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April 5, 2018

„Migration ist ein menschlicher Zustand“ – Matteo Maria Moretti

Verena Spechtenhauser
Ein Interview mit dem Designer, Forscher und Gründer von „Design for Migration“ Matteo Maria Moretti. Am Dienstag, 10. April 2018 um 19.30 H wird die Initiative an der Uni Bozen (Raum f 4.05) vorgestellt.

Vor mittlerweile drei Jahren sorgte der Mailänder Matteo Maria Moretti mit seinem Forschungsprojekt La Repubblica Popolare di Bolzano für Aufsehen im Land und weit darüber hinaus. Nun gibt’s Neues vom Visual Designer und wir von franz wollen mehr darüber erfahren. Für uns und für euch, gibt’s hier das Gespräch:

Dein neuestes Projekt nennt sich „Design for Migration“. Kannst du uns kurz erzählen, worum es geht?

Design for Migration (D4M) entstand aus der Notwendigkeit alle Projekte rund um das Thema Migration, denen ich auf meinen Reisen durch Europa begegnet bin, zu versammeln und miteinander in Verbindung zu bringen. Je öfter ich reiste, um meine Arbeit zu präsentieren, desto mehr stieß ich auf neue, interessante und wichtige Projekte rund um dieses Thema. Ich merkte aber auch bald, dass es keinen Ort gab, an dem alle diese Projekte vereint waren. Es fehlte eine Plattform, um den verschiedenen Arbeiten Sichtbarkeit zu verleihen, um die Menschen hinter den Projekten miteinander in Kontakt zu bringen und auf neue Gestaltungsformen aufmerksam zu machen. Nach und nach gelang es mir dann aber, einige der interessantesten Arbeiten auszuwählen und zusammenzuführen. So entstand D4M.

Was genau ist für all diese Arbeiten kennzeichnend?

Es handelt sich um wertvolle und notwendige Projekte, die soziale Innovation und Fotografie ebenso miteinander verbinden wie Produktdesign oder Musikproduktion. Alle Projekte greifen das Thema Design auf transversale Weise auf und verwenden es als Instrument, um Diskussionen anzustoßen, neue Dialoge oder Erzählweisen entstehen zu lassen oder auch das Schaffen neuer Beziehungen zu unterstützen. Und alle Projekte bewältigen das Thema der Migration auf vertiefte Weise, mit viel Ernst aber eben auch ohne Skrupel. Tatsächlich öffnen die Projekte neue Planungshorizonte und bieten neue Blicke auf das Phänomen Migration. Design for Migration

Viele der auf der Plattform gesammelten Projekte stammen aus Italien …

Ja und das ist sowohl überraschend als auch einzigartig. Ich wurde gerade vom Auswärtigen Amt in Rom zum Botschafter für Italienisches Design ernannt und während der Zeremonie in der Villa Farnesina wurde häufig über die Marke „Made in Italy“ gesprochen, ein Konzept, das ich persönlich etwas ausgelaugt finde. Im Kontext mit D4M erhält der Begriff „Made in Italy“ in meinen Augen aber eine ganz neue Bedeutung. Ich glaube, wir stehen im Begriff, eine neue Art des „Made in Italy“ zu kreieren. Vor allem italienische DesignerInnen zeichnen sich als äußerst aktive Akteure in diesem Themenfeld aus, was auch dazu führt, dass vor allem in Italien neue Gestaltungsformen entstehen.

Gibt es Projekte, die dich stärker fasziniert haben als andere?

Alle Projekte auf D4M sind wirklich bemerkenswert. Besonders interessant finde ich aber das Projekt Stregoni, welches die beiden Trentiner Musiker Johnny Mox und Above the Tree ins Leben gerufen haben, oder auch Talking Hands von Fabrizio Urettini. 

D4M ist nicht dein erstes Projekt, das sich mit dem Thema Migration beschäftigt. Woher stammt dein Interesse für diese Thematik?

Migration ist ein entscheidendes Thema unserer Zeit. Das vorherrschende Thema der letzten 30 Jahre, aber auch jenes der Gegenwart und Zukunft. Wir müssen nur daran denken, wie es in den letzten Wahlkampagnen instrumentalisiert wurde: von Trump über Brexit bis hin zu den französischen Wahlen, dem Aufstieg der NPD in Deutschland, der Partei von Kurz in Österreich oder auch bei den letzten Wahlen hier in Italien. Egal ob über Arbeitslosigkeit gesprochen wird, über Identität oder Zusammenleben, in politischen Debatten wird das Thema Migration ständig herangezogen. Und leider wird dabei sehr oft mit Halbwahrheiten oder falschen Informationen argumentiert. Migration ist keine Momentaufnahme, sondern ein menschlicher Zustand, auch in Italien. In den letzten zwei Jahren haben über 200.000 ItalienerInnen ihr Land verlassen, um sich im Ausland eine bessere Zukunft aufzubauen. All diese Entwicklungen haben mich für dieses Thema sensibilisiert. 

Wie wichtig sind Projekte wie Design for Migration in der heutigen Zeit?

Ich würde sagen, sehr wichtig! Wichtiger aber als D4M sind jene Projekte, welche auf der Plattform versammelt sind. D4M ist im Grunde genommen einfach nur ein Sammelpunkt, der umso wertvoller wird, je mehr Projekte sich darauf befinden. Darum bin ich auch ständig auf der Suche nach neuem Material, das ich publizieren kann. 

Bist du glücklich darüber, wie sich das Projekt entwickelt?

Ja, das bin ich wirklich. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass D4M einen wirklichen Sinn hat, einen Zweck erfüllt. Was mich besonders glücklich macht, ist die Tatsache, dass sich einige der InitiatorInnen, die sich über unsere Plattform kennengelernt haben, bereits getroffen haben. Jetzt hoffe ich, dass daraus neue wertvolle Projekte entstehen.

Für Repubblica Popolare di Bolzano hast du 2015 neben Größen des Journalismus wie New York Times, Guardian und Al Jazeera, den renommierten Data Journalism Award gewonnen. Wie hat sich deine Karriere in den letzten Jahren entwickelt?

Nach meiner Arbeit an Repubblica Popolare di Bolzano habe ich mich im Rahmen meiner Lehrtätigkeit an der Freien Universität Bozen vor allem mit der Erforschung neuer Arten der Zusammenarbeit zwischen JournalistInnen, DesignerInnen und SozialwissenschaftlerInnen beschäftigt und dabei versucht, das Phänomen der Migration auf vertiefte Art und Weise von allen Seiten zu beleuchten. 2017 wurde ich für die Jury von World Press Photo nominiert und zwar in der Kategorie Immersive Storytelling. Und auch heuer werde ich wieder in der Jury sitzen, worauf ich mich schon sehr freue. Außerdem bin ich gerade vom italienischen Außenminister zum Botschafter für Italienisches Design in der Welt ernannt worden. Nebenher bin ich noch dabei meinen Doktor in Intercation Design an der Universität Trient abzuschließen. Und in meiner Freizeit? Da versuche ich zu atmen!

Foto: Matteo Maria Moretti

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