Music

June 20, 2016

Musikalische Energie bis weit über’s Limit: Lukas Kranzelbinder beim Südtirol Jazzfestival

Kunigunde Weissenegger

Wenn jede(r) um sein Leben spielt, dann ist er nicht weit. Er spielt den Kontrabass. Unter anderem. Ausserdem ist Lukas Kranzelbinder Komponist und Label Boss. Und es scheint so, als ob er nichts anderes tue, als Bands zu gründen. So einer darf beim Südtirol Jazzfestival natürlich nicht fehlen, wenn heuer noch dazu der Länderschwerpunkt neben Italien auf Österreich liegt. Für das Eröffnungskonzert hat sich der Kärntner und Wahlwiener etwas Besonderes ausgedacht und lässt österreichische und italienische Musikerinnen und Musiker am 24. Juni um 21 H im Fruchthof Überetsch aufeinander knallen. Und ihr werdet sehen, sein Kontrabass kann es mit Leichtigkeit mit jeder E-Gitarre aufnehmen und sein Auge zwinkert nicht nur beim Musik machen. 

Ist Kontrabass die neue E-Gitarre, um Coolness-Punkte zu sammeln? 

Es gibt viele Studien, die sich mit dem Thema befassen! Derzeitiger Stand: schwer zu sagen. Für mich strahlt ein Kontrabass eine Ästhetik aus, die kein anderes Instrument erreichen kann – eine sehr intensive, dunkle und trotzdem warme Energie. In puncto Groupies kenn ich die offiziellen Zahlen aber nicht, wahrscheinlich wird da die E-Gitarre immer eine E-Gitarre bleiben. 

Wie lange spielst du dieses sagenhafte Instrument und wie kam es dazu?  

Es gibt nicht viele Leute, die mit Kontrabass anfangen, wobei ich einmal eine Schülerin gehabt habe, die mit neun Jahren den Wunsch geäußert hat, Kontrabass zu spielen, als erstes Instrument – das fand ich schon beeindruckend. 
Ich habe relativ lang eher hobbymäßig Klavier gespielt, kurz Gitarre gelernt mit 14 und bin dann relativ schnell auf den E-Bass umgestiegen. Das ist aber auch eher durch Zufall passiert. Wir haben in unserem Gymnasium in Klagenfurt eine Schulband gehabt, und da hat man sich bewerben können. Ich habe damals eben noch Klavier gespielt, hab mich also als Keyboarder beworben und bin auch genommen worden. Dann war es aber so, dass die Band zwei Keyboarder, aber keinen Bassisten gehabt hat – das war damals ziemlich uncool, heute wär’s wahrscheinlich wieder hip. Ich hab zu der Zeit circa ein halbes Jahr E-Gitarre gelernt und ungefähr gewusst, wie die Bünde funktionieren. Der musikalische Leiter dort hat mich also gefragt, ob ich nicht Bass spielen könnte – und ich war damit einverstanden. Und so bin ich zum E-Bass gekommen. Und sobald ich E-Bass gespielt hab, war es sehr schnell klar für mich, dass ich eigentlich Kontrabass spielen will. Ich hab beim selben Lehrer innerhalb eines halben Jahres auf Kontrabass gewechselt. Da war ich 15 – also verhältnismäßig alt. 

Deine Projekte scheinen alle ein Augenzwinkern im Gesicht zu tragen. Ist dir wichtig, das Lachen nicht zu verlernen bzw. dein Publikum zu unterhalten? …beispielsweise auch mit Expressway Sketches

Ich würde sagen, dass einige meiner Projekte ganz bewusst mit starkem Augenzwinkern konzipiert sind, andere aber gar nicht. Meine Oper “Muchogusto” zum Beispiel war ein Ausflug in eine absurde Welt, in der nie ganz sicher ist, was Ernst gemeint ist und was nicht. Das zieht sich von der Handlung über die Musik bis hin zur Aufführung. Das war dann aber wirklich auch ein eigenständiges Projekt und steht nicht für meine gesamte Arbeit. Mit Mario Rom’s Interzone gehen wir da einen ganz anderen Weg. Da ist ästhetisch alles sehr klar auf eine eher düstere, geheimnisvolle Stimmung festgelegt. Der Background der Band kommt ja sehr stark von William S. Burroughs’ Arbeit und da gibt es zwar auch immer wieder ein Augenzwinkern, und vielleicht sogar lachen – aber auf eine ganz andere Art und Weise. Expressway Sketches fällt ein wenig in die Kategorie meiner Oper – da nehmen wir uns ganz bewusst einer Epoche in der populären Musikgeschichte an: des Surf-Rocks. Und dann bearbeiten wir das Ganze und machen daraus unseren eigenen Stil. Das hat sehr viel mit Spass und guter Laune zu tun, vom musikalischen Zugang unterscheidet diese Projekte aber nicht viel. Mein Grundkonzept, dass es immer um alles geht und man Unterhaltung und Virtuosität stets damit mischt, die musikalische Energie stellenweise bis weit über das Limit zu tragen, zieht sich glaube ich als roter Faden durch meine Arbeit. Ich mag es einfach sehr gern, wenn jede(r) um sein Leben spielt. Meine nächste eigene Band Shake Stew, mit der ich heuer das Jazzfestival Saalfelden eröffnen darf, wird ebenfalls nach diesem Prinzip funktionieren. 

By the way, was ist denn Surf Music?

Surf-Musik war eine hauptsächlich instrumentale Pop-/Rockmusik der frühen und mittleren 60er Jahre. Zu den erfolgreichsten Gruppen zählten The Ventures, Dick Dale, The Shadows und The Marketts. Vielen ist die Musik bekannt aus den Soundtracks Quentin Tarantinos, der die Klassiker dieses Genres immer wieder für seine Filme nutzt. Der Sound zeichnet sich aus durch twangende Gitarren (hauptsächlich Fender-Equipment), Bumm-TschakTschakBumm-Tschak-Rhythmen vom Schlagzeug und tonnenweise Federhall.

Kranzelbinder, Kinzelman, Kinzelbinder. Was soll das? Wollt ihr uns verwirren? 

Ich finde es sehr lustig, dass zwei so spezielle Namen beim Eröffnungskonzert aufeinandertreffen. Da ist mir die Idee gekommen, dass man die Verbindung zweier Länder und deren MusikerInnen bereits im Titel zelebrieren könnte. Und mit welchen Namen ginge das besser als mit Kranzelbinder und Kinzelman.

Zusammenlegung oder Reibung? Wollen MusikerInnen denn miteinander verschmelzen? Für Augenblicke…? 

Da hat, glaube ich, jede(r) seine eigene Vorstellung und Präferenzen. Nach über 10 Jahren in verschiedenen Bands kann ich aber sagen, dass es diesen Moment gibt, in dem sich die MusikerInnen zu etwas Größerem verbinden und abheben. Das entspricht meiner Idealvorstellung und dafür mache ich Musik. Bei Interzone zum Beispiel passiert das erstaunlich regelmäßig, was auch der Grund ist, warum wir aus diesen Konzerten immer soviel Kraft mitnehmen. In so einem Moment werden Energien frei, die einen sehr weit tragen können. Ich bin aber auch recht anfällig für so eine Art der Musik-Trance, da gibt es, wie gesagt, auch andere Konzepte. 

Bleiben wir dabei: das Eröffnungskonzert in Südtirol wirst du mit gemeinsam mit anderen 12 MusikerInnen bestreiten – wie bereitest du dich darauf vor?

Ich habe zunächst einmal eine Gruppe an MusikerInnen zusammengestellt, von der ich das Gefühl hatte, dass sie ein sehr breites Spektrum der österreichischen Musik abdecken. Ich war dabei sehr stark in Kontakt mit Jazzfestivalleiter Klaus Widmann, wir haben viel telefoniert und da wurde auch klar, dass das Eröffnungskonzert das einzige Konzert ist, das eine gewisse ‘Aufgabe’ erfüllen sollte. Bei allen anderen Konzerten kann die jeweilige Band ja quasi machen, was sie will. Das Eröffnungskonzert sollte einerseits natürlich die Verbindung zwischen Italien und Österreich widerspiegeln und dabei mehrere Formationen präsentieren, andererseits aber auch musikalisch ein bisschen breiter gefächert sein als sonst. 
Das hat mich natürlich vor einige Herausforderungen gestellt. Ich habe als erstes das Oktett “Cantata Viennapoli” als Teil des Ganzen ausgewählt. Das Projekt habe ich eigentlich für das Bergkonzert am Fuße des Langkofels am 26. Juni zusammengestellt, nachdem es aber aus so vielen interessanten Einzelprojekten besteht, hat es auch ideal zum Eröffnungskonzert gepasst. 3 neapolitanische Sängerinnen treffen auf 2 Wiener-Lied-Sänger, eine slowenische Wahlwienerin und einige Jazzmusiker. Klaus Widmann hat dann Dan Kinzelman als italienischen Partner vorgeschlagen und er hat einige italienische Musiker eingeladen, die ich gar nicht gekannt habe – was ich großartig finde! Alles in allem glaube ich, dass wir einen sehr schönen Bogen gefunden haben, und ich freue mich schon sehr darauf.

 

Seht ihr euch das erste Mal? Gibt’s noch Überraschungen?  

Ich habe sehr viel schon vorbereitet – Abläufe, Formationen, … stehen bereits fest. Auch die Stücke sind schon fixiert. Natürlich sehen wir uns aber teilweise zum ersten Mal, das bedeutet, es wird sich, wie gewohnt, noch sehr viel kurz davor ändern. Aber das ist ja auch das schöne am Jazz! 

Was bedeutet es denn, Hand auf’s Herz, bei einem Festival wie dem Südtirol Jazzfestival dabei zu sein? Vorher, währenddessen, nachher? – Stress, Vorfreude, Genugtuung, …? Worauf freust du dich? Wovor hast du Angst?

Das Südtirol Jazzfestival ist schon absolut einzigartig – und das sage ich nicht nur so! Wenn man sich vornimmt, ein Land, oder vielleicht sogar zwei Länder, vorzustellen, dann steht man immer vor dem Problem, dass Jazz derzeit einfach so wahnsinnig vielseitig ist. Wo fängt man an? Wo hört man auf? Was Klaus Widmann macht, ist perfekt: Er hat einfach fast die gesamte junge österreichische Szene eingeladen, sich zu präsentieren. Ich glaube nicht, dass es so viele österreichische Bands innerhalb einer Woche zuvor schon einmal irgendwo gegeben hat. Vielleicht auch in Österreich nich. Es ist wirklich super. Gemischt mit den unzähligen italienischen MusikerInnen wird das, denke ich, eine wahnsinnig spannende Zeit. Ich freue mich darauf, sehr viele neue Kolllegen/innen kennenzulernen und mit ihnen zu spielen. Und persönlich freue ich mich ganz besonders auf das “Cantata Viennapoli“ Projekt. Das habe ich, wie gesagt, extra für diesen Anlass ins Leben gerufen und es macht einfach so unglaublich viel Spaß die süditalienischen Pizzicas, die Wiener Lieder und die bitteren slowenischen Volkslieder auf unsere Art und Weise zu spielen. Solche Projekte passieren sonst nie – und schon gar nicht auf 2.200 Metern. Natürlich habe ich durch die Vielzahl an Konzerten heuer einen gewissen Stress, aber das wird sich schon alles ausgehen.

Ein Konzert wirst du mit der Formation Interzone spielen. Geht’s auch schneller zu erklären, was ihr macht, als in diesem Video?  

Interzone spielt Jazz auf 180%  und zwar so, als ob es jeden Abend um unser Leben gehen würde. Das ist wirklich die Band, mit der ich am meisten arbeite und die auch am meisten Erfolg hat. Die Ursache liegt, denke ich, darin, dass wir live eine Atmosphäre schaffen können, die einmalig ist. Und dass hier die Mischung aus sehr virtuos gespieltem Jazz und stark augenzwinkerndem Interagieren ideal funktioniert. Mario Rom und Herbert Pirker spielen auch einfach unfassbar gut. : ) Wir hören oft so Sätze wie: “Ich mag eigentlich Jazz nicht so unbedingt, aber ihr seid ein Wahnsinn!” Das ist natürlich genau das, was wir auch erreichen wollen.

Sorry, die Frage muss kommen: Du bist Klagenfurter, lebst aber in Wien, also ur-…?  

…leiwand!

Und was machst Lukas Kranzelbinder, wenn er nicht komponiert, musiziert oder organisiert?

Ich bin vor Kurzem zum zweitem Mal Vater geworden – und damit ist dieser Punkt meistens recht schnell beantwortet. : )

Foto: Lukas Kranzelbinder (c) by Severin Koller

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