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July 14, 2017

Offenheit + Geschlossenheit: Künstlerische Vollpension @ Klausen

Greta Stampfer

Meine Reise beginnt in Bozen. Ich kämpfe mich durch die Menschenmassen gen Bozens Bahnhof, während die Mittagssonne Bozens Asphalt dampfen lässt. Beim Betreten des Bahnhofs stellt sich die Kühle ein, die ich schon seit Tagen vermisse. Spätestens, als ich 10 Minuten länger als angenommen am Gleis warte, verschwindet sie auch schon – den Verspätungen der Trenitalia sei Dank. Während ich die Landschaft an mir vorbeiziehen lasse, dem Lärm der uralten Klimaanlage des Zuges  wohl oder übel lausche, denke ich an das, was mich in Klausen erwarten wird: Zwei Künstlerinnen und ein Künstler, Jördis Hirsch, Ella Becker und Kenneth Spiteri, wurden im Rahmen des Projekts Klausen Vollpension von Kunst boden_nah für fünf Wochen nach Klausen eingeladen. Die drei KünstlerInnen wurden aus über 60 Bewerbungen ausgewählt und sollen im Künstlerstädtchen Klausen ihre Spuren hinterlassen. Wie das genau aussieht, wollen sie mir zeigen. 

Der Zug hält an und scheint mich in eine andere Welt transportiert zu haben: Zwar erinnert mich die Autobahn zu meiner Linken noch immer an die Moderne, die sich auch im kleinen, malerischen Südtirol nicht vermeiden lässt, aber je näher ich Richtung Stadtzentrum spaziere, desto mehr scheine ich ein wenig aus der Zeit zu fallen: Die engen Gassen, die mich an südliche Städte erinnern, werden von alten Blechschildern, die über meinem Kopf hängen, komplementiert. Ich fühle kurz das mittelalterliche Klausen nach. Als Kontrast und vielleicht auch zur Erinnerung, dass ich nicht in der Toskana, sondern noch immer im Alpenland bin, thronen über mir die Berge, auf dessen niedrigeren Hügeln Klausens Schlösser zu sehen sind.

Ella Becker Klausen VollpensionNeben dem Stadtmuseum, direkt vor dem Ex-Elektrogeschäft Lutz, treffe ich auf Andreas von Lutz, neben Karin Reichhalter und Martin Sagmeister einer der Initiatoren von Kunst boden_nah, und auf eine der KünstlerInnen, Ella Becker. Andy Von Lutz beschreibt, wie eigentlich aus puren Egoismus, die Idee zu “Klausen Vollpension” entstand: “Zur Jahrhundertwende war Klausen eine Art Künstlerkolonie mit viele Impressionisten aus dem deutschen Raum. Mit ‘Klausen Vollpension’ wollen wir den Begriff ‘Künstlerstädtchen’, den Klausen inne hatte, wieder aufladen, damit er nicht zu einer reine Worthülse wird.” Ella Becker führt mich in das Atelier der drei KünstlerInnen, das ehemalige Geschäft Elektro Lutz. Denn durch das Projekt “Klausen Vollpension” sollen ungenützten Räume Klausens wieder Verwendung finden. Sie zeigt mir ihre Arbeit: Mit Hilfe von Graphit-Zeichnungen, die durch Ausradierungen um eine tiefere Ebene ergänzt werden, arbeitete die Künstlerin ihre Erlebnisse in Klausen auf. Besonders die Unwetter vom 24. Juni 2017 haben Ella Becker tief beeindruckt und finden auch Ausdruck in ihren Zeichnungen: “In der Stadt fühlt sich das Wetter weniger präsent an. So etwas wie das Wetterleuchten kannte ich vorher nicht, deshalb fand ich es so faszinierend – aber auf der anderen Seite auch beängstigend.” Wir spazieren in den schattigen Garten des Kapuzinerklosters, dessen wilder Rosenwuchs – ein angenehmer Kontrast zur sonst so geradlinig aufgeräumten Stadt – auch in Ella Becks Wandbild zu finden ist. An einer Wand ist schließlich jenes Werk zu sehen, das die Künstlerin der Stadt überlassen will: Die Graphitzeichnung, die Ornamente der Altarbehänge und Talare des Loretoschatzes der Stadt Klausen beinhaltet, soll eine Symbiose mit dem Raum eingehen: “Ich will durch meine Kunst den Raum erweitern. Genau deshalb macht diese Zeichnung überall sonst keinen Sinn – außer eben hier.”

Meine Reise geht nun weiter Richtung Apostelkirche. Die KlausnerInnen betrachten mich neugierig, man merkt, dass man sich kennt – jede_r Fremde wird kurz inspiziert. Dieses Gefühl hatten auch Jördis Hirsch und Kenneth Spiteri, die ich schließlich in der Apostelkirche treffe – ein weiterer Rückzugsort von der Hitze Klausens, in dem die Künstlerin und der Künstler ihre Werke präsentieren wollen. Wir zwängen uns in die engen Kirchenbänke, die mich an gefühlt stundenlange Kindermessen erinnern. Der für Kirchen typische Geruch, eine Mischung aus abgestandenem Weihrauch, Staub und alten Gebetsbüchern, steigt mir in die Nase. Dass die beiden Künstler hier ihre Werke ausstellen, ist keine Selbstverständlichkeit: “Anfangs war es schwierig, alle Beteiligten zu überzeugen uns die Apostelkirche zu überlassen, da das Material in der Kirche doch sehr alt und wertvoll ist”, erklärt mir Jördis Hirsch. Die beiden Künstler konnten die Verantwortlichen allerdings umstimmen und dürfen in der Apostelkirche ihre Werke präsentieren. Im Fall von Jördis Hirscher handelt es sich um eine Bannerserie, die durch das Siebdruckverfahren gestaltet wurde: “Geschichte steckt in der Erde und alles wächst aus der Erde heraus”, so Jördis Hirsch. Deshalb sammelte die aus Berlin stammende Grafikerin Materialien aus Klausen, wie Pflanzen und Beeren, zerrieb und zerkochte sie, um schließlich die hergestellten Farbtöne für ihre Kunst zu verwenden. Die Drucke sind von Motiven aus Kirchen, Straßen und alten Wappen inspiriert. “Hier zu wohnen fühlte sich wie eine Zeitreise an: Der Widerspruch zwischen dem mittelalterlichen Klausen als Pforte zu Italien, dem Offen-Sein, und die gleichzeitige Enge, faszinierten mich.”Jördis Hirsch Klausen Vollpension

Diese Enge fühlte auch der Soundkünstler Kenneth Spiteri: “Dadurch das Klausen ein Tal ist, resoniert es unglaublich: Laute Geräusche, wie die der Maschinen und des Gewitters, sind stark wahrnehmbar”, erklärt Kenneth Spiteri. Kenneth Spiteri hat die Geräusche Klausens gesammelt und legt diese in Klangkulissen übereinander: “Mich inspirierten besonders die Begegungen mit der Tradition, wie zum Beispiel die Prozessionen, die von den repetitiven ‘Unser täglich Brot gib uns heute’-Aufsagungen dominiert wurden. Aber auch die Gewitter sind Teil meiner Auseinandersetzung mit dem Leben im Klausen.” Er spielt mir seine Kompositionen vor und ich merke, wie sehr die katholischen Traditionen Teil seiner Klangkunst wurden. Kenneth Spiteri machte sich außerdem eine Orgel aus dem 18. Jahrhundert zu Nutze und spielte darauf eine hypothetische Messe zu Ehren der Göttin Nemesi – eine Göttin, die vor allem durch den Kupferstich Albrecht Dürers bekannt wurde. Darin soll, so Kunsthistoriker, die Göttin des Schicksals Nemesi über Klausen wandern.

Ich werde zwar nicht über Klausen wandern, aber durch Klausen hindurch, zurück zum Bahnhof, und zurück ins stickige Bozen. Während ich noch einmal durch die Stadt spaziere, nehme ich dieses Gefühl von Offenheit + Geschlossenheit, von dem die Künstler sprachen, noch viel deutlich wahr. Über mir thronen noch immer die Berge, die zwar ein wunderschönes Panorama, aber auch Enge, bedeuten. Allerdings merke ich, wie offen das kleine Städtchen am Eisack war, ich kann die Spuren, die all die Künstler, die einst durch Klausen flanierten, fühlen. Doch diese Spuren sind nicht von vergangenen Tagen, man merkt, dass Kenneth Spiteri, Jördis Hirsch und Ella Becker neue Spuren hinzufügen. – Damit das kleine Städtchen Klausen, das von seinen Widersprüchen und Kontrasten lebt, den Glanz der Künstlerstadt nicht verliert. 

Die Ausstellung der Werke läuft vom 15.7.–21.7.2017. Öffnungszeiten: 9.00 bis 18.00 H. Vernissage am 14.7. um 18 H in der Apostelkirche, 19.15 H im Kreuzgang Kapuzinerkloster.
Am 19.7.2017, um 18.00 H wird im Atelier der Künstler (Ex Elektro Lutz) ein Künstlergespräch stattfinden.
Am 19.7.2017, um 17.00 H wird ein Siebdruck-Workshop mit Jördis Hirsch stattfinden (Textilien zum Bedrucken mitbringen!). 

Fotos: Kunst boden_nah (1) Kenneth Spiteri; (2) Ella Beck; (3) Jördis Hirsch

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