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April 27, 2018

Experimenteller Sonnengesang: Werner Fritsch zu Gast auf den Rimpfhöfen

Verena Spechtenhauser

Am Freitag, 27. April 2018 um 20 H liest der deutsche Schriftsteller und Filmemacher Werner Fritsch in der Bibliothek Schlandersburg aus seinem Theaterstück “Mutter Sprache”. Wir haben ihn vorab kontaktiert, um mehr über seine literarischen und filmischen Projekte und über seinen diesjährigen Aufenthalt auf den Rimpfhöfen oberhalb von Allitz bei Laas zu erfahren.

Du wirst Ende April für einige Zeit auf den Rimpfhöfen am Vinschgauer Sonnenberg zu Gast sein. Weisst du schon, was dich dort erwartet?

Ja, ich hatte die große Freude vor etwa 20 Jahren schon dort sein zu dürfen. Vor kurzem fand ich Notizen über diese Zeit: über den Hirten Luedi zum Beispiel, auch machte ich dort Filmaufnahmen wilder Wolken über Wäldern und Bergeshäuptern, die mein Filmgedicht „Disteln für die Droste“ eröffnen.

2011 hast dumit dem furiosen Filmexperiment „Faust Sonnengesang“ für Aufsehen gesorgt. Nun wurde im Filmmuseum in München der dritte Teil „Faust Sonnengesang III“ gezeigt. Für jemanden der dein 8-teiliges Filmgedicht nicht kennt: Was haben wir (bis jetzt) verpasst?

Es handelt sich um ein auf 24 Stunden angelegtes Filmgedicht, das dem Lauf der Sonne um die Welt entspricht: Bisher sind 9 Stunden realisiert. Bildlich gesprochen und wörtlich genommen ist dies ein Öffnen des Faust-Stoffes zur Welt hin: Jeder Finger entspricht einem Kontinent. Der 1. Teil ist eine Art Ouvertüre, in der schon Bilder aus allen fünf Kontinenten zu sehen sind. Der zweite Teil hat Europa im Mittelpunkt, der dritte Teil Amerika. Es handelt sich um einen Gegen-Entwurf zum derzeitigen Amerika unter Einbeziehung des indigenen Wissens, verkörpert durch die Begegnung mit Lambert Yiska Tse, einem Navajo-Schamanen im Monument Valley.  Der vierte Teil wird Asien im Fokus haben. Ich freue mich schon darauf, in Südtirol blühende Kirschbäume gegen blauen Himmel filmen zu dürfen – als visuelle Brücke nach Asien.

Auf Logbuch Suhrkamp schreibst du: „Ich frage mich: Was erzähle ich der Welt über Deutschland? Was ist die tiefste deutsche Mythe?“ und antwortest dir selbst mit „Faust.“ Warum? Was fasziniert dich so sehr an diesem Stoff?

Natürlich habe ich Goethes „Faust“ mit Anfang 20 durchgelesen: Künstlerisch aber setzte ich mich zum ersten Mal in dem Stück „Gründgens“ mit der deutschen Geschichte, kurzgeschlossen mit Goethes „Faust“ auseinander. Dann bekam ich im Jahr 2000 von der Expo Hannover den Auftrag ein Stück zu schreiben und durfte zum Bühnenbild meine Filmbilder beisteuern: Das Stück hieß „Chroma: Farbenlehre für Chamäleons“. Es setzte sich erneut mit dem Schauspieler Gustaf Gründgens als Jahrhundert-Mephisto auseinander, der in vier verschiedenen Deutschland Mephisto auf der Bühne gespielt hat: auf der Fronttheaterbühne im ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik, in der Nazi- und in der Nachkriegszeit. Außerdem schloß es Zeitgeschichte mit Goethes „Faust“ kurz unter dem Vorzeichen des „letzten Filmes“, der Lebensrückschau in der Stunde des Todes.

Du bist Erzähler, Hörspielautor, Dramatiker und Filmemacher. Deine Liste an Veröffentlichungen ist lang und thematisch breitgefächert. Von Kurt Cobain über Emmy Göring, von Gustaf Gründgens bis Nofretete ist alles dabei.  Über wen oder was würdest du gerne noch schreiben?

Ich versuche mit aller Kraft, die 24 Stunden „Faust Sonnengesang“ zu vollenden. Bis Teil IV habe ich Filmförderung vom Bundeskultusministerium und einen Sendeplatz beim Bayerischen Rundfunk. Nun steht vor mir, die restlichen 12 Stunden Film zu finanzieren.

Der Spiegel-Journalist Wolfgang Höbel bezeichnete dich einst als „Deutschlands tollkühnsten und großmäuligsten lebenden Dichter“. Macht dich das stolz?

Herz zeigen, die historische Mördergrube durch das eigene Herz zu jagen, das ist nicht immer leicht.

In Schlanders wirst du aus deinem neuesten Theaterstück „Mutter Sprache“ vorlesen. Kannst du uns kurz skizzieren, worum es in diesem Monolog einer Alten Frau geht? Was hat dich an dieser ganz besonderen Perspektive auf die deutsche Geschichte und Vergangenheit fasziniert?

Eine circa 70-jährige Frau sitzt am Krankenbett ihrer über 90jährigen Mutter, die im Koma liegt. Durch Erzählung gemeinsamer Lebenserinnerungen versucht sie, Kontakt zu ihrer Mutter herzustellen. Dabei passiert die Zeitgeschichte des vergangenen Jahrhunderts Revue. Es ist die Stimme einer einfachen Frau, die schwere Schicksalsschläge übersteht – und die verzeihen kann.

Und abschließend: Wirst du die Bücher mit auf die Rimpfhöfe nehmen und wenn ja welche?

Ich war vor etwa 20 Jahren drei Herbste auf dem Sonnenberg und jedes Jahr las ich die „Cantos“ von Ezra Pound. Jahr um Jahr verstand ich etwas mehr, so unausschöpflich ist diese Dichtung. Und so will ich es auch dieses Mal halten. Schließlich habe ich Mary de Rachewiltz auf der Brunnenburg besucht, die Hand von Pounds hundertjähriger Frau Olga Rudge gedrückt. Später auch auf der Brunnenburg eine Lesung gehalten … Auch dieses Mal werde ich Frau Mary besuchen und ihr den Ausschnitt aus meinem Film „Faust Sonnengesang II“ zeigen, wo Ezra Pounds eindrucksvolle Barden-Stimme zu vernehmen ist.

 Foto: Raimund Rechenmacher

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