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August 9, 2017

Andrea Dodicianni: Musiker und Provokateur

Kunigunde Weissenegger

Bozen. Am 4., 5. und 6. Mai 2017. In einem unterirdischen Raum sitzt ein Künstler. Nach und nach treten Menschen durch die Tür, setzen sich. Blickwechsel. Unsicherheit. „No Frame Portrait“ ist der Titel dieser Aktion von Andrea Dodicianni – wie erst später bekannt wird. Sein Werkzeug ist das Klavier und damit portraitiert er jene, die sich auf dieses Experiment eingelassen haben. In diesen drei Tagen werden über 50 Leute kommen. Das Portrait konnte jede oder jeder als mp3 mit nach Hause nehmen. Ein Video fasst die Performance zusammen und am 9. August präsentiert der Musiker (der in Südtirol kein Unbekannter sein dürfte, da er beim BUSK Singer Songwriter Festival 2016, gemeinsam mit Francesco Camin, mit Gitarre und Stimme aufgetreten ist) „No Frame Portrait“ mit einer Installation in der Museion Passage in Bozen.

Andrea Dodicianni aka Cavallaro, Jahrgang 1989, kommt aus Rovigo, spielt seit er neun ist Klavier und studiert zur Zeit in Padova, wenn er nicht gerade unterwegs ist, um Konzerte zu spielen. Seine Leidenschaft brennt für die Musik und die zeitgenössische Kunst. „Credo che il fine di entrambe sia lo stesso, ed è per questo che ho cercato di unire entrambe in un’unica performance“, meint er. Seine große Ehrfurcht vor dem Klavier und die Neugierde auf Bozen und seine Menschen haben ihn in diese Stadt zurück getrieben: „Ho iniziato a conoscerla dall’interno circa un anno fa e mi sembrava il posto ideale per parlare di come sorpassare dei limiti, non solo a livello linguistico. Mi piaceva l’idea di poter ritrarre soltanto con le note persone delle quali non sapevo nulla. Infatti, per me non erano né di lingua italiana, né di lingua tedesca, né di nessun’altra lingua, erano solo persone.“

Wir fragen näher nach.

Andrea, du bist Musiker, Künstler, wer noch?

In den beiden sehe und fühle ich mich mehr als Musiker – und mehr als alles andere als Pianist. Dieses Instrument hat mein Leben verändert, zwölf Jahre (dodicianni) habe ich es studiert und ich bin deshalb sehr daran gebunden. Die Kunst ist für mich ein Spiel – ich tu nicht bloß bescheiden, wenn ich sage, ich mache keine Kunst, ich meine es so – ich bin eher ein Provokateur.

Wie startest du ein Projekt? Was inspiriert und bewegt dich?

Am Anfang gibt es immer eine Idee, die muss in primis mich umhauen. Wenn mir diese Idee kommt, dann bin ich wie besessen davon und ich kann tageweise an nichts anderes denken: Sie wandelt und verändert sich, bis ich mich selbst davon überzeugen kann, sie umzusetzen oder auch zu verwerfen. Ich habe das große Glück, mit Menschen zusammen arbeiten zu können, denen ich blind vertrauen und denen ich meine kleine Idee anvertrauen kann, damit sie dann Realität wird und Form annimmt. Seit jeher arbeite ich mit Alessandro Cavestro zusammen, der den kreativen und visuellen Part meiner Projekte kuratiert. Das ist, glaube ich, mein Jolly.

Erzähl uns beispielsweise mal von „The weight of words“. Wie kam es dazu? 

Diese Performance war eine Chance: Mir war es immer sehr zuwider, wenn sich in der Verwandtschaft beispielsweise Leute erlaubten, gegen Immigranten, Homosexuelle oder sonst einen Sündenbock, den es gerade zufällig traf, zu wettern. Ich habe riesigen Respekt vor Worten und denke, dass man sie sparsam verwenden sollte. Als es dann zur Performance kam, war die einzige Bedingung bei der Realisierung, auf die Menschenrechte einzugehen – und was wiegt mehr, als der Respekt vor dem Leben? – Zugegeben, die Umsetzung war etwas provokativ und kühn, hat aber Reaktionen ausgelöst – einige waren verärgert oder fühlten sich angegriffen – aber das gehört dazu. Andrea Dodicianni - No Frame Portrait

In Bozen hast du 50 Portraits von Leuten gemacht – ohne zu sagen, wer du bist oder was du vor hast. Anstelle von Pinseln und einer Staffelei stand ein Klavier im Raum. Wie hast du diese Tage erlebt? Woran erinnerst du dich? Wie haben die Leute reagiert?

Die Leute waren klarerweise etwas verwirrt, einige hatten Angst, schließlich und endlich waren sie mit mir allein in einem Raum – es herrschte also eine gewisse Intimität, die anfangs komisch erscheinen konnte. Mit der Zeit und der Musik entspannten sie sich und traten mit mir in einen Dialog. Für mich war es eine unfaßbar spannende Erfahrung und so, als ob ich für einige Augenblicke in das Leben eines Fremden eintauchen würde. Es war unglaublich, wie diese Menschen imstande waren, mir ihre Angst und ihr Leid zu übertragen. Am Abend, wenn ich ins Hotel zurück kehrte, war ich emotional heftig geladen.

Wie kam es zu „No Frame Portrait“?

Ich hatte das Bedürfnis, Menschen zu verstehen und darüber zu schreiben. Ich bin kein großer Schreiber, ich bin kein Maler und kein Bildhauer, also musste ich auf meine Fähigkeit und Sprache – die Musik – zurück greifen. Ich hatte dann das große Glück im richtigen Augenblick die richtigen Leute zu treffen: Eva von Y_Contemporary hat mir geholfen, in der Szene in Bozen Fuß zu fassen, und Christian von bestofsouthtyrol.com hat mir seine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und sonst unter die Arme gegriffen. Wie ich vorher schon sagte: Ohne Hilfe würde ich gar nix machen.

Und Merkel? Kennt ihr euch?

Die Performance über Merkel war meine erste, vielleicht die ironischste. Eine ganze Provinz in den Glauben zu versetzen, dass die Kanzlerin zu Besuch kommen würde – die Medien, die Polizeikräfte, alle glaubten es – zugegeben, das war eine große Genugtuung.

Dein Motto?

Geld ist ein Mittel, nicht das Ziel. 


Was kannst du gar nicht ausstehen?

Ich mag keine Extremisten, Snobs, Hass und Wasabi.

Was findest du hingegen topp?

Ich mag die Küche meiner Mutter, die Platten von Dylan und die Farben!

Fotos: Andrea Dodicianni

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