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October 27, 2016

Engagierte Literatur in Zeiten des Spätkapitalismus: Autorin Jutta Blume

Christine Kofler

Die Berlinerin Journalistin Jutta Blume ist Stipendiatin der Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte in Meran und arbeitet derzeit in der Passerstadt an ihrem neuen Roman. Vergangene Woche las sie im Literaturclub Ost-West Auszüge daraus. Wir haben Sie auf einen Kaffee getroffen und mit ihr über fiktionales Schreiben, politische Literatur und die Situation in Honduras  gesprochen.  

Du bist Journalistin. Wie bist du zum Schreiben gekommen  –  also vom Journalismus zur fiktionalen Literatur?

Eigentlich war mein Weg der umgekehrte: Schon in meiner Kindheit habe ich Geschichten geschrieben. Später habe ich erst Landschaftsplanung studiert und dann noch ein Studium im Bereich Wissenschaftsjournalismus absolviert. Neben meiner Arbeit als Journalistin hab ich versucht, das fiktionale Schreiben zu professionalisieren. Im Jahr 2004 ist dann mein erster Roman erschienen.

Aktuell bist du Stipendiatin der >Franz-Edelmaier-Residenz für Literatur und Menschenrechte< und arbeitest derzeit in Meran an deinem aktuellen Romanprojekt >Tiefen oder eine Liebe im Zeitalter des Spätkapitalismus<. Worum geht es im Buch?

Es ist eine Geschichte von Vertreibung und Korruption, angesiedelt in Honduras. Die Rahmenhandlung ist eine Beziehung, die man Liebesgeschichte nennen könnte – ein Mann sucht seine ehemalige Geliebte und kehrt deshalb nach Honduras zurück. Er arbeitete dort in der Entwicklungszusammenarbeit. Nach seiner Rückkehr bemerkt er Veränderungen in dem Ort. Die Region wurde Teil einer Sonderwirtschaftszone mit einem von außen installierten, undemokratisch eingesetzten Verwaltungssystem. Intrigen werden gesponnen. Nach und nach entsteht ein Klima der Angst, in dem jeder dem anderen misstraut. 

Hast du diese Atmosphäre des Misstrauens selbst gespürt, als du in Honduras warst?

Als ich dort war, an dem Ort, an dem meine Geschichte spielt, war es sehr viel friedlicher. Ich konnte mich frei bewegen. Allerdings hat es dort einen Vorfall gegeben, der die Bewohner ängstigte und verunsicherte. Plötzlich kam ein Auto in den Ort gefahren, drei oder vier maskierte Männer, gekleidet in Shirts mit Polizei-Aufdruck stiegen aus – allerdings muss das nichts heißen. Sie haben drei Männer aus einer Bar herausgezogen und anschließend am Ortseingang erschossen. Die Tat wurde nie aufgeklärt. Deshalb war die Stimmung im Ort gedrückt.

Der Staat hält sich hier raus?

Er hält sich raus oder ist selbst beteiligt. Gerade die Ermordung der Menschenrechts- und Umweltaktivistin Berta Cáceres ist sehr dubios. Auch hier wird von vielen angenommen, dass neben Unternehmen auch höhere Regierungsebenen an der Tat beteiligt sind bzw. diese die Mörder decken.

Spitzt sich die Situation in Honduras zu?

Ja, ich denke schon. Seit den jüngsten Wahlen Ende 2013 hat sich die Gesellschaft weiter militarisiert. Es wurden neue Spezialeinheiten geschaffen… das Morden hört nicht auf.

Wie lassen sich ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse, die ja oft sehr komplex sind, literarisch erzählen?

Damit eine Geschichte zustande kommt, muss Komplexität reduziert werden. Dies gelingt, indem ich verschiedene Aspekte herausgreife und versuche, anderes auszublenden. Ich streiche auch viel. Seit ich hier bin, habe ich wohl mehr gestrichen als geschrieben. Es ist wesentlich, zu verdichten. Während dem Schreiben muss ich das Hintergrundwissen der Figuren im Kopf behalten, aber es muss nicht alles ausgesprochen werden.

Ich habe die Figur von Ulrich interessant gefunden. Da er aus dem Westen kommt und in Honduras als Entwicklungshelfer arbeitete, erlaubt dir die Figur einen Blick von Außen auf das Land zu werfen…

Ja, genau. Ulrich bietet auch die Möglichkeit einer Charakterentwicklung. Also die Entwicklung von jemandem, der in die Entwicklungshilfe erst so reingerutscht ist, hin zu einer Person, die sich mit ihrer Rolle auseinandersetzt. Und anerkennt, dass sie selbst vielleicht auch bestimmte Dinge mit auf den Weg gebracht hat, die schief laufen.

Sind deine Romane “engagierten Literatur”?

Ja. Genauso wie meinen letzten Roman „Ruf der Pflanzen“ würde ich auch diesen als einen politischen Roman bezeichnen.

Welche Aufgaben hat politische Literatur heute? Geht es dir auch darum, neue Lösungsansätze aufzuzeigen, neu Utopien zu formulieren – oder wäre das zu vermessen?

Ich glaube, das wäre vermessen. In der lateinamerikanischen Literatur spielen politische Inhalte eine wichtige Rolle. Die Frage ist natürlich auch, von wem diese rezipiert werden. Ich vermute mal, von Menschen, die sowieso schon etwas über das Thema wissen. Ich denke aber, mit dem Roman habe ich die Möglichkeit, den Fokus auf  ein kleines Land und seine sozialen zu Verhältnisse lenken. Durch das fiktionale Erzählen, das ja anders funktioniert als das journalistische, emotionaler ist, hoffe ich, einen anderen Zugang aufzutun.

Wann können wir dein neues Buch kaufen?

Im kommenden Jahr soll der Roman fertig werden. Von Mitte Jänner bis Mitte Februar 2017 werde ich an einem Writer in Residence-Programm in Lettland teilnehmen. Anschließend geht es dann auf Verlagssuche. 

 Foto: Sonja Steger 

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