Music

March 18, 2016

Soundtirol II:
Wicked and Bonny

Thomas Stolcis
Zwischen Almabtrieb und Apfelwiesen hat es der Underground ins Vinschgau geschafft. Und seit geraumer Zeit hallt er auch gewaltig aus dem Tal heraus. Die basslastige Musik von Wicked & Bonny ist dabei nur ein kleiner Baustein. Aber dafür ein verflucht wichtiger.

“I glab der Maggu pennt nu,” schallt es aus dem Studio. Die Tür steht halb offen. Kurz darauf empfängt mich Paul. Er reicht mir die eine Hand zur Begrüßung und streckt die andere zur Klingel, um Maggu aus dem Bett zu holen. “Kuan Wunder, isch jo a nu fria,” antworte ich und lege meine Sachen ab. Bis Maggu aus seiner Dachgeschosswohnung runter ins Studio kommt, kann ich mich ja schon mal umsehen. In einem großen Haus bei Maggus Großeltern, inmitten von Apfelwiesen, haben Wicked & Bonny ihr Studio. Paul macht sich dort in der Zwischenzeit zu schaffen. Immer wieder kommen kurze Fragen, wie “wos geat bo dir?” und “bisch ollm nu in Deitschlond?“. Ich antworte mit “nit viel” und “jo”. Auch für mich bedeutet ein Treffen um 9h früh, dass meine Sprechlaune noch eher dürftig ist.  

Die persönlichen Fragen sind dennoch nicht unwesentlich für diese Geschichte. Ich kenne Paul und Maggu schon seit Jahren. Habe mitverfolgt, wie deren erste Band, die Gleeman Members vor knapp 10 Jahren das Matscher Au Open Air eröffnet haben. Wie sie sich dann in wenigen Jahren zu einer einzigartigen Reggae-Band entwickelt haben und schließlich in der Soundsystem-Kultur gelandet sind. Mit ihrem Soundsystem Botheration Hifi haben sie dafür eine Institution geschaffen. Wicked and Bonny MagguDie beiden Jungs von Wicked & Bonny sind ein Seismograph für die Entwicklung der  Reggae-Szene in Südtirol. Vor allem im Vinschgau. Als die Reggae-Welle vor gut zehn Jahren durch’s Tal zog, war sie vor allem durch ihren Live-Charakter gekennzeichnet. Roots waren wichtig. Bands machten entweder traditionellen Ska, Skinhead Reggae oder Roots und Rocksteady. Alles aber live und bandorientiert. Aber auch das Vinschgau erreichte irgendwann die Clubkultur. Sounds wie Dubstep oder Drum and Base wurden populär. Und eben auch die typischen Soundsystem-Geschichten, wie Dub, Dancehall und typische basslastige Reggae-Verwandtschaften.  

An Maggu und Paul kann man diese musikalische Entwicklung bestens sehen. Von der Teenager-Band zur wirklich ambitionierten zehnköpfigen Kapelle bis hin zu dem harten Kern, der übrig bleibt, wenn all jene Weg fallen, die entweder zum Studieren ins Ausland gehen oder einfach dem künstlerischen Leben qua Beruf abschwören. So kann man Wicked & Bonnie, wenn man es pragmatisch sieht, als Überbleibsel einer Vinschger Reggae-Kultur sehen. Damit täte man den Jungs aber unrecht. Denn in Wahrheit sind sie eine Vinschger Institution, hinter der weit mehr steckt als eine reine Dancehall-Soundsystem-Kombo. Wicked & Bonny sind das musikalische Flaggschiff einer ganzen Bewegung. Sie sind ein klares Bekenntnis gegen den Mainstream und für eine alternative Kulturlandschaft. Und genau dafür arbeiten sie wirklich hart.Wicked and Bonny PaulDurch die geschlossene Tür höre ich Treppengepolter; kurz darauf öffnet sie sich und Maggu steht vor mir. Wir begrüßen uns und umarmen uns kurz. Wicked & Bonny sind vollzählig. Wir setzen uns zu einem Gespräch in den Garten. Maggus Oma serviert uns Kaffee. Maggu steckt sich eine Zigarette an und fängt an zu erzählen. Am Wochenende waren sie mit ihrem Soundsystem in Verona und in Graz. Heute, drei Tage später, schauen sie schon auf das kommende Wochenende. Wieder zwei Gigs, diesmal in Brixen und in Mals. So läuft das bei den beiden. Unter der Woche gehen sie einem Teilzeitjob nach und arbeiten an den Sounds, am Wochenende sind sie unterwegs. Das Netzwerk, das sie dabei in der Szene spannen, ist groß. “Genau so funktioniert das,” erzählt Maggu, “wir kennen so ziemlich jede Reggae-Band in Südtirol persönlich. Man hört sich regelmäßig, man hilft sich gegenseitig, man lädt sich gegenseitig ein. Das ist ein wunderbarer Kreislauf, der in den letzten Jahren entstanden ist.” Und so funktioniert das auch über die Grenzen Südtirols hinaus. Konzerte in Italien, Österreich, Deutschland, und immer öfter sind sie auch in UK unterwegs. Die Heimat ist dabei sozialer Anker und gleichzeitig die größte Herausforderung. Denn ohne die Familie im Hintergrund wäre diese Arbeit nicht möglich. Aber auch die Kulturlandschaft im Land profitiert von den Jungs. Überhaupt ist die alternative Musikszene im beschaulichen Schlanders erstaunlich einflussreich in Südtirol. Mit dem Kollektiv Revoltekk gibt es seit Jahren einen verlässlichen Versorger in Sachen Underground-Clubkultur. Botheration Hifi beschallen das Tal mit Roots Sound und beide zusammen sind sie maßgeblich für eine starke alternative Szene verantwortlich.   

Wir werden unterbrochen. Maggus Oma verabschiedet sich. Sie will kurz zum Einkaufen ins Dorf. Die Tatsache, dass Maggu bei seinen Großeltern den Freiraum gefunden hat, um seine Leidenschaft zu leben, fasziniert mich. “Für mich ist es so,” ergänzt Paul, “das Leben zu Hause erleichtert es, dass ich den Fokus auf meine Musik legen kann”. Zuhause bezahle er keine Miete und er könne sich auch bei der Arbeit seine Schichten einteilen, meint Paul. Wir gehen ins Studio der Jungs. Es riecht nach Proberaum, nach Zigarettenrauch und Bier. Nur, dass der Proberaum heute deutlich kleiner ist und im Wesentlichen aus einem Mischpult, einem PC und einem Tisch voll mit verschiedenen, teilweise selbst gebauten Effekten besteht. Von hier aus arbeiten sie an ihren Sounds, Maggu als DJ und Paul als Einheizer. Diese musikalische Konstellation ist für die beiden ziemlich neu. Die Arbeit im Studio, der Umgang mit Effekten und das Ganze sodann so hin zu kriegen, dass es auch den Ansprüchen entspricht, daran arbeiten sie Step by Step.  Aus ihrer Sicht sind sie musikalisch gerade erst am Anfang. Für die Szene im Tal sind sie Pioniere ihres Handwerks. Diese Art Musik zu machen ist kompromisslos. Sie folgt dem klaren Prinzip “ganz oder gar nicht”. Das macht diese doch sehr plastische Musik zu einer sehr ehrlichen, die sehr stark von einer Lebensweise geprägt ist, die in Südtirol eher Ausnahme als Regel ist. Aber das ist auch gut so. Denn solange diese Musik im Underground bleibt, verliert sie nicht an Glaubwürdigkeit. Big Up!Wicked and Bonny Studio

Alle Fotos (1: Maggu; 2: Paul; 3: Maggu + Paul im Studio) + Videos: Thomas Stolcis 

Folge I von Soundtirol gibt’s hier, Folge III hier.

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