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July 25, 2016

“Made in Bangladesh” von Helena Waldmann bei Tanz Bozen: Ein Rückblick

Hanna Mayr

Tanzen kann vieles. Und das Geschichtenerzählen gehört dazu. Die deutsche Choreographin Helena Waldmann erzählt bei Bozen Tanz mit Made in Bangladesh von den dortigen Arbeitsbedingungen der Textilindustrie. Dazu verwendet sie den Kathak, einen nordindischen Tanz, der mit von Füßen produzierten Rhythmen Geschichten erzählt. Doch nicht nur deswegen passt er zu den Missständen, über die getanzt wird. Die Künstlerin hat diese Tanzform ausgewählt, weil sie den Druck und die Verantwortung, die auf den ArbeiterInnen lastet, ausdrückt.

Die zwölf TänzerInnen im bunten Seidengewand bewegen sich akribisch genau. Sie drehen und drehen und drehen sich. Das Publikum muss den Atem anhalten, erwartet einen Fehler, doch es passiert nichts. Die Bangladeshi trommeln mit ihren blanken Füßen einen Rhythmus, es folgt ein anderer. Die Rhythmen gehen nahtlos ineinander über, alles verläuft reibungslos. Es ist ein Produkt absoluter Konzentration.

Tanztheater Made in BangladeshErschöpfung und Fehler werden in der Textilindustrie nicht gebilligt. Nicht einmal eine Toilettenpause ist den ArbeiterInnen mit Niedriglohn gestattet. Auf der Leinwand leuchtet eine weiße Schrift auf: “Sie sehen das Stück seit 70 Minuten. Inzwischen hat ein_e ArbeiterIn in Bangladesch 28 Cent verdient.”
Doch die Choreographin verweist auch auf einen Widerspruch: Einerseits sind die TextilarbeiterInnen von den Konzernen abhängig, müssen unerbittlich und unter harten Bedingungen für sie arbeiten. Andererseits verdienen sie dadurch Geld, das ihnen eine finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht und fordern sogar, sie nicht zu boykottieren.

Wie Maschinen laufen ebenfalls die TänzerInnen herum, stellen sich in Reihen auf, melden sich bei ihrem Chef. Sie rattern wie die Nähmaschinen, sie sind die Fabrik.
Plötzlich hört man ein lautes Krachen. Im Hintergrund werden Bilder von Trümmern eingeblendet. Das Unglück von der 2013 eingestürzten Textilfabrik in Dhaka ermöglicht ein kurzes Innehalten und Nachdenken. Doch schon geht es weiter, die TänzerInnen stampfen und klatschen und singen in Silbensprache. Immer schneller, immer intensiver. Die Choreographin zieht in der zweiten Hälfte des Stückes einen Vergleich mit der westlichen Theaterwelt. Fotos von Balletttänzerinnen und Zitate wie “Vergangenes Jahr habe ich 60 Aufführungen getanzt, dieses Jahr sind es schon 100 – für die gleiche Gage.” werden projiziert.

Auch jetzt tanzen die DarstellerInnen bis zum Umfallen. Wieder drehen sie sich um ihre Körper. Einer ruft zur Wiederholung auf: “And again. One, two, three, four, five, six, seven.” Zum Schluss hält man es fast nicht mehr aus. Man fühlt den Druck, die Rhythmen rauschen in den Ohren. Man spürt die brennenden Füße der TänzerInnen und ist selbst erschöpft.

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