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March 17, 2016

Demokratie in der Festung

Kunigunde Weissenegger
Bis 27. März 2016 ist in der Festung Franzensfeste die Ausstellung "Modes of Democracy" mit Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus 5 Kontinenten zu sehen. Am 19.3. gibt's ab 11h übrigens die offizielle Finissage mit Führung und Vorstellung der neuen Ausgabe 'Kulturelemente', mit Schwerpunkt auf die aktuelle demokratische Entwicklung und den Südtirol-Konvent.

Welche Facetten hat Demokratie? Birgt das Internet wirklich Gefahren oder stimuliert es eine stärkere politische Partizipation? Wie klingen Grenzböden? Was würden die PragerInnen mit dem Mussolini-Relief in Bozen machen? Fragen, Fragen, Fragen, die in eine Hauptfrage münden: Ist die Demokratie auf dem Rückzug? Und Reaktionen und Antworten (?) von Künstlerinnen und Künstler aus fünf Kontinenten – Trevor Paglen, Laura Poitras, Harun Farocki oder Paolo Cirio, um nur einige der “bekannteren” zu nennen. Um vielleicht (d)eine Antwort auf diese Frage(n) zu finden, kannst du dich an den Arbeiten der von Jaroslav Andel kuratierten Ausstellung “Modes of Democracy” entlang hangeln – zunächst von November 2014 bis März 2015 in Prag, nun von November 2015 bis März 2016 in Franzensfeste und bald in Brüssel. 

Ein Teil der Ausstellung ist mit dem Untertitel “Das Gleichgewicht wahren” Südtirol gewidmet und zeigt Kunstschaffende, die sich seit den 1968er Jahren mit dieser Provinz und ihrer Realität auseinander gesetzt haben. Kuratiert hat ihn Haimo Perkmann. An ihn das Wort. Die Ausstellung läuft bis 27. März 2016. Nehmt genügend Zeit mit.  

Wie kam es zur Teilnahme verschiedener Südtiroler KünstlerInnen an der Europaratsausstellung “Modes of Democracy” im Zentrum für zeitgenössische Kunst DOX in Prag? 

Das Projekt “Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945″ findet schon seit Jahren statt. Es ist ein internationales Projekt des Europarats, das unter anderem schon in Berlin, Mailand, Krakau, Thessaloniki und Prag zu Gast war. Es haben auch bekannte Künstler wie Damian Hirst daran teilgenommen, was die Ausstellungsreihe für den Markt und die Presse aufwertet, aber interessant war für mich vor allem die Teilnahme neuer und minoritärer Positionen. 
Die jüngste Ausstellung, die 2015 im Zentrum für Zeitgenössische Kunst (DOX) Prag zu sehen war, trug den Titel “Modes of Democracy”. Themenschwerpunkt war die Krise der Demokratie. Im Rahmen der Ausstellung wurden Kunstprojekte aus Europa, Nord- und Südamerika sowie Asien präsentiert, die sich mit der Entwicklung der Demokratie befassen. Eine Sektion wurde dem Südtiroler Autonomiemodell gewidmet. Unter dem Titel “Keeping the Balance” wurde Südtirol somit Teil eines Projektes, das international viel Aufmerksamkeit erregt hat. 
Dank des Weitblicks der künstlerischen Leitung der Franzensfeste war es möglich, “Modes of Democracy” nun nach Südtirol zu holen, bevor die Ausstellung nach Brüssel weiterzieht.Modes of Democracy - Franzensfeste – Harun Farocki – franzmagazineHarun Farocki “Serious Games II: Three Dead”, 2010

Wie hast du als Co-Kurator den Südtiroler Teil gestaltet?

Europa, Politik, Krise, Demokratie, das sind Themen, die im Grunde alle interessieren – auch in dem Sinne, dass sie uns alle etwas angehen. Eine wichtige Frage im Hintergrund der Ausstellung war: “Ist die Demokratie auf dem Rückzug?” Der Kurator der Gesamtausstellung, Jaroslav Andel, fand das Südtiroler Autonomiemodell unter diesem Aspekt sehr interessant, denn es ist unter anderem darauf ausgerichtet, nach Innen sowie nach Außen das Gleichgewicht zu wahren. Es ist ein steter Balanceakt. Man muss nur beobachten, wie rasch die Wogen hoch gehen, wenn jemand sagt, die Autonomie sei in Gefahr oder ein Senator habe die Autonomie attackiert. Dann interessiert sich plötzlich jeder für makropolitische Fragen. Dies ging jahrzehntelang auf Kosten einer Demokratievorstellung, die eine wirkliche Beteiligung der Bürger vorsieht. Die Bürger haben das auch gerne mitgemacht. – “Nur net rogeln”, “Was man hat, hat man”. – Aber wer sich nur an den Griechischen Kalenden für Politik interessiert, ist auf Schwarmintelligenz angewiesen und muss laut mitschreien, wenn alle schreien. Viele Kunstschaffende sind dagegen permanent mit Politik konfrontiert und setzen sich intensiv damit auseinander. 
Ich war also sehr froh darüber, dass Jaroslav Andel mir hier freie Hand gab, sowohl den Kunstmarkt als auch den Kanon, wer in Südtirol wie wichtig ist, zu ignorieren. Dies erlaubte mir, Künstler und Künstlerinnen einzuladen, die meiner Vorstellung einer minoritären Kunstposition entsprachen, egal ob sie einen Marktwert haben oder nicht. Denn genau dies, die minoritäre Position, die Nicht-Identität, ist in Südtirol Teil der Identität, und die Gesetze der Differenz sind bereits in den Namen des Landes eingeschrieben. Modes of Democracy - Franzensfeste – Franz Pichler – franzmagazineFranz Pichler “1939–1979 SVP”, 1979

Worum geht es bei ”Keeping the Balance”? Warum dieser Titel?

In dem von mir kuratierten Teil “Keeping the Balance” habe ich Kunstpositionen von drei Generationen Südtiroler Kunstschaffender versammelt, die sich mit der regionalen gesellschaftlichen und politischen Realität auseinandersetzten. Mit dabei ist die Generationen 1968–1983, am Rande die 1980er und 1990er Jahre und dann wieder die jüngste Generation. 
Die KünstlerInnen sind wie wir alle Kinder ihrer Zeit und antworten demgemäß natürlich mit den Mitteln und dem Stil ihrer Zeit auf die Fragen der Zeit. So ergibt sich aus den drei Generationen jenes komplexe Gerüst, das meiner Vorstellung von einem Ausstellungskonzept zur Thematik “Südtirol und die Demokratie” entspricht: Die gezeigten Arbeiten überlappen sich chronologisch, künstlerisch und thematisch.
Philosophisch betrachtet war meine Ausgangsposition die, dass die Gesetze der Differenz, wie gesagt, bereits in den Namen des Landes eingeschrieben sind; die Thematisierung des Scheiterns, welche in Südtirol ein Gründungsmoment der Identität ist und seit jeher zelebriert wird, aber auch die Thematisierung der Nicht-Identität wird seit jeher massiv bekämpft. Unsere Volkstumswahrer sind dabei sehr rigoros, verheddern sich jedoch immer wieder in offensichtliche Widersprüche. 
Dagegen ist der Humor von Anfang an auf der Seite der Kultur – oder anders herum reagieren Kulturschaffende oft mit Humor. Sie erliegen nicht der Apotheose des Eigenen, sondern spielen mit dessen Widersprüchen. Als Kind bekam ich mal ein ironisches Multiple-Choice-Quiz in die Hände. Es hieß: “Bist du ein echter Südtiroler?”. Darauf stand unter anderem: “Was bestellst du in der Bar? – a) Un’aranciata. b) An Aranciata.”
Diesen humoristischen Ansatz fand ich immer schon wirkungsvoll. Er nimmt dem todernsten Patriotismus den Wind aus den Segeln. Um die Widersprüche der humorbefreiten Asche-Anbeter ironisch ins Rampenlicht zu rücken, habe ich meinem Katalogtext einige unfreiwillig komische Zitate vorangestellt, die ich in den letzten Jahren aufgeschnappt habe. Modes of Democracy - Franzensfeste – Hannes Egger – franzmagazineHannes Egger “Fragebogen – Antwort”, 2015

Wie hast du nun konkret die Südtiroler KünstlerInnen ausgewählt?

Ich habe mir bei der Auswahl folgende Frage gestellt: Welche Südtiroler Kunstschaffenden aller Sprachgruppen seit 1945 haben sich in ihren Arbeiten und Aktionen mit der regionalen gesellschaftlichen und politischen Situation ihrer Zeit auseinandergesetzt? Wer hat das heiße Eisen angefasst? Dabei habe ich zum ersten Mal entdeckt, dass es sehr wenige sind. 
Viele Kunstschaffende haben sich, zumal seit den 1980er Jahren, von einer direkten Auseinandersetzung mit der regionalen Realität, mit Südtirol, der Autonomie, den Sprachgruppen etc. abgewandt. Es gibt sicher bessere Analysen, aber ich habe für mich drei Erklärungen gefunden. 
* Sich kompromisslos und radikal mit Südtirol auseinanderzusetzen, hatte für die Künstler der 1968er Generation wie Peter Kaser, De Chirico oder Franz Pichler das institutionelle Aus zur Folge. Sie wurden zu personae non gratae, zu Nestbeschmutzern, der Fördertopf versiegte. Die zukünftigen Generationen haben daraus gelernt und sich dem heißen ethnischen Eisen und anderen heiklen Thematiken subtiler genähert (indem sie etwa den Massentourismus thematisierten oder Umweltzerstörungen im Skigebiet fotografierten). Diese Positionen erhalten allgemeinen Zuspruch. Die Generation vorher war dagegen radikal. Darum musste ich einige Arbeiten der 1968er nach Prag mitnehmen. Manche ihrer Bilder und Aktionen sind heute ein Bestandteil der Kunstgeschichte des Landes. 
* Die “Südtirolfrage” ist seit jeher von rechts besetzt, dicht besetzt. Der Kulturbegriff war hier Jahrzehnte lang sehr eng gefasst. Nach dem Abflauen der Versuche, die engen Ketten zu sprengen (von 1968 bis 1983: allen voran Alexander Langer und neben den bereits genannten Künstlern auch Benno Simma, Franco Marini, Egon Rusina, Matthias Schönweger, Josef Zoderer etc.), war wohl seit den 1980er Jahren wenig Spielraum, etwas neues über die ethnische und regionale Identität zu sagen, ohne gleich in den Dunstkreis der Provinzialität gerückt zu werden und einer kunsthistorischen damnatio memoriae zum Opfer zu fallen. Darum habe ich beispielsweise aus der jungen Generation Gabriela Oberkofler nach Prag gebracht. Sie ist eine der ganz wenigen Südtiroler Künstlerinnen, die es geschafft und vor allem gewagt hat, diese schmale Gratwanderung zu vollführen: auf kompromisslose Weise, im Dirndl und mit volkstümlicher Musik im Hintergrund. Das hat auf diese Weise noch keine gemacht. Modes of Democracy - Franzensfeste – Julia Frank – franzmagazineJulia Frank “D+I+L”, 2013

* Südtirol war und ist noch heute für viele junge Künstler eng, oder auch: zu eng. Man will im internationalen Kunstdiskurs mitmischen. Wer im internationalen Kunstdiskurs mitmischen will, versucht oft, so international wie möglich sein. Diese Strategie funktioniert aber nur für einige wenige. Auch hier ist – neben Nicolò Degiorgis und wenigen anderen – Gabriela Oberkofler ein Beispiel dafür, dass es im Grunde auch andersherum geht. Beide thematisieren Realitäten in und außerhalb von Südtirol und sind damit international erfolgreich. Auch von Julia Frank, die ich ebenso nach Prag eingeladen habe, wird meines Erachtens noch einiges zu hören sein. 
Eingeladen waren aber auch Künstler, die sich auf subtilere und doch kompromisslose Weise der aktuellen Realität nähern. So sind hervorragende Arbeiten von Siggi Hofer und Ulrich Egger zu sehen, aber auch eigens produzierte Video-Audio-Installationen von Peter Holzknecht und Hannes Egger

Wie siehst du die Südtiroler Positionen im Kontext zu den anderen in der Ausstellung? Gibt es Unterschiede, Parallelen…?

Die meisten Bereiche und Sektionen der Ausstellung sind Video-Arbeiten und Einzelprojekte, etwa die Arbeiten von Laura Poitras oder Harun Farocki. Den größten Unterschied sehe ich also im Konzept. Es gab noch andere Gruppenprojekte, die sozial orientiert waren, wie das Lanchonete-Projekt von São Paulo.
Südtirol ist dagegen als regionales Projekt gefasst, es streift die Geschichte der jahrzehntelangen demokratischen Auseinandersetzungen in diesem Land. Neben Südtirol gibt es noch ein weiteres Projekt, das ein ähnliches Konzept verfolgt. Es geht um Usti nad Labem im ehemaligen Sudetenland, damals Aussig genannt, mit 30 % Roma-Bevölkerungsanteil. Ein spannendes Projekt, mit Leuten, die für einen kulturellen Austausch offen sind und mit ähnlichen und doch ganz anderen Problemen wie Südtirol. “Das Sudetenland atmen” spiegelt eine fast diametral entgegengesetzte gesellschaftliche Realität zu Südtirol wider, das andere Extrem desselben ehemaligen mitteleuropäischen Kulturkreises. 

Alle Künstlerinnen und Künstler: Adham Bakry, Štepánka Bláhovcová, Libia Castro & Ólafur Ólafsson, Paolo Cirio, Jirí Cernický, Nicolò Degiorgis, Department for Public Appearances, Hannes Egger, Ulrich Egger, Harun Farocki, Julia Frank, Thiago Gonçalves, Haukur Már Helgason, Siggi Hofer, Peter Holzknecht, Jakob De Chirico, Radek Jandera, Peter Kaser, Grzegorz Klaman, Zdena Kolecková, Pavel Kopriva & Atelier Interactive media FUD UJEP, Daniel Latorre, Kristina Leko, Todd Lester, Mancaft, Monsters, Gabriela Oberkofler, Trevor Paglen, Franz Pichler, Laura Poitras, Pro kompot, Ebadur Rahman, Jakub Szczesny, Felipe Targa, Michaela Thelenová, Sofie Thorsen, Peter Tribus, Leandro Viana

Alle Fotos: franzmagazine

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