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February 22, 2016

Wer bin ich dir schon? “Fremde Frauen” @ Stadttheater Bruneck

daniel brandlechner
Ein Koffer voller Hoffnung: Ein Stück über Migrantinnen-Schicksale von Marianne Strauhs. Mit Christine Lasta, Ulrike Lasta, Jasmin B. Mairhofer.

In gleich zwei Stücken auf Südtiroler Bühnenboden führt der in Bozen und Innsbruck lebende Alexander Kratzer Regie. Bei den VBB ist bis 24.2. das Stück “Bombenjahre” zu sehen – 55 Jahre nach der Feuernacht arbeitet Kratzer ein Stück Südtiroler Geschichte auf und greift hierzu auf ein Ensemble aus Stimmen, Dokumenten und Figuren zurück. Im Stadttheater in Bruneck feierte am 21. Februar das Stück,”Fremde Frauen” Premiere. Marianne Strauhs greift in ihrem Stück ein sehr aktuelles Thema auf: die Flucht. 

In der Schubhaft – auf engstem Raum – treffen drei Frauen aus der arabischen Welt, Südosteuropa und dem persischen Kulturraum aufeinander. Eine “klaustrophobische Situation”, liest man in der Beschreibung des Stücks. Eine furchtbare und absurde Situation. Selbst die drei Frauen begegnen sich untereinander mit Abneigung und Rassismus, bis sie ihre einzige Gemeinsamkeit entdecken: ihr Fremdsein in der ihnen fremden Welt. 

Europa ist eine Zelle, ein Käfig. Auf engstem Raum bleibt nichts als die Erinnerung. Nach und nach wird das Einzelschicksal einer jeden Frau rekonstruiert. Brutale Übergriffe durch die autoritären Polizistinnen und schlechte oder unbeholfene Übersetzungsarbeit der Dolmetscherinnen im grauen Pullover – pull-over: die Kleider machen hier die Leute, die Kleider geben Identität (Kostüme: Katia Bottegal). 

Man versteht sich nicht und hier wurzeln das Ungleichgewicht und die Ungerechtigkeit. Die feinen, kleinen Unterschiede und das Einzelschicksal – sie werden von der Dolmetscherin nicht berücksichtigt: Die Polizistin sucht bloß, was sie finden will, und sie sieht bloß, was sie zu wissen glaubt. Das Sprechen über die eigene Vergangenheit fordert größte Anstrengung und nur selten wird ein Satz grammatisch korrekt bis an den Punkt geführt. Die Aufregung und die Aufrüttelung sind zu groß. Das Sprechen ist eher ein Beben oder ein Grollen.  Fremde Frauen - Marianne Strauhs - Stadttheater BruneckEuropa ist ein Fest in einer Festung – so die faszinierende Vision einer Inhaftierten. Die drei Frauen als Gäste, die nicht auf der Gästeliste stehen und dennoch eindringen. Sie überqueren den symbolischen Wassergraben (Bühnenbild: Klaus & Jan Gasperi)  und erklimmen die “Festung Europa”. Drinnen feiern die Deutschen, die Engländer, die Norweger, die Italiener und auch ein paar Österreicher ein großes Fest. Niemand spricht mit den drei Frauen und so nehmen sie in irgendeiner Ecke Platz und beobachten die schönen Kleider der Frauen. Und sie warten. Und nichts passiert. Und niemand spricht. Es rentiert sich einfach nicht für einen Europäer – wozu denn auch r e d e n ? Die Rentabilität ist hier der Maßstab für das persönliche Handeln.

Die autoritäre, feministische Vision Strauhs’ mag dann aber etwas übertrieben wirken: Die drei Frauen ließen ihr von Männern dominiertes Land zurück und finden in Europa ein Land vor, das von unqualifizierten Frauen regiert wird. Überhaupt fehlen im Stück positive Figurenentwürfe. Die kritische Reflexion weicht leider völlig dem Mitleid, das die drei tragischen Einzelschicksale hervorrufen. Es wäre schön gewesen, öfter lachen zu müssen, die Handlung ins Groteske zu treiben und so dem Wahnsinn (angesichts der realen Tatsachen) noch mehr Ausdruck zu verleihen: Sag’s mit Humor! – Manchmal passiert das auch: in der schönen Trinkszene in der Zelle oder in der erzählten Vision, Europa sei ein Fest. 

Mitleid schafft dann aber kein Verständnis, sondern nur neue Opfer. So widerspricht sich das offenbar feministische und postkoloniale Theater Strauhs’ selbst: Geben wir den Menschen eine Stimme, die keine haben, den Frauen, den Flüchtenden; ihre Stimmen verschwinden aber einfach, sie verblassen. Leider ist das Einfühltheater der falsche Weg – darüber kann man aber auch streiten. 

Das Stück ist sozial engagiertes Theater, es ist aber auch arm an neuen, kritischen Standpunkten, und es summiert vor allem bereits Bestehendes. Das Stück ist vor allem für jene interessant, die sich noch wenig mit der Flüchtlingsdebatte vertraut gemacht haben und die Meinung noch immer auf Vorurteilen aufbauen. (Dagegen spricht der hohe Preis, der ein Ticket im Stadttheater kostet – rund 18 Euro, 15 Euro für Studierende.) Man mag sich fragen: Wer gibt wofür sein Geld aus? Wer sind die Leute, die ins Theater gehen und wofür? Welche Funktion kann heute eine Institution wie ein Theater erfüllen? Sehr empfehlenswert ist das Stück für Schulen. Das Stadttheater bietet bei Anfrage auch Schulaufführungen im Zeitraum vom 22.– 26. Februar 2016 an. Dazu wird das von Judith Innerkofler zusammengestellte Begleitmaterial zum Stück und zur Flüchtlingsproblematik kostenlos zur Verfügung gestellt. “Schüler und Lehrer aller Schulen, vereinigt euch!”

Fremde Frauen @ Stadttheater Bruneck: mit Christine Lasta, Ulrike Lasta, Jasmin B. Mairhofer; Autorin: Marianne Strauhs; Regie: Alexander Kratzer; Bühnenbild: Klaus & Jan Gasperi; Kostüme: Katia Bottegal; Lichtdesign: Jan Gasperi; Regieassistenz: Judith Innerkofler. Rund 100 Minuten. Premiere 21.2., weitere Aufführungen am 24., 27., 28. Februar sowie am 5. und 6. März 2016, Beginn 20h, sonn- und feiertags 18h. Auf Anfrage spielt das Stadttheater “Fremde Frauen” auch vormittags für Mittel- und Oberschulen in der Zeit von 22.–26. Februar 2016. Infos unter Tel. 0474 412066 (Mo–Fr 9–12h) oder info@stadttheater.eu

Fotos: Stadttheater Bruneck

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