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April 12, 2017

Herbergsuche 3.0

Franz
Es ist zwar bei Weitem nicht Weihnachten, bekehren wollen wir auch keinen, Märchen erzählen geht jedoch immer. Besonders wenn sie wahr sind.

Es waren einmal zwei Brüder aus einem kleinen Bergdorf. Beide hatten bereits ein gewisses Alter erreicht und konnten auf ein – wer weiß, wie erfülltes – Leben zurück blicken. Sie besaßen am Berg einen Bauernhof und im Tal Immobilien. Eines Tages sollte eine dieser Immobilien vermietet werden. Der Mieter tat dies im sozialen Netzwerk kund, teilte es allen mit, die sich nach einer neuen Bleibe umsahen. Darunter auch ein junges Pärchen, das sich sodann bald darauf auf den Weg zur Besichtigung machte: Er führte durch eine enge Gasse, vorbei an einer Kirche; die Straße wurde breiter und plötzlich befanden sich die zwei mitten im Grünen. Grün: ihre beider Lieblingsfarbe. Sie hatten Hoffnung. 

Die Freunde (und derzeitigen Mieter) winkten ihnen bereits vom Balkon aus entgegen und baten die Suchenden in die Wohnung. Man umarmte sich, tauschte Neuigkeiten aus, trank einen Kaffee und schließlich wurden die zwei Suchenden durch die Wohnung geführt. Sie warfen sich immer wieder beglückte Blicke zu, genau so hatten sie es sich vorgestellt. 

Nach jedem weiteren Raum nahm die Begeisterung zu und schließlich landeten sie auf dem Balkon, wo die Freude nun nicht mehr zu bremsen war: Was für ein Ausblick. Was für eine Ruhe! Was für eine Größe! So eine Wohnung wäre wunderbar für sie und ihren Zuwachs, so die beiden. – Oh, welch eine Überraschung! Gratuliere.  
Die Freunde waren überzeugt, die Wohnung jemandem zu übergeben, der ihre Begeisterung für diesen Ort teilte. Man sah nur ein kleines Problem darin, dass der Bruder des Besitzers keine Kinder mochte, doch darüber würde man sicher sprechen können. An diesem Abend waren alle voll freudiger Zuversicht. 

Am Tag darauf rief ihr Freund, der Mieter, den jüngeren der Gebrüder, am Berg an und erzählte ihm von den Suchenden. Da dieser sich am nächsten Tag wegen eines Amtsgangs sowieso im Tal befand, wollte er die beiden möglichen Nachmieter kennenlernen. Die zwei sahen dem Treffen mit Vorfreude entgegen. 

Sie – er war der Erwerbstätigkeit verpflichtet – fand sich bereits Minuten vorher am vereinbarten Treffpunkt ein. Sie beobachtete die Gäste an der Bar und überlegte neugierig, wer wohl der Vermieter sein könnte. Die zwei Herren hinter ihr am Tisch hatte sie nicht bemerkt. Sie entpuppten sich bei der Ankunft ihres Freundes, der als Vermittler auch beim Gespräch anwesend sein sollte, als das Brüderpaar. Sie waren zu zweit gekommen. Sie wollten sich sicher fühlen. Zwei und zwei. Eine gute Basis. 

Man setzte sich an einen Tisch, bestellte Getränke und tauschte erste Belanglosigkeiten aus. Dann begannen die zwei Brüder der jungen Frau Fragen zu stellen: über sie und ihre Arbeit, über ihren Werdegang, über ihre Herkunft – die Männer kannten ihr Dorf, erwähnten Menschen, die sie kannten, erzählten von der eigenen Berufserfahrung und kamen also schließlich wieder zu ihr. Ob sie denn alleine einziehen wollte? – Nein, sie und ihr Partner. – Ob sie denn verheiratet wäre? – Nein, das wäre heute nicht mehr üblich, entgegnete sie verschmitzt und bemerkte, dass einer der Brüder wohl – dem Ring nach – verheiratet war. – Seit 40 Jahren, antwortete er, – nicht ohne eine gewisse Schwere. Woher denn ihr Partner sei, auch aus Südtirol? – Nein, aus einem fernen Land. – Nein! Nicht wahr?! Mit so einem?! Der so aussieht?! Nicht ernsthaft?! – Doch! – Hast du gehört, sie ist mit so einem zusammen!?!

Sie blickte – nun etwas verunsichert – zum Bruder, obwohl dieser doch bereits Bescheid wusste. Doch ihr war bewusst, dass dies ein schwieriges Terrain war, das hier zu begehen war. Darauf war sie vorbereitet.
Der jüngere Bruder begann daraufhin über seine Erfahrungen mit den Menschen aus dem fernen Land zu berichten, verwendete dabei immer wieder dieses Wort, das sie nicht hören konnte und wollte. Es wurde enger. Die erste Pranke hatte sie getroffen. Die Katzen hatten das Spiel mit der Maus begonnen. Die Fragen wurden immer mehr, prasselten auf sie ein, wurden persönlich, detailliert. Sie war wie benebelt und beantwortete sie trotzdem. Immer wieder. Dieselben Fragen. Sie wurde schwächer. Eine Stunde war bereits vorbei. Ihr Freund sah ihre Bedrängnis und mischte sich immer wieder ein, lenkte ab, versuchte zu vermitteln und zu besänftigen, zu werben, zu beschwichtigen und zu drängen. In diesen Momenten konnte sie aufatmen. 

Dann begann es wieder von vorne. Gottseidank hatte sie gegessen, doch die Sonne brannte ihr auf den Rücken, das Glas war leer und die Fragerei hörte nicht auf. Sie wollten diese Wohnung unbedingt. Das war ihr Antrieb. Immer wieder gab es Funken von Hoffnung, der eine Bruder, schätzte sie immer wieder ein, beurteilte sie, begutachtete sie in jenen Momenten, in denen sie mit dem anderen Bruder sprach, schenkte ihr kurz Glauben und Hoffnung, dann aber kamen wieder die Fragen: Und wenn der aus dem fremden Land sie verlassen würde? Wenn sie dann alleine mit dem Kind dasäße? Wenn dann plötzlich seine ganze Familie in der Wohnung einziehen wollte? Abermals: wie lange waren sie zusammen, wie lange war er hier, wo arbeitete er?
Tapfer beantwortete sie die Fragen aufs Neue, räumte Zweifel aus dem Weg, machte Vergleiche, brachte sie auf andere Gedanken. Sie wollte gewinnen. Der treue Freund drängte abermals auf eine Beendigung des Gesprächs. Seine anderweitige Verpflichtung hatte er vergessen, auch er war mittendrin, ein Teamplayer. – Zwei gegen zwei … 

So verstrichen weitere 20 Minuten und schließlich – zwei Stunden waren vergangen – beendete sie das Gespräch. Sie ahnte den Ausgang des Spiels. Noch ein letztes Mal eine Bemerkung, aus dem Leben von einem der Brüder, das war die schlimmste Zeit in seinem Leben. – Sie hörte gar nicht mehr hin, verstand den Vergleich nicht, verstand nicht, worum es ging. Ihr Kopf drehte sich. Sie wollte weg. Ja, man würde es sich überlegen, bis nächste Woche. Das müsse erlaubt sein. – Ja, aber bitte bald, sie müsse es wissen. – Alles Gute! Fiederschaugn. Wir werden sicher einen Weg finden.

Ein letztes Mal glaubte sie „das Spiel vielleicht doch gewonnen“ zu haben. Doch am nächsten Tag standen die Sieger fest: Lieber Vormieter, mein Bruder kann sich leider nicht für Frau Herbergsuchende als zukünftige Mieterin entscheiden. Daher versuchen wir bitte gemeinsam weiter einen einheimischen Mieter zu finden. Es dankt und grüßt herzlich, der jüngere Bruder.

Text und Melodie schriftlich geliefert, aus dem 21. Jh.

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