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May 18, 2017

In einer Schenkökonomie wäre Eigentum überflüssig. Thomas Herzig @ Hotel Amazonas

Christine Kofler

Abfall – Einöde – Brachland“ist das Thema des diesjährigen Kunstevents “Hotel Amazonas” in Unterwangen am Ritten. “Dem touristischen und gesellschaftlichen Ver-wertungszwang aller Ressourcen – Landschaft, Wetter, Mensch – müssen alternative Modelle entgegengesetzt werden”, so die Ankündigung der Veranstalter. Der Architekt Thomas Herzig wird am Samstag und Sonntag (20. + 21. Mai) Einblicke in zwei dieser Modelle geben: In die Schenkökonomie und die Pneumatische Architektur. Wir haben vorab mit ihm gesprochen.

Du wirst am Wochenende im Rahmen von Hotel Amazonas über Pneumatische Architektur sprechen. Welche Vorteile haben aufblasbare Objekte und Räume?

Es gibt keine andere Konstruktionsmethode, die in Hinblick auf den Materialbedarf effizienter wäre. Innerhalb des Baumaterials, also des Membrans, treten nur Zugkräfte auf. Die statischen Druckkräfte übernimmt die Luft im Inneren, die überall unbegrenzt verfügbar ist. Während Konstruktionen aus Festkörpern bei geringen Verformungen bereits brechen, kann eine Pneu-Konstruktion Verformungen aufnehmen und dennoch, wieder ihre alte Form einnehmen, sobald die äußere Krafteinwirkung nachlässt. Aufgrund dieser Eigenschaften wird dieses Bauprinzip auch in der Natur für alle lebenden Konstruktionen angewandt. Jede Zelle ist sozusagen ein Pneu: Eine flexible Membran die durch den Innendruck eines ebenso flexiblen Mediums, wie z. B. Luft oder Wasser, Form und Stabilität erhält. Pneu-Konstruktionen sind wegen ihres geringen Volumens und Gewichts einfach zu lagern und zu transportieren und damit perfekt für mobile Anwendungen.

Mit „Pneumocell“ hast du ein modulares System aus aufblasbaren polygonalen Bauelementen entwickelt. Was ist neu daran?

Das Neue an dem System ist, dass die zuvor genannten Vorteile pneumatischer Konstruktionen mit denen eines modularen Bausatzes kombiniert werden. Eine bestimmte Anzahl von Grundelementen lässt sich zu verschiedenen Formen zusammensetzen – so erlaubt mir das System eine größere Konstruktionsvielfalt, als z. B. bei einem „klassischen“ Pneu-Zelt, das aus einem Stück gefertigt ist. Wird ein Element beschädigt, kann es einfach ausgetauscht werden. Zudem sind meine Pneu-Elemente luftdicht und transparent – und damit anders als die üblichen „Luftburgen“. Man braucht daher kein permanent laufendes Gebläse und erzielt eine leicht transparente Ästhetik.

Du bist Architekt, gibst in deinem Buch „Die Schenkökonomie – Anleitung für eine geldlose Welt“ jedoch Einblicke in eine alternative Wirtschaftsform. Wie kommst du von der Architektur zur Wirtschaft? Und beeinflusst die Idee der Schenkökonomie auch deine Architektur?

Ich bin eigentlich nicht durch die Architektur auf die Schenkökonomie gekommen, sondern ganz allgemein durch Erfahrungen, Erlebnisse, Beobachtungen, und Erkenntnisse in meinem Leben. Allerdings gibt es einige Parallelen: Die Schenkökonomie ist das natürliche Prinzip, welches in der Natur überall vorherrscht. Alle sozial lebenden Tiere teilen und schenken innerhalb der Gemeinschaft, ebenso wie Naturvölker. Die marktwirtschaftliche Idee, nur für eine mindestens gleichwertige, unmittelbare Gegenleistung etwas für andere zu tun, ist hingegen eine „Errungenschaft“ der Zivilisation.

Auch bei der Gestaltung und Formgebung lasse ich mich gerne von der Natur inspirieren. Das bedeutet nicht, dass ich die Formen der Natur imitiere, sondern dass ich dieselben Gestaltungsprinzipien anwende wie die Natur, wenn diese ihre Geschöpfe hervorbringt. Es ist weniger Formgebung als Formfindung. Ich will keine formale Idee aufzwingen, sondern ich lasse die Idee selbst wachsen. Ich denke das Zusammenspiel von Zufall, Experiment und Selektion im Kopf im Zeitraffer durch, und versuche so jene Form und Struktur zu finden, welche die Aufgabe optimal erfüllt.

Ein Architekt muss natürlich auch ökonomisch denken, also Aufwand und Nutzen gegenüberstellen, damit unter minimalem Aufwand an Ressourcen und Arbeit ein möglichst positiver Effekt erzielt wird. In der Praxis geht es aber oft nicht nur um physisch-ökonomische Faktoren, sondern auch um marktwirtschaftliche Faktoren, wie Spekulation um Kapitalerträge, welche diese an sich vernünftigen physisch-ökonomischen Überlegungen verzerren. Statt der klassischen Formel von Louis Sullivan „Form follows function“ heißt es dann „Form follows financial profit“. Der/die Architekt/in plant dann nicht für die  Menschen, sondern  für Investoren, deren primäres Interesse darin besteht, Profit aus dem Gebäude zu schlagen.

Wie funktioniert die Schenkökonomie? Und was unterscheidet sie von der Gemeinwohlökonomie?

Kurz gesagt: Gemeinwohlökonomie will die Marktwirtschaft beibehalten und diese bloß durch Kontrolle von außen zähmen. Diese wohl staatlich verordneten Eingriffe stehen immer wieder im Widerspruch zu den Kräften der Marktwirtschaft. Schenkönomie ersetzt die Marktwirtschaft hingegen komplett. Jeder Mensch entscheidet frei von finanzieller Not und auch frei von finanziellem Interesse, welchen Beitrag er für andere leisten möchte. Das, was über den eigenen Bedarf hinaus produziert wird, schenkt man dem anderen. Dies im Vertrauen, auch selbst die benötigten Dinge geschenkt zu bekommen. Da kein Tausch zustande kommt, braucht es auch kein Geld als Tauschmedium.

Sobald die Grundbedürfnisse gestillt sind, geht es auch heutzutage nie um Geld an sich, sondern um das soziale Prestige und das damit Verbundene. Nicht jene, die am meisten für die Gesellschaft tun, erhalten in einer Marktwirtschaft die größte gesellschaftliche Anerkennung, sondern jene, die das meiste Eigentum an sich gebunden haben. Durch welche Methoden jemand an sein Eigentum gekommen ist, ist dabei sekundär. Viele Tätigkeiten, die heute in der Marktwirtschaft erbracht werden, würden in einer Schenkökonomie obsolet: Alle Finanzdienstleistungen, Werbung, Marketing, Verkauf, Buchhaltung, Preisverhandlungen, Teile der Polizei und des Rechtswesens. Auch für Korruption gäbe es keinen Anlass mehr. Die meisten Verbrechen, auch die rücksichtslose Zerstörung der Natur geschehen aus Gier nach Geld. In einer Schenkökonomie könnte wären die Hälfte der derzeit geleisteten Arbeit unnötig.

In deinem Buch zitierst du den Musiker Frank Zappa, der gesagt haben soll: „Communism doesn’t work, because people like to own stuff.“ Was könnte Menschen dazu bringen, auf Eigentum zu verzichten?

Schenkökonomie hat mit Kommunismus nur sehr wenig gemeinsam. Im Kommunismus regelt eine privilegierte Minderheit von Vertretern des Staates, wer was zu arbeiten und zu produzieren hat, und wer davon wie viel bekommt. Ein selbstbestimmtes Arbeiten und Leben ist daher nur eingeschränkt möglich. In der Schenkökonomie sind jedoch alle frei zu geben und zu nehmen, wie sie es jeweils für richtig halten. Das Netz sozialer Sicherheit entsteht somit auf Grundlage des Mitgefühls für die Mitmenschen und nicht durch staatlichen Zwang. Außerdem muss für die Schenkökonomie Privateigentum an Produktionsmitteln nicht unbedingt abgeschafft werden, das Eigentum wird bloß in vielen Bereichen obsolet, weil es nicht um den Besitz von Dingen geht, sondern darum, sie nutzen zu können, wenn man sie braucht. Da Eigentum in der Schenkökonomie nicht zum sozialen Prestige beiträgt und auch nicht vermietet, verpachtet oder verkauft werden kann, werden die Menschen nicht mehr so am Eigentum hängen wie heute.

 Foto: Thomas Herzig

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