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March 10, 2017

E TE TSE #10
Hütet euch vor dem richtigen Leben

Michael Brugger

Tagein, tagaus sitze ich sechs Stunden hinter einem schlecht fabrizierten Tisch, auf einem schlecht fabrizierten Stuhl geparkt und höre den stündlich wechselnden Fuchtelmonstern vor der Tafel zu, wie sie über Aufklärung philosophieren, Nationalsozialismus referieren und von Zeit zu Zeit vom „richtigen Leben“ grölen. Vor allem wenn man mal seine Hausaufgaben vergessen hat, für irgendeine Prüfung nicht gelernt hat oder sonst wie unzuverlässig gewesen ist, wird einem mit impertinenter verbaler Gewalt eingebläut, dass das in diesem ominösen richtigen Leben nicht ginge.

Ständig wird den Schülern vorgeredet, sie lebten in einer Traumwelt in der die Wände rosa und die Böden eine hübsche Blumenwiese sind. Wir Schüler sollen aufhören, uns zu beklagen, wir hätten zu viele Hausaufgaben, hätten zu viel zu lernen oder die Anforderungen an uns wären viel zu hoch, denn noch haben wir Schonzeit. Davon bekommt der Schüler nur leider nicht viel zu spüren, denn würde er alle Aufgaben, die ihm aufgetragen werden gewissenhaft und akribisch durchführen, würde er von acht bis eins in der Schule sitzen und nach einer Mittagspause von zwei bis sieben Uhr abends Hausaufgaben machen oder für Prüfungen lernen. Nur weil wir die Hälfte des Tages Zuhause sind, heißt das nicht, dass Schüler sein mit weniger Arbeitsaufwand verbunden ist. Was den Schwierigkeitsgrad betrifft kann ich nicht mitreden, aber quantitativ werden an einen Schüler im Jahr 2017 viel höhere Ansprüche gestellt als an einen Schüler von 1987.

Da soll dieses richtige Leben schwieriger sein, als das eines Schülers? Pustekuchen. Im „richtigen Leben“ tausche ich die kollektive Langeweile gegen einen Job, der mir idealerweise Spaß macht. Die Abhängigkeit von Mummy und Daddy tausche ich ein gegen selbstverdientes Geld, das ich auch noch sinnvoll ausgeben kann, wenn die beiden gute Arbeit geleistet haben. Es kann wirklich so einfach sein – es muss nicht, aber es kann. Nur weil manche es nicht einfach hatten in ihrem Leben, heißt das nicht, sie müssen der Jugend Angst vor einem selbstständigen Leben machen. Sie sollen ihre Frustration lieber an der Nachbarskatze auslassen anstatt an ihren Kindern.

Ich habe keine Angst vor der Zukunft, auch wenn mich viele vor ihr warnen wollen. Man sagt mir, ich solle lieber auf Nummer sicher gehen, immer was auf die hohe Kante legen, so früh wie möglich einen Weg finden, wie ich eine Frau und drei Kinder ernähren könnte, die ich vielleicht mal haben könnte. Und hierfür bräuchte ich Geld und dafür werde ich zahlen müssen, ich sollte also schon mal anfangen zu sparen. Da spiele ich aber nicht mit. Wenn ich spontan entscheide, heute das Konto zu plündern, das ich für die Familie eingerichtet habe, die ich in zehn Jahren haben werde, um auf Weltreise zu gehen, dann gehe ich auf Weltreise.

Abschließend noch eine Botschaft, an alle, die mich jetzt am liebsten ohrfeigen würden, behaupten, ich wäre viel zu naiv oder würde mir die ganze Sache viel zu einfach vorstellen: Für mich hat es bisher noch immer auf dem einfachen Weg geklappt. Für seine Erfolge muss man arbeiten, Anstrengung muss man in Kauf nehmen, genauso wie Rückschläge. Das macht ein Ziel aber noch lange nicht schwer oder gar unerreichbar. Ich frage also: Anstatt andere zu verfluchen, weil sie es angeblich leichter hatten als ihr, warum habt ihr aufgegeben?

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