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January 26, 2015

Tote lügen nicht: Heinz Fechner + Bertram Wolf gegen das Vergessen, Verdrängen, Vertuschen

Kunigunde Weissenegger
Der Dokumentarfilm von Heinz Fechner und Bertram Wolf über den Mord an psychisch kranken Menschen und Menschen mit Behinderung im Dritten Reich läuft zum internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts am 27.1.2015 um H 20 im Filmclub Bozen. Von 29.1.–4.2. läuft er dort um H 18.

“Psychisch kranke” Menschen und Menschen mit “Behinderung” sind im Dritten Reich vergast, vergiftet und gestorben worden. Am Beispiel Hall in Tirol zeigen Heinz Fechner und Bertram Wolf in ihrem Dokumentarfilm eines der dunkelsten Kapitel der Tiroler Geschichte.
Aufgrund eines 2011 zufällig in Hall aufgefundenen Buches mit 220 registrierten Toten aus den Jahren 1942–45 rollen die Tiroler Filmemacher eine 70 Jahre lang verdrängte Geschichte auf: Den systematischen Mord an psychisch kranken Menschen und Menschen mit Behinderung im Dritten Reich. Eine Tötungsindustrie, streng bürokratisch und arbeitsteilig organisiert, flächendeckend über das gesamte Deutsche Reich verteilt. Innerhalb von 2 Jahren wurden über 70.000 Menschen vergast, bevor die Nazis die Tötungsmethode umstellten. In Folge verabreichten sie den PatientInnen eine Überdosis an Medikamenten oder ließen sie an Hunger und Verwahrlosung elend zugrunde gehen.Tote lügen nicht“Du kommst nach Hall”

Nahezu vier Jahre lang dauerte die Spurensuche und brachte schockierende Ergebnisse zu Tage. Nachdem in den Familien der Opfer aus Angst und Scham jahrzehntelang geschwiegen wurde, erzählen im Film nun Söhne und Töchter, Enkel und Nichten über das Schicksal ihrer Väter und Großmütter, ihrer Tanten und Onkel: von der Vorahnung der Mutter, bevor sie abtransportiert wurde; vom immer noch anhaltenden Schmerz beim Gedanken an den Abschied vom Vater an der Pforte in Hall; vom Entsetzen und der Erschütterung, an dem Ort zu stehen, wo die Großmutter vergast wurde; von den Lügen der Nazis, um die Spuren zu verwischen und alle in die Irre zu führen.Tote lügen nicht - Heinz Fechner + Bertram WolfEin Gespräch mit Heinz Fechner, einem der Filmemacher, über das Projekt und warum dieses grauenerregende Denken auch heute, in anderer Form wieder Wirklichkeit werden könnte. 

Was war eure Motivation, dieses Dokumentarfilmprojekt anzugehen?

Es war das selbe Bild (es ist übrigens die erste Einstellung des Films), das Bertram Wolf und mich  im Jänner 2011 spontan motiviert hat, den Film zu produzieren: Es war der Parkplatz am Areal des Psychiatrischen Krankenhauses in Hall in Tirol, auf dem, nach Auftauchen eines Totenbuchs die Gräber von 220 verstorbenen Patientinnen und Patienten vermutet wurden. Dieses Bild steht für uns als Symbol für Vergessen, Verdrängen und Vertuschen. Es war damals nur ein unbestätigtes Gefühl, das sich jetzt nach der Fertigstellung des Films als überaus richtig erwiesen hat.Tote lügen nicht - Hall_Archiv_Fechner_WolfWas hat euch als Filmemacher am meisten “berührt oder beeindruckt”?  Auf welche Komplexitäten seid ihr während der Realisierung des Projektes gestoßen?

Es waren die berührenden Aussagen der Angehörigen der Toten. So erzählt, zum Beispiel, die Tochter eines in die Tötungsanstalt   Hartheim bei Linz deportierten Patienten, wie sie sich von ihrem Vater in Hall verabschieden musste; der Innsbrucker Arzt Karl Nemec schildert den Ort, an dem seine Großmutter vergast wurde; die Cousine eines in Hall verstorbenen Patienten berichtet über ihren Besuch in Hall, bei dem sie die Leiche des Toten zu Gesicht bekam.
Eine besondere Begegnung hatte ich nach der Filmpremiere in Innsbruck – die Aussage der Tochter einer Zeitzeugin (die kurze Zeit nach unserem Interview gestorben ist): Sie hätte jetzt im Kino das erste Mal ihre Mutter über dieses Thema reden gehört. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass bis zum heutigen Tag die Euthanasie ein absolutes Tabuthema in den betroffenen Familien gewesen sein muss.
Die Recherchen zum Film haben eindeutig gezeigt, dass die Problematik in Hall als ein Teil für das Ganze zu sehen ist: So wie in Hall wurde in allen Tötungsanstalten im Dritten Reiches organisiert gelogen, getäuscht und gemordet, – immer nach dem selben Muster.

Warum ist das Thema eures Dokumentarfilms auch heute wichtig und aktuell?

Das Thema des Films hat gerade in den letzten Tagen grausame Aktualität erhalten. Die Ausgrenzung von all jenem, das nicht ins Schema passt, füllen die aktuellen Schlagzeilen, – ob sie von heiligen Kriegen, Flüchtlingen im Mittelmeer oder rassistischen Exzessen erzählen.

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