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June 27, 2016

Dualität in Blut + Store: die Gründerinnen von Variatio in Bruneck

Kunigunde Weissenegger

Sie wollten alles, was das Herz begehrt, an einem Ort unterbringen und anbieten: Kleidung, Möbel, Bücher, Musik, Wohnaccessoires und Kunst. Der Fokus sollte auf hochwertigem Südtiroler Design liegen und das Ganze auch Plattform und Treffpunkt für DesignerInnen, KünstlerInnen und Interessierte in Bruneck sein. – Großes Vorhaben und weiter im Plan: Als Standort haben sich die beiden Kunsthistorikerinnen die Pusterer Hauptstadt im wilden Osten ausgesucht. Und geschafft! Ab 1. Juli 2016 ist es soweit und in Brunecks Oberstadt wird’s Abwexlung – mit x wohlgemerkt – und Variatio Design & Art Store geben. Geschäft, Galerie und Ausstellungsraum in einem, sich unterhalten, etwas trinken, lesen… Wir haben uns mit den beiden Gründerinnen Martina Baumgartner und Birgit Hofer unterhalten.

Wer steckt denn nun genau hinter dem Projekt? 

Hinter Variatio stecken zwei Freundinnen, mit großer Unterstützung von den Familien und vielen lieben Freunden. Wir kennen uns mittlerweile seit über zehn Jahren, haben zusammen gewohnt und Kunstgeschichte studiert, unser Studium in Salzburg begonnen, ein Jahr in Graz verbracht und es in Innsbruck beendet. Birgit Hofer aka Biggi ist kurz nach Ende des Studiums wieder nach Hause gezogen und hat in den letzten Jahren in einer Holzschnitzerei in Bruneck gearbeitet und dort die Bedürfnisse von KundInnen kennengelernt. Tina aka Martina Baumgartner hat nach dem Studium in Innsbruck in einer Kunstgalerie gearbeitet. Mit dem Studium Kunstgeschichte ist es besonders im ländlichen Raum schwer Fuß zu fassen. Da wir in diesem Bereich tätig sein wollen, weil es uns Freude macht und uns Kunst und Design ein Anliegen sind, haben wir beschlossen, unseren Traum in Angriff zu nehmen und zu verwirklichen.

Wie und warum seid ihr auf die Idee eines Concept Stores in Bruneck gekommen? 

Die ursprüngliche Idee einer Galerie ist bereits zu Beginn unseres Studiums aufgekommen. Dieser Traum wurde aber von der Realität eingeholt, trotzdem schwirrte er immer in unseren Köpfen herum. Irgendwann begannen wir wieder über dieses Thema zu sprechen und wurden in unseren Vorstellungen immer konkreter, wobei auch der wirtschaftliche Aspekt mit berechnet wurde. Dies bedeutete, dass sich die „Galerie“ zum Concept Store für Design und Kunst wandelte. Besonders wichtig war auch der Ort. Bruneck erschien uns nach langem Überlegen sehr passend, da die Stadt nicht zu groß ist und eine Vielzahl sehr interessanter Menschen beheimatet. Gleichzeitig ist sie auch ein großer touristischer Anziehungspunkt. Nicht zuletzt sind wir beide zwei Puschtra Gitschn

Warum legt ihr den Fokus auf heimische, hochwertige Produkte? 

Einem Concept Store liegt es zugrunde, dass aktuelle Trends verfolgt werden. In den letzten Jahren konnte man bemerken, dass die Menschen immer mehr Wert darauf legen, woher die Produkte kommen und von wem sie gemacht werden. Viele möchten sich von den Massenprodukten wieder entfernen und schätzen Einzelstücke. Heimische Erzeugnisse vermitteln neben dem materiellen Wert auch einen ideologischen Wert – die Menschen suchen wieder lokale Erzeugnisse und kommen zurück zu den Wurzeln – Stichwort Dualität global–lokal und Angst vor Wertverlust. Produkte, die in liebevoller Handarbeit erzeugt werden, haben auf alle Fälle einen bestimmten Wert, der sich im Preis niederschlägt. So findet man bei uns ein vielfältiges Sortiment an Schmuck, Bekleidung, Gebrauchsgegenständen und Kleinmobiliar von renommierten und jungen DesignerInnen aus Südtirol. Die Stücke, die in unserem Store verkauft werden, stehen auch unter einem besonderen Kontext – das bedeutet, dass die KundInnen wissen, dass die Produkte von heimische DesignerInnen sind – die Wertigkeit ist eine andere. 

Was gibt’s denn genau und ausserdem?

Natürlich vertreten wir kein Scheuklappendenken, sondern bieten auch überregionale Designprodukte an. Neben unserem Store haben wir auch noch einen zweiten Raum als Ausstellungsfläche. Dieser “Raum 3000″ ist flexibel nutzbar für Kunstausstellungen, Lesungen, Diskussionen beispielsweise und soll besonders KünstlerInnen eine Fläche bieten, sich zu präsentieren. Weiters haben wir eine Sitzecke integriert, um unseren KundInnen die Möglichkeit zu bieten, etwas zu trinken, in Büchern und ausgewählten Zeitschriften zu stöbern. Wir möchten ein neues Einkaufserlebnis vermitteln, die KundInnen sollen nicht unter Druck stehen, etwas zu kaufen, keine Scheu vor einem Gespräch haben und sich auch länger im Store aufhalten. Es soll sich zu einem Treffpunkt entwickeln, wo man weiß, dass man auf interessierte, gleichgesinnte Menschen trifft, um sich auszutauschen. Ein Wohlfüllklima soll erzeugt werden. 

Warum “Variatio”? 

Wir haben lange nach einem passenden Namen gesucht, der mit uns in Verbindung steht, aber auch etwas zum Ausdruck bringt. Biggi musste an der Uni das kleine Latinum nachholen und hat sich sehr damit abgequält – was ihr geblieben ist, war die lateinische Redewendung “Variatio delectat” – “Abwechslung erfreut”. Dieser Spruch steht auch für unsere Lebenseinstellung und die gemeinsame Studienzeit, die sehr abwechslungsreich war. Beim Fuorisalone in Mailand, überwältigt von den vielen Eindrücken, wurde uns nochmals deutlich, dass unser Store wandelbar und abwechslungsreich sein soll. Die Lateinische Sprache steht für Beständigkeit und das Überdauern, Variatio (Abwechslung) steht für die Veränderung und Bewegung. So ergibt sich im Namen eine Dualität welche für uns zum Programm wird. 

Was ist Variatio noch alles?

Variatio ist ein Konzept (und unser Unwort des Jahres): Wir wollen Design, Kunst und Kultur außerhalb von konventionellen, musealen Betrieben fördern und eine Plattform für Kunstschaffende und  -liebhaberInnen bilden. Besonders liegt es uns am Herzen, der Südtiroler Kulturszene einen weiteren Raum in Bruneck zu bieten. Im Store wird Variatio verörtlicht, um Platz für  Austausch zu schaffen, gleichzeitig möchten wir aber Netzwerke bilden, nicht nur regional, sondern auch international, um interessante Ausstellungen nach Bruneck zu bringen. Durch den Store verliert “OttonormalverbraucherIn” vielleicht die Scheu, sich mit Kunst auseinander zu setzen (da sie in keinem steifen Umfeld stattfindet) und kann mit uns in Dialog treten. – Kunst, Design soll für jeden zugänglich sein.  

Was waren die Herausforderungen beim Aufbau des Stores?

Die erste große Herausforderung war, einen passenden Raum für unsere Idee zu finden. Eine zweite Hürde war es anfangs unserem näheren Umfeld unser Konzept zu verdeutlichen. Nachdem wir die ersten Ansprechpartner auf unserer Seite und einen idealen Platz gefunden hatten, verselbstständigte und wuchs der Plan immer mehr. Teilweise eilte uns das Projekt voraus und wir wurden von verschiedenen DesignerInnen sogleich positiv empfangen. Im Laufe der letzten Monate hatten wir unzählige lange Gespräche mit vielen verschiedenen Typen von Menschen, von denen wir sehr viel kreatives Input bekamen. Von der praktischen Seite aus waren vor allem die Inneinrichtung des Stores und die bürokratische Abwicklung eine große Aufgabe. Aber auch hier standen uns viele liebe Menschen tatkräftig zur Seite. Insgesamt gesehen, war es eine sehr spannende und intensive Zeit, die uns viel Freude bereitete und auch wachsen ließ. Wir sind sehr guter Dinge und hoffen, dass es auch in Zukunft so weiter geht. 

Was wird im Variatio in Zukunft alles los sein? Besonders in nächster Zeit, im Sommer?

Nun steht als nächstes am 1. Juli (16H) und 2. Juli (10 H) unser Opening an. Für die Eröffnung präsentieren wir in unserem Raum 3000 ausgewählte Werke aus der Sammlung Simonow. Der Berliner Kunstliebhaber André Simonow zeigt junge aufstrebende zeitgenössische KünstlerInnen aus dem deutschsprachigen Raum, besonders Berlin und Düsseldorf. Mit André als Bindeglied zwischen Berlin–Bruneck–Bozen werden wir auch künftig zusammenarbeiten. 
Am 4. August gestalten wir bei Salon/e, am Rathausplatz in Bruneck und  organisiert vom Verein Confusione, einen Donnerstagabend mit Connect Identity (William D’Alessandro) und Cargocollective (Stefano D’Alessio): Diese Installation wird anschließend in unseren Raum 3000 transferiert. 
Ausserdem sind eine Lesung und eine Performance bereits anvisiert. Weiters sind wir mit dem Südtiroler Künstlerbund, dem Museumsverein Bruneck und anderen Organisationen für eine Zusammenarbeit im Gespräch. Das Konzept befindet sich noch in der Anfangsphase und bietet nach oben viel Raum. Wir sind sehr zuversichtlich, dass sich hier noch spannende Querverbindungen ergeben werden.

Foto: Martina Baumgartner + Birgit Hofer, (c) Chris Steger Photography

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