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November 12, 2016

Mit Stacheln und Spitzen: „Griseldis“ von 1713 in Mals

Kunigunde Weissenegger

Eine junge Frau, unbedingter Gehorsam, Kindsmord. Doch ist die Geschichte wirklich so simpel? Toni Bernhart  und Janina Janke führen bei „Griseldis“ gemeinsam Regie. Sie meinen, es gehe um mehr. Also worum? Mit Regisseurin und Regisseur haben wir über einmalige Theaterräume, die Musik von Ernst Thoma, Papier aus Lumpen, Vertrauen als einziges Mittel gegen Angst und Anti-Tugenden gesprochen.

Janina Janke – ist eine international tätige Regisseurin und Künstlerin aus Berlin, die zuletzt in den UN-Hauptquartieren Genf, Wien, Nairobi und New York City ihr Projekt „Unknown Spaces“ zeigte – und Toni Bernhart – lebt und arbeitet als Theaterautor und Literaturwissenschaftler in Stuttgart und Berlin – arbeiten nicht zum ersten Mal zusammen – 2010 inszenierten sie mit der Volksbühne Laas den „Laaser Jedermann“. Auf und hinter der Bühne agieren rund 50 Theaterleute der Malser Theatergruppen Volxteattr Oubrwind Mols, Theatergruppe Mals, Dorftheater Schleis, Heimatbühne Burgeis, Rampenlicht Lootsch und Theatergruppe des Kirchenchors Tartsch.

Aufführungsort ist die nach den Entwürfen des Architekten Werner Tscholl neu gebaute Stiftsbibliothek von Marienberg, die in einem halben Jahr mit Büchern gefüllt sein wird. Geprobt wird seit Monaten, los ging’s am 5. November, weitere Aufführungen gibt’s am 12., 13., 18., 19. und 20. November 2016, jeweils um 20.00 H. Interessant ist übrigens, dass das Theaterprojekt der Malser Theatergruppen, des Benediktinerstifts Marienberg und des Bildungsausschusses Mals neben anderen Förderungen  auch durch den Europäischen Forschungsrat im Rahmen des Forschungsprojekts „DramaNet – Early Modern European Drama and the Cultural Net“ der Freien Universität Berlin unterstützt wird.

Gut, die Umgebung von Marienberg ist ländlich, Griseldis ist eine Bauerntochter. aber inwiefern hat das Stück außerdem Bezug zur Gegenwart oder Zukunft? Ist das Thema nicht etwas verstaubt oder vergilbt, wie die Blätter, auf denen der Text gefunden wurde? Wie „zeitgenössisch” ist Griseldis?  

Toni Bernhart: Die „Griseldis“ ist allein schon deshalb in der Gegenwart interessant, weil sie seit der Dramatisierung durch Gerhart Hauptmann (1909), also seit mehr als 100 Jahren,  aus allen europäischen Dramatiken verschwunden ist. Das hat in erster Linie damit zu tun, dass Demut und Geduld in der Moderne Anti-Tugenden sind und dass eine Frau, die quasi als Wette ihrem Mann unbedingten Gehorsam verspricht, ganz unmöglich und unsäglich ist. Wenn man die Konstellation jenseits einer bipolaren Geschlechterfrage stellt, ist das Ganze eine Frage des Vertrauens. Alles wird gut, wenn ich dir vertrauen kann. Das haben wir uns zugunsten von Individualität abtrainiert. Dabei ist Vertrauen das einzige Mittel gegen Angst. Janina Janke_Toni Bernhart

Warum fiel eure Wahl auf dieses Stück?

Toni Bernhart: Nicht wir haben das Stück gewählt, sondern das Stück ist auf uns zugekommen! Als ich im Januar 2014 im Archiv des Benediktinerstifts Marienberg nach handschriftlichen Theaterstücken suchte, entdeckte ich diese Fassung einer „Griseldis“, die auf den „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio zurückgeht. Da war mir sofort klar, dass ich dieses Stück genau an dem Ort zur Aufführung bringen will, an dem es aufbewahrt wird, nämlich im Benediktinerstift Marienberg. Janina Janke, die Co-Regissseurin, war von der Idee sofort begeistert, sodann auch Markus Spanier, der Abt von Marienberg. Sehr schnell wollten auch die Theatergruppen der Gemeinde Mals dieses Experiment wagen, so dass wir am 5. November 2016 zur Premiere laden konnten. 

Was ist das reizvolle an einem Aufführungsort wie diesem?  

Janina Janke: Ganz einzigartig ist der Umstand, dass wir nicht nur einfach im Benediktinerstift Marienberg Theater spielen, was schon spannend genug wäre, weil es an die lange Theatertradition der Klosterschulen anschließt, sondern dass wir im Neubau der Stiftsbibliothek spielen dürfen, die nur ganz wenige Monate dafür zur Verfügung steht. Seit etwa sechs Wochen hat der Rohbau Fenster, Türen und Heizung und in drei, vier Monaten beginnt der Einbau der Möbel und die umfangreichen historischen Bestände der Stiftsbibliothek ziehen in den Neubau ein. Dann ist das eine Bibliothek und in diesen Räumen wird man nie mehr Theater spielen können. Dass das jetzt möglich ist, ist dem Abt von Marienberg Markus Spanier zu verdanken. Der Raum gibt die Inszenierung vor. Man könnte sie nicht an einen anderen Ort transferieren.  

Und gibt’s beispielsweise Dinge, die in gesegnetem Gemäuer nicht möglich sind? 

Diese Frage haben wir uns nie gestellt.

Wie wurden Kostüme und Maske gewählt? 

Toni Bernhart: In den vom Architekten Werner Tscholl gestalteten Räumen der Bibliothek treffen romanische Gemäuer auf moderne funktionale Betonwände. Hier tritt mittelalterliche Architektur in einen Dialog mit der Gegenwart. Genau das bietet eine perfekte Szene für unsere „Griseldis“-Inszenierung. Daher bespielen wir den Raum so, wie er ist, und verzichten auf weitere Bühnenelemente. Die Kostüme übernehmen daher eine umso wichtigere Funktion. Teilweise haben wir sie aus Hadernpapier angefertigt. Ein Papier, das aus Lumpen hergestellt wird. Die „Griseldis“ wurde 1713 auf eben einem solchen Papier handschriftlich verfasst. Das Material spiegelt den historischen Bezug wider, ergänzt von ganz zeitgenössischen Elementen. Griseldis_Foto VinschgauDesign-34

Wie wird die Musik eingesetzt? Wie ist sie gestaltet? 

Janina Janke: Ernst Thoma, der ein sehr theatererfahrener Komponist und Musiker ist, hat für die „Griseldis“ vier Stücke komponiert, die er auch selbst in allen Aufführungen spielt. Zwei davon sind Chorstücke, die in die Handlung eingewoben sind. Ernst Thoma hat sich für eine überraschende Instrumentierung entschieden, nämlich für das ganz vergessene Harmonium. Das Harmonium ist der Orgelersatz entlegener Kirchen und Pfarreien und kontrastiert sehr stark mit der Wucht und der Kraft von Marienberg. Hinzu kommen Chor, Harmonium und Violine, die den akustisch reizvollen Raum der Bibliothek mit Musik füllen. 

Worauf habt ihr bei der Regiearbeit besonders geachtet? Das Team ist riesig, nicht?

Janina Janke: Ja, die Gruppe der Schauspieler ist verhältnismäßig groß. 24 Spielerinnen und Spieler von sechs Theatergruppen aus der Gemeinde Mals stehen auf der Bühne. Uns war von Anfang an ganz wichtig, dass alle mitspielen können, die mitspielen wollen. Das Interesse an dem Projekt war enorm – und das ist wunderschön! Das Wichtigste ist uns dieser partizipatorische Aspekt. Sehr wichtig ist für uns bei der Regiearbeit auch, ganz aufmerksam auf den Spielort einzugehen. Die Setzung im Raum ist eigentlich die einzige Aktualisierung, die wir an der „Griseldis“ vornehmen. Wir spielen ganz wörtlich die Fassung von 1713, nur etwas gekürzt, und staunen, wie dieses Stück von 1713 mit Stacheln und Spitzen in die Gegenwart hereinsticht, dass uns und allen SpielerInnen immer wieder der Atem stockt. 

Sitzplatzreservierung: Ferienregion Obervinschgau, Tel. 0473 831190, info@ferienregion-obervinschgau.it; für kurzfristige Reservierungen und Mitteilungen Tel. 346 0098494 (SMS). Gratis-Shuttlebus zwischen Kulturhaus Burgeis und Benediktinerstift Marienberg; Abfahrt Kulturhaus Burgeis jeweils um 19.00, 19.15 und 19.30 Uhr, Rückfahrt nach Vorstellungsende. Warme Kleidung und festes Schuhwerk sind empfohlen.

Fotos: Vinschgau Design

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