Music

October 22, 2015

Bussi, Bussi mit Wanda: zwischen Wunsch nach Freiheit + Furcht vor der Freiheit

Nadja Röggla
Robin Wehe
Kunigunde Weissenegger
Photography Andreas Bertagnoll

Kaltern, Vereinshaus, gegen 22 h – Pop Festival: Menschen aus allen Alters- und Bildungsschichten schreien mehrmals, aufeinanderfolgend und ernstgemeint die beiden Worte “Bussi” und “Baby”, werfen dabei Kusshändchen Richtung Bühne – wo Männer mit Goldkettchen und speckigen Lederjacken über die Bretter wedeln und über Amore und das Verlassen-Werden singen. 
Willkommen im Bierstadl? Nein. Willkommen bei Wanda! 
Früher durfte Schlagermusik doch nur versteckt und mit Post-Schamgefühl  gehört werden, nun haben fünf Wiener es irgendwie geschafft, dass dieser Fetisch plötzlich cool ist. – Wie? Weiß ich nicht.

Unkontrolliert überfluten ungewollte Ohrwürmer auch die gepflegtesten Denkerköpfchen. “Ans, zwa, drei, vier, es ist so schön bei dir!” Hemmungslos tanzt die Masse, sprüht. Wandas Texte  sind jedoch mehr als nur versiffte Schlagerphrasen und Testosteron. Marco Michael Wanda, der sein Studium der Sprachkunst an der Angewandten in Wien nie abgeschlossen hat, ist pur, glasklar und sehr ehrlich. So wie Schnaps eben. Und nicht nur deshalb haben wir zwei Fünftel der Band vor ihrem Konzert beim Kaltern Pop Festival am Samstag, 17. Oktober zum Interview getroffen: 

“Das wird was werden”, denkt sich die eine von uns, während sie die kleine Plastikbox mit den Fragekärtchen* aus ihrer Tasche zieht; der eine montiert derweil Objektiv auf Kamera, der andere zückt das Mikro und die andere hantiert mit der Filmkamera herum, stellt scharf. Doch Sänger Marco Michael Wanda und der Gitarrist Manuel Christoph Poppe in Unterhemd und Lederjacke neben ihm, sind unschuldiger als erwartet. Klar, wollen sie mit uns spielen. Und gewinnen auch! – Das kann man hier nicht. – Geantwortet haben die beiden trotzdem. Gewonnen haben sie sowieso. Und aufhören wollten sie übrigens auch nicht. Erste Frage: Kaltern oder Bologna?

Marco: Von der Landschaft her sicher Kaltern. Bologna ist sehr flach. Außen ist es dann hügelig und schön. Aber Kaltern. …find ich sehr bezaubernd. Also: Kaltern, ja voll.

Fangen wir an?

Manuel: Wir werden gefragt von einer Karte. Also nicht von euch, das heißt…?…

Wovor hast du am meisten Angst?

Marco: Ich weiß nicht, Angst? Keine Ahnung… Ich finde das aber ein spannendes Thema. Angst ist ein Thema, das unseres Ermessens nach in unserer Musik und in unserem ganzen Werk eine Rolle spielt. Ich habe Angst davor, dass andere Menschen vor sich Angst haben. Also, das macht mich ganz kribbelig. …oder sagen wir so: Angst vor der Masse.

…habt ihr denn Angst vor der Masse?

Marco: Ja, ne, eben. Überhaupt nicht. Wir wünschen uns die Gesellschaft angstfrei. Also ich habe eigentlich am meisten Angst vor der Angst der Gesellschaft. 

Wo sieht man das in eurer Musik?

Marco: Ich weiß nicht, wie das jetzt in unserer Musik ist. Ich denke, unsere Musik ist sicher wie alle Kunst ein Spiegel der Gesellschaft. Ganz klar. Also Inhalte werden bearbeitet und aufgefasst. Aber ich glaube, es spielt bei unseren Konzerten eine Rolle. Wir schauen, so gut wir können, dass wir als Gastgeber sozusagen ein tolerantes Klima schaffen, in dem niemand Angst haben muss, hemmungslos zu sein oder Ekstase auszuleben. So würde ich das sagen. – …nächste Frage, magst du, Manuel? …das ist lustig…

Die Frage auf dem Kärtchen lautet: Was glaubst du: Bist du eher romantischer oder eher nicht so romantisch veranlagt als andere Leute?

Manuel: Ich weiß nicht, inwieweit andere Leute romantisch veranlagt sind. Aber ich würde mich schon als romantischen Mensch betrachten. Ich weiß nicht, wie romantisch du bist oder ihr?

…ich bin absolut nicht romantisch…

Manuel: Dann bin ich, glaube ich, romantischer als du.

Aha, und was findest du romantisch?

Manuel: Ich weiß nicht. …wenn man Spaß am Leben hat.Wanda - Andreas Bertagnoll x franzmagazine 03…dann bin ich vielleicht doch romantisch… – Nächste Frage: Was ist dein Lieblingsfilm?

Marco: Um Gottes Willen, ähm. Die Columbo-Folge mit Werner Herzog. Dritte Staffel, Episode sechs, glaube ich. Ja. Ich weiß nicht, wie sie heißt. Aber, Werner Herzog spielt einen reichen Mann, der eine querschnittsgelähmte Ehefrau und ein vollautomatisiertes Haus hat, was in den 70er Jahren ja ein Wahnsinn war, irgendwie. Und man konnte in diesem Haus die Türen öffnen, indem man geklatscht hat, und er hat dann die Mutter seiner Ehefrau umgebracht und mit Videobändern und Überwachungskameras die Bilder so geschnitten, dass die Überwachungskameras den Mord nicht sehen, und das für den Wachmann erst 20 Minuten später ausstrahlen. Und so hat er den Mord begangen. Ich glaube, aufgeflogen ist es, weil seine Ehefrau im Traum einen Schuss gehört hat und sich aber nicht sicher war, ob sie das geträumt hatte oder nicht. Dann ist aber die Tür ist aufgegangen und daran hat Columbo festgestellt, dass es ein echter Schuss gewesen sein muss, weil sie ja vom Klatschen aufgeht – die Tür.

Wie oft hast du die Folge gesehen?
Marco: Diese Folge habe ich allein in der letzten Woche fünf Mal gesehen, glaube ich. Voll… Ja. [lacht]

…Wo ist eigentlich der Rest der Band?
Marco: Ach, die sind a bissl krank und ruhen sich a bissl aus.

Welche Website besucht du mehr als drei Mal täglich?
Manuel: google.at – weweweguglpunktat.

Warum  at?

…ich weiß nicht, das ist in meinem Browser so eingestellt. Also ich bin Österreicher, vielleicht deswegen…  [lacht]

Was suchst du denn auf Google? Da gibt es ja nicht so viel zu lesen außer den Nutzungsbedingungen.  

Manuel: Keine Ahnung. Was mich grad interessiert oder so. Was grad aktuell ist…

Was ist grad aktuell für dich?

Manuel: Zum Beispiel letztens habe ich mir Linsen mit Semmelknödeln gemacht und wollte nachschauen, wie viel Essig man da reingeben muss und wann, an welcher Stelle. Also Kochrezepte, zum Beispiel.

Nächste Kärtchenfrage: Was heißt für dich betrügen? Wo liegt bei dir die Grenze?

Marco: Ah, um Gottes Willen. Ich scheue mich immer vor so privaten Fragen. Irgendwie, aber ich kann es auch ganz offen sagen: Ich habe noch nie in meinem Leben eine Frau betrogen, die ich geliebt habe. Mache ich nicht.

Aber betrügen geht ja auch anders…

Marco: Achso. Aber da stand Liebe. Ach, das steht überall auf diesen Karten. – Ja, und sonst, das weiß ich nicht. Das ist eigentlich keine Kategorie, in der ich denke. Ich sehe betrügen eigentlich explizit sexuell. Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich nicht das Vermögen habe, jemand anderen irgendwie zu betrügen, weil nichts verbindlicher ist außer Liebe. Mir ist alles andere irgendwie nicht wichtig. – Ich gehöre nur der Frau, die ich liebe, und sonst niemandem. – Voll.Wanda - Andreas Bertagnoll x franzmagazine 04Wenn du an einem Ort deiner Wahl leben könntest, wo wäre das und warum?

Marco: …das wird immer aktueller, jetzt wo wir reich sind. Keine blöde Frage eigentlich.  
Manuel: Ich wohne in Wien. Und habe vor, auch dort zu bleiben. Wien ist der Wohnort meiner Wahl. Vielleicht wär’s schön, mal so viel Geld zu haben, dass man viel verreisen kann: in die Karibik oder nach Afrika oder, wenn einem dieses ganze Paradies zu langweilig wird, mal nach Skandinavien, ins Kalte fahren ist auch cool. Aber wohnen und leben werde ich immer in Wien.

Immer?

Manuel: Also ich denke schon, ja.
Marco: … wart, ich mag immer die Karten, die einfach rauszuziehen sind: Habe ich meiner Meinung nach nervige Angewohnheiten?

Marco: Ja, um Gottes Willen, wo soll man denn da anfangen? Da müssten alle anderen über mich sprechen. Ich weiß nicht, nervig?

Was nervt dich an dir?

Marco: Nervige Angewohnheiten hab ich viele. Aber nerven tun sie mich nicht. Das ist noch viel dramatischer. Ich habe einen sehr ausgeprägten Selbsthass, natürlich über weite Flächen meiner Persönlichkeit. Aber nerven tut mich nichts an mir. Ich habe auch alles akzeptiert, was ich an mir nicht mag, also das ist eh klar – ich bin ja auch nicht mehr 15.

Zum Beispiel?

Marco: Das ist schwierig, hm. Das weiß ich nicht. Jetzt gerade weiß ich’s nicht. Also für heute geht’s mir eigentlich ganz gut mit mir selber. Da mich nichts an mir nervt, kann ich die Frage nicht befriedigend beantworten. – Vielleicht nehme ich eine andere Karte. 
Ach, du scheiße. Jetzt habe ich gerade irgendwie das esoterische Händchen:

Was glaubst du ist der Sinn des Lebens?

Marco: Ach, du heilige Scheiße… Ja, ist eh einfach: Ewig dazu verdammt zu sein zwischen dem Wunsch nach Freiheit und genauso andererseits der Furcht vor der Freiheit hin und her zu wechseln. Ich glaube, das ist der Sinn des Lebens. Jawohl.

Was wäre anders an unserem Leben, wenn wir alles Geld dieser Welt hätten?

Manuel: Wer ist mit “wir” gemeint? – …also wenn alle genug hätten? Hm. Naja, es würde kein Leben geben, anscheinend. Also es gäbe keinen Krieg. Aber es gäbe auch keinen Wohlstand. Es gäb keine Armut, es gäbe auch keine Gier. Also, ich weiß nicht –  wir wären Tiere.
Marco: Es gäbe keine Dynamik mehr.
Manuel: …es wäre natürlich schön, wenn das so wäre, wenn es kein Geld geben würde. Ich weiß nicht… – Wenn ich diese Frage rein logisch beantworten würde: Es würde keinen Krieg geben. – Ja. Das wäre zum Beispiel anders in unserem Leben. Voll.

Marco: Gibt’s hier auch einfache Fragen? – Also zum Beispiel die Lieblingsfarbe oder so?

…was wäre denn die Lieblingsfrage?

Marco: Habe ich gar keine.Wanda - Andreas Bertagnoll x franzmagazine 01Nächste Frage: Wann hat das letzte Mal jemand mit dir geflirtet?

Marco: Das war gestern Abend. Jemand aus dem Publikum. Sehr betrunken. Sehr entzückend. Immer wieder hat sie gesagt: Ich bin so betrunken, ich weiß.

Wo war das?

Marco: In St. Pölten in Österreich. Das war sehr nett. Also Flirten weiß ich nicht, ob es das war. Die Person hat es ja selbst gesagt, die große Flirtkunst war es ja irgendwie nicht. Aber es war sehr ehrlich und ich fand’s sehr nett irgendwie. Ich habe gegen den schlechten Atmen, so gut ich konnte, zurück geflirtet. Irgendwie… ich habe mich sehr bemüht.

Was ist das bekannteste unausgesprochene Geheimnis in deiner Familie?

Marco: Wow, das geht so Richtung Selbstmord und solche Sachen…
Manuel: Hm… Also ein Geheimnis, aber was heißt bekannt? 
franz: Nicht ganz so geheim…
Marco: Du kannst immer eine neue ziehen, wenn du magst…
Manuel: Ja, also sorry… das ist eine ziemliche… besser eine neue.
Marco: Geiles Spiel… cool…

Hast du irgendeine Allergie?

Manuel: Ich glaube, ich habe seit letztem Jahr eine Gräser-Pollen-Allergie. Ich glaube im Juni oder im Mai war das.

Wie äußert sich das?

Erstickungsanfälle in der Nacht, Hustenanfälle und eine verstopfte Nase, obwohl man eigentlich keinen Schnupfen hat. Ich hatte auch ‘mal eine Erdbeerallergie, habe immer Ausschlag bekommen und war dann grantig. Da das aber meine Lieblingsbeeren sind und ich eben sauer war, hab ich gesagt, das ist mir jetzt Wurscht und habe einfach urviele Erdbeeren gegessen, und es ist nix passiert…

Tja, vielen Dank, Jungs! Wollt ihr unseren Leserinnen und Lesern noch was sagen? Einen Gruß vielleicht?

Marco: Ja, ja. Alles Liebe. Und euch alles Gute. – Danke!

*Let’s play Zubi
Es begann an einem kleinen und sehr feinen Flohmarktstand im 8. Bezirk in Wien – dort liegt eine durchsichtige Kassette, in deren Inneren sich 100 rote Fragekärtchen befinden. franz zückt sofort die flinken Finger und packt die kleine Box ein. Für Interviews mit Überraschungsfaktor. Fragen, auf welche meistens schlichte Antworten folgen [können] und sich dann, zum Glück und im besten Fall, sehr oft Geschichten spinnen. Und so manch eine_r allerhand aus dem Nähkästchen erzählt…

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