzfilmreihe „Gabelungen“ das Drehbuch für den ersten Kurzfilm „Echt“ geschrieben. Worum geht es?

In „Echt“ geht es um Johanna und Paul, ein wohl situiertes Paar, das scheinbar alles hat und damit auch nicht unglücklich ist. Trotzdem fehlt Johanna offensichtlich etwas. Inmitten dieser digitalisierten Übersättigung des „Smart Homes“ und der absoluten Sicherheit ihres Lebensentwurfs geht es um die Sehnsucht nach Leidenschaft, nach einem echten, unmittelbaren und damit auch weniger kontrollierten Leben. Das bedeutet auch, ein Risiko einzugehen. Es geht also immer auch um die Frage: Was gibt uns Sinn? Alles zu haben, was wir uns wünschen oder etwas zu haben, für das es sich zu kämpfen lohnt …?ECHT-EvaKuen-Foto_PeterSchorn

Was hat euch an der Aufgabe, ein Drehbuch zu verfassen, gereizt?

Ein Drehbuch zu schreiben ist etwas völlig Anderes, als fürs Theater oder Kabarett zu schreiben. Beim Film haben wir die Möglichkeit, in Bildern zu denken, die Sprache auf das absolut Wesentliche und Notwendige zu reduzieren. Die Geschichte darf in den Dialogen nie „durchtelefoniert“ wirken. Damit bietet uns das Schreiben für einen Kurzfilm die Chance, ein Thema sehr subtil zu vermitteln, es darf auch ein kleines Geheimnis bleiben, das beim Zuschauer im Idealfall eigene Assoziationen und Fragezeichen auslöst.

Wie muss man sich das vorstellen, wenn man zu zweit an einem Drehbuch schreibt? Wie ist die Arbeitsaufteilung? Gab es auch Schwierigkeiten mit denen ihr nicht gerechnet habt?

Das haben wir zunächst auch befürchtet. Wir hatten keine Ahnung, wie das funktioniert, zusammen zu schreiben. Wir kennen uns zwar sehr gut und haben auch auf der Bühne schon oft zusammengearbeitet, aber gemeinsam am Schreiben waren wir noch nie. Also haben wir uns einfach hingesetzt und begonnen. Zuerst mit einem Spaziergang im Wald, dann vor dem Laptop. Die Themen haben sich dabei fast unmerklich aus den Vorgesprächen mit den Produzenten und Auftraggebern Arnold Gasser und Stefan Ghedina herauskristallisiert und sind dann wie aus einer Quelle aus uns gesprudelt. Wir sind sehr assoziativ vorgegangen und haben aus der Sicht der Figuren Schritt für Schritt verschiedene Abzweigungen ausprobiert, unerwartete Weichen gestellt und geschaut, was passieren könnte, wieder verworfen, einen Schritt zurück gemacht und einen anderen Weg probiert, ohne vorher zu wissen, wohin es gehen soll. Wir haben uns gegenseitig sehr viele Fragen gestellt und laut über mögliche Antworten nachgedacht. Dieses dialogische Arbeiten ist ein entscheidender Vorteil des Schreibens zu zweit und das hat erstaunlich gut funktioniert!Kurzfilm-Gabelungen-vlnr-Peter_Schorn-Eva_Kuen-Arnold_Gasser-Stefan_Ghedina

Ihr habt nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern spielt auch die beiden Hauptrollen selbst. War das von Anfang an so geplant oder hat es sich so ergeben?

Wenn zwei Schauspieler an einem Drehbuch schreiben, passiert das wahrscheinlich ganz automatisch. Nein, natürlich sind wir auch ein bisschen von uns selbst ausgegangen. Eva möchte gern ein wildes Leben und ich stelle schon ungern die Möbel um. Aber im Ernst: Es war schon so geplant, dass wir auch für uns selbst schreiben. Die Gefahr dabei ist natürlich, als Autoren- und Schauspieler-Team etwas „betriebsblind“ zu werden. Da war es gut, dass der Regisseur und Produzent Stefan Ghedina in der gesamten Umsetzungsphase eine eigene Vision hatte und noch viele Details und Aspekte zur Beziehung der Figuren mit uns herausgearbeitet hat.

„Echt“ ist nicht eure erste Zusammenarbeit, ihr habt unter anderem auch das Musikvideo zu Evas Song „La Fragile“ gemeinsam gedreht. Kannst du uns mehr darüber verraten?

Auch diese Arbeit ist sehr spontan und assoziativ entstanden. Eva ist von der Idee ausgegangen, möglichst authentische Bilder von echten Menschen für das Video zu Ihrem Song „La Fragile“ zu verwenden. Wir hatten schon oft Konzepte diskutiert und in unserer Fantasie durchprobiert. Während eines Kurztrips nach Wales wurden wir dann von einem Regenschauer überrascht und saßen im Schaufenster eines Straßencafès. Draußen spielten sich genau die Szenen ab, die wir im Kopf hatten und Eva meinte, das sollten wir doch filmen – mit dem iPhone, mehr hatten wir ja nicht dabei. So haben wir eine Woche lang Bilder gesammelt, in Wales und am Rückflug nach Venedig. Das kontrastrierende Material für den Refrain hat uns wenig später in einer dramtischen Gewitterstimmung bei den „Stoanernen Mandln“ gefunden. Vielleicht könnte man sagen, dass ein künstlerisches Werk bei Eva und mir manchmal in sehr vielen gemeinsamen Gesprächen und Gedanken, Fantasien und Vorstellungen unmerklich „reift“ und sich dann auch sehr schnell und scheinbar spontan zu einem fertigen Produkt formen kann. Das ist das Besondere und das Schöne an unserer Zusammenarbeit.

 Fotos: (1) Armin Huber; (2) Christoph Sebastian; (3) Eva Kuen; (4) Arnold Ritter; (5) Peter Schorn; (6) Courtesy of  Kurzfilmreihe “Gabelungen”/Firma UNIVERSAL

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