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February 2, 2017

E TE TSE #05
Cock-a-doodle-doo

Michael Brugger

Liebe Leserin, lieber Leser, das wird eine Enthüllungsstory, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Über Jahrhunderte glaubte man, so etwas könne es nicht geben – doch hier bin ich, bereit, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit ans Licht zu bringen. Dass ich all das (bis jetzt) überlebt habe, grenzt an ein Wunder. Dies ist die erschreckende Geschichte des Michael B.

Die meisten meiner Geschlechtsgenossen bedauern und beneiden mich gleichzeitig. Denn in meinem Leben gibt es eine signifikante Besonderheit: Meine Klasse besteht aus 22 Schülerinnen (merke: weiblich) und einem einzigen Schüler, mich. Ich bin der Hahn im Korb. Letztes Jahr und im Jahr davor waren wir zumindest noch zu zweit, noch ein Jahr zuvor waren wir in gewisser Weise in einer Two-And-A-Half-Men-Situation und in der ersten Klasse war mein einziger männlicher Klassenkamerad ein hyperaktiver, kaum anwesender Inder – wie ich ihn vermisse. Das muss man sich erst auf der Zunge zergehen lassen; jeden Tag alleine mit 22 jungen Frauen. Der Traum eines jeden Mannes. An meinem ersten Schultag schlug ich förmlich Haken vor Freude. Ich legte mir schon die allerbesten Anmachsprüche zurecht, die das Internet hergab. Noch dazu kam ich aus einer Mittelschule, an der das Thema Mobbing etwas lockerer gehandhabt wurde, ich freute mich also auf die Ruhe und den Frieden. Ich wohnte im siebten Himmel, Wolkenkuckucksheimstraße, Ecke Rosarotebrillenallee. 

Meine lieben Männer, lasst euch nicht täuschen!

Am zweiten Tag zwangen mich vier von ihnen, ihr schwuler bester Freund zu werden. Sieben wollten mich hübsch schminken. Fünf wollten mir die Haare lavendellila färben und wirklich alle von ihnen wollten mir Leopardenleggins anziehen, um zu sehen, wie das aussieht. Von etwa der Hälfte wurde ich offiziell gefriendzoned, vom Rest vermutlich inoffiziell. 

Zu sagen, mein Leben hätte sich dadurch nicht geändert, wäre eine eiskalte Lüge. Die meisten und engsten meiner Freunde sind weiblich, ich weiß nun wie man mit Frauen spricht, aber nur wenn ich will, dass sie mich als einen der ihren akzeptieren. Ich habe gelernt einer Frau zuzuhören, ohne einzuschlafen, ich habe gelernt, bei Kummer zu trösten, zu helfen, über den Ex hinwegzukommen oder Schmink- und Modetipps zu geben. Ich bin zu dem geworden, zu dem Frauen sagen „Ach, könnte ich nur einen Mann treffen, der genauso ist, wie du“. Liebe Frauen, das ist das Schlimmste, das ihr einem Mann sagen könnt.

In mir schwimmt wahrscheinlich mehr Östrogen, als Bruce Jenner sich spritzen hat lassen, um zu Caitlyn zu werden. Das einzige, was mir noch fehlt, sind die leopardierten Leggings, die müssten aber auch noch bei mir irgendwo herumliegen.

Weit erstaunlicher ist aber, dass ich nach all den Jahren immer noch nicht umgedreht wurde. Trotzdem muss ich aber auf die Frage, wie viele von ihnen ich schon hatte, mit „keine“ antworten.  Ab und an höre ich dennoch ein determiniertes „Meine Augen sind hier oben“. Erwischt. Aber ganz ehrlich – kann man es mir verübeln?

Foto by franzmagazine (“Rufus” by Virge Brûle @ Monocle Shop Meran)

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