Music

December 2, 2014

abroad & overseas: großartiges Blue Bird Festival in Wien

Lex W.
Die Wiener franz-Korrespondentin unterwegs am Blue Bird Festival: viele spannende Singer-Songwriter mit Persönlichkeit und immensem Talent, kribbelige Momente und einige CDs + Platten mehr. Ihr Fazit ist eindeutig.

Für franz durfte ich Ende November drei Tage lang das von der Vienna Songwriting Association organisierte Blue Bird Festival im Porgy & Bess in Wien besuchen. 10 Jahre ist es geworden und ich hab es heuer zum ersten Mal hingeschafft. Letztes Jahr hatte ich es ernsthaft vor. Doch zu spät, wieder mal ausverkauft. Warum? Was macht das Blue Bird so besonders? Dieser Frage versuchte ich in den drei Tagen nachzugehen.

TAG 1
Zunächst heißt es Schlangestehen vor dem Porgy & Bess, dabei beschäftigt mich vor allem eine Frage: Sind Singer-Songwriter-Fans anders? Ja. Auffallend viele von ihnen stehen alleine in der Schlange: also entweder Einzelgänger oder sie haben Freunde, die sie für sie anstehen lassen. Ebenfalls anders: Singer-Songwriter-Fans sitzen gerne. Das nehmen zumindest die Festivalorganisatoren an, da vor der Bühne Stühle stehen. Ungewohnt für ein Festival, passt aber zur Jazzclub-Atmosphäre des Porgy & Bess. Die Stühle wirken zunächst gemütlich gruppiert um kleine Tische, werden dann doch eng zusammen gerückt, damit mehr Leute Platz haben. Bis zu Tag 3 gelingt es mir trotz frühem Dasein und Anstehen nicht, einen Sitzplatz zu ergattern, was mich vermuten lässt, dass man als Normalsterblicher ohne VIP-Status oder Beziehungen zu den Organisatoren kaum zu einem solchen kommt. Egal, ich bin ja schließlich für die Musik und nicht zum Rumsitzen da. Es kann also losgehen!

Band 1
I am Oak aus den Niederlanden. Neben der angenehmen Stimme waren auch die Instrumentaleinlagen sehr eingängig. So eingängig, dass ich einmal mehr als 7 Minuten lang nicht auf den Stoppknopf meiner Handykamera gedrückt und das gar nicht gemerkt habe, da ich so gefesselt von der Musik war. Die Band hat zwischendrin immer wieder geplaudert und erzählt, z. B. dass sie tagsüber in Wien in zwei coolen Plattenläden gewesen sei und sie den ganzen tourist stuff einfach das nächste Mal machen würde. Geschickt haben sie auch auf ihren Merchandise Stand hingewiesen und meinten, alles was wir dort ausgeben, würden sie dann direkt bei ihrem nächsten Wien-Besuch sowieso wieder bei uns investieren.Band 2
Gravenhurst. Eine sehr wortkarge Band aus Bristol. Angekündigt als die neuen Radiohead, was von einigen im Publikum heftig angezweifelt wurde. Die Musik ruhig, melancholisch, konnte mich aber nicht richtig begeistern. Der Sänger exzentrisch in seiner Art, setzt auch mal mitten im Lied kurz aus, um seine Brille zurecht zu rücken. Trauriger Nachtrag vom 4.12.2014: Wir bedauern, dass Gravenhurst-Sänger Nick Talbot heute im Alter von 37 Jahren gestorben ist.Band 3
How to dress well. Tom Krell mit Band. Er wird anscheinend mit James Blake verglichen, selbst sieht er sich mehr von Prince und Tracy Chapman beeinflusst. Ich finde Ähnlichkeiten in seiner Stimme mit Michael Jackson und R. Kelly und manchmal erinnert mich seine Musik sogar an Skunk Anansie. Tom Krell wirkt sympathisch und witzig. Nach dem Intro verlangt er Licht im Publikumsraum, damit er uns alle besser sehen könne und will wissen, ob jemand Fragen hat. Dann stellt er die Mitglieder seiner Band als “very rich and attractive” vor und verspricht, dass er gleich nach dem nächsten Lied wieder mit uns weiter quatschen werde. Elektronische Untermalung und aufwendige Visuals gibt es auch dazu.

Band 4
Patrick Wolf. Mein persönliches Highlight des ganzen Festivals. Ein Gesamtkunstwerk, besser kann man ihn nicht beschreiben. Die Bühne ist vollgestellt mit Instrumenten – Piano, Geige, Gitarre, Harfe – Patrick Wolf spielt sie alle selbst. Im Publikum geht schon die Frage um, mit welcher Frisur er diesmal auftaucht. Er erscheint kahl rasiert im Punk-Outfit und wirkt ein bisschen als wäre er gerade dem Film Trainspotting entstiegen. Bei den ersten zwei Liedern noch recht ernst, fängt er dann an, seine Lebensweisheiten zum Besten zu geben. Zum Beispiel, dass er draufgekommen ist, dass eine “sober mind more insane” ist, aber wir uns keine Sorgen machen brauchen, da er “not that sober” ist. Er trinkt Kaffee und sagt, das hätte er früher nicht gemacht. Wird auch prompt von einer Ungläubigen aus dem Publikum mit einem Schluck überprüft – ja, wirklich Kaffee drin. Er singt ein Lied für Amy Winehouse, mit der er auf Tour war, als der Verstärker mitten im Lied mit einem lauten Knall umfällt, sagt er nur gelassen: “Hey, Amy heart”.
Er spricht von seinem Vorbild Joni Mitchell und dass man damals als Singer-Songwriter unbedingt eine Bariton Ukulele haben musste, die aber meistens nur im Internet bestellen konnte. Als er ein Konzert in London spielte, bekam er 50 Pfund dafür: 35 gingen für den Zug drauf, also blieben noch 15, eigentlich für Essen und so. Dennoch ging er damals in dieses Musikgeschäft, wo ihm eine Ukulele auf den Kopf fiel, die er dann um 10 Pfund reduziert bekam. Er spricht davon self-obsessed zu sein, aber genau das in diesem Business sein zu müssen. Darüber, dass Leute aus dem Musikbusiness seine Texte nicht verstehen, die für ihn soviel Sinn machen und dass er normalerweise nie nach 24 Uhr spielt, da er Angst hat, wir oder er würden uns dann in einen Kürbis verwandeln. Oder schlimmer noch: “I would rip someone apart”. Wie ein richtiger Wolf halt. Dass er alle Instrumente mit einer Leichtigkeit spielt und noch dazu eine geniale Stimme hat, kann ich jetzt zwar erwähnen, aber sehen muss man ihn wohl selbst, um die Faszination eines Patrick Wolf richtig verstehen zu können.

Fazit TAG 1: 1 Platte, 2 CDs. Wenn das so weitergeht, macht mich das Blue Bird am Ende noch arm. 

TAG 2

Band 1 
Christy & Emily. Leider verpasst, weil zu spät dran. Sollen gut gewesen sein.Band 2
Fräulein Hona aus Österreich wurden auf der Open Stage “Michaela Singt!” der Vienna Songwriting Association – die auch das Blue Bird organisiert – entdeckt. Am beeindruckendsten: Nach jedem Lied wechseln die vier Musikerinnen die Plätze und Instrumente. Zwei von ihnen sind aus Vorarlberg, weshalb es auch ein Lied über Züge gibt. Ansonsten geht es auch viel um Meer und Seeleute.Band 3
David LeMaitre aus Bolivien, lebt inzwischen in Berlin. Freut sich unglaublich hier zu sein und hat eine sympathische Band mitgebracht mit spannenden InstrumenteN: Synthesizer mit Flaschen, die beim berühren leuchten und wie ein Xylophon oder so klingen. Hängen geblieben ist bei mir auch der spanische Satz aus dem Interview auf Fm4 auf die klassische Frage: Sag uns doch was auf Spanisch: “mas sabe el diablo por viejo que por diablo”, was übersetzt mit: “The devil knows much, because he is old and because he is the devil.” Klar oder?Band 4
Dry the River wurde heiß erwartet vom Publikum. Die Stimme kam mir dann auch von Fm4 bekannt vor. Die meiste Zeit suchte ich den Metal, da in der Ankündigung stand, die Band kreuze die Genres Rock, Folk und Metal, beobachtete ein Pärchen, wo der Mann laut mit grölte und seine Freundin sichtlich peinlich berührt davon war, und dachte daran, dass der Sänger auch barfuß auf der Bühne sei, wie Jo Stockhölzer das immer macht, der eigentlich unbedingt mal am Blue Bird spielen sollte, da er da super her passen würde.

Fazit TAG 2: Keine CDs, keine Platten. Die Bands konnten mich nicht ganz überzeugen, was man vielleicht daran merkt, dass ich leicht abschweife.

TAG 3
Todmüde von den letzten beiden Tagen raff ich mich nochmals auf zum Endspurt und habe es nicht bereut. Band 1
Soak. Den Namen hat der 18-Jährigen ihre Mutter vorgeschlagen: steht für die Mischung aus Soul und Folk. Sie sagt, sie mache zwar weder noch, der Name habe ihr aber gefallen, deshalb habe sie ihn behalten. Soak war schon Vorgruppe von Chvrches und Tegan & Sara, findet das Publikum wonderful, da es so leise zuhört und sie sich wie in einer Bibliothek fühlt. Sie mag die alten Gebäude in Wien und spielt ein Lied namens “Sea Creatures”, das sie mit 13 geschrieben hat, als sie noch ein bisschen silly war und das die Textzeile “I prayed for you and you know I don’t like Jesus (no offense)” enthält.Band 2
Schmieds Puls aus Österreich. Die einzige Band, die ich schon vor dem Blue Bird kannte und die mich dort so richtig neu begeistert hat. Einer der Macher hinter dem Blue Bird – Klaus Totzler – kündigt sie so an: Robert Rotifer habe einmal zu ihm über die Sängerin Mira Lu Kovacs gesagt, dass diese nicht Gitarre spiele wie du und ich, sondern wie es sich gehört. Sie kann nicht nur Gitarre spielen, auch ihre Stimme ist großartig. Sie erzählt immer wieder etwas zu den Liedern und meint, dass sie zuviel rede. Spannend: Sie habe ein überraschend sehr lebensbejahendes Gedicht von Charles Bukowski vertont. Als sie die Rechte von seiner Witwe Linda dafür haben wollte, hat sie prompt die falsche Linda (eine frühere Freundin Bukowskis mit dem selben Namen und ebenfalls Künstlerin) angeschrieben, die ihr salopp antwortete: “You got the wrong one.”Band 3
Elle King hat mich eindeutig überrascht. Sie beschreibt sich als nice, außer man dated sie. Sie hat einige Breakupsongs in ihrem Repertoire, erwähnt, dass sie dem Alkohol nicht abgeneigt sei und wechselt zwischen Gitarre und Banjo hin und her. Ihre Stimme ist stark und eindringlich. Sie erzählt, sie komme ursprünglich aus Ohio, einem Staat voller Trailerparks und Kirchen und sei froh gewesen, wie ihre Mutter sie mit 10 Jahren daraus befreit habe und mit ihr nach New York übersiedelt sei.Band 4
Phox aus Wisconsin. Als sich im Publikum Leute aus Wisconsin bemerkbar machen, meint die Sängerin, es sei unglaublich, dass man überall Leute aus Wisconsin treffe und das vielleicht daran liege, dass Wisconsin selbst nicht soviel zu bieten habe. Auch diese Sängerin scheint dem Alkohol nicht abgeneigt. Sie ist peinlich berührt, als sie sich beim ersten Lied anschüttet, fragt sich zwischendrin, ob sie schon so betrunken sei, dass sie nicht mehr wisse, ob The Thrills – von denen sie ein Lied covert – aus Irland oder Schottland stammen und teilt uns mit, dass in ihrem Weinglas eigentlich Whiskey sei, sie aber mit dem Weinglas versuche more ladylike zu wirken. Ihrer schönen Stimme schadet der Whiskey jedenfalls nicht.Band 5
John Bramwell von I am Kloot. Er entspricht meinem Bild von einem klassischen Singer-Songwriter: mit Gitarre auf einem Barhocker. Alkohol scheint das Thema des Abends zu sein. Zunächst leitet er beim Soundcheck mit den Worten “Even if I’ve been drinking, this will be superb” ein. Dann wird erst einmal nach einem Tisch gesucht, auf dem er sein Bier abstellen kann, bevor er anfängt. Jedes zweite Lied wird als “about drinking” angekündigt und seine Setlist, das napkin of songs, habe er aus der Scotch  Bar down the road. Als Mischung aus Singer-Songwriter und Comedian schafft er das Publikum selbst zu dieser späten Stunde und am Ende von Tag 3 noch für sich zu gewinnen.

Fazit TAG 3: Eine CD und die Festival Compilation “Between the Lines Vol. 6″. Erkenntnis von Tag 3: Singer-Songwriter mögen Alkohol. 

Fazit Blue Bird Festival: Was habe ich gelernt? – Es scheint so, als müsse man mehrere Instrumente spielen können und verschiedene Musikstile vereinen, um sich durchsetzen zu können, den klassischen Singer-Songwriter – akustisch mit Gitarre – gibt es zwar noch, er ist aber rar geworden. Trotzdem scheint das musikalische Können alleine nicht auszureichen. Bei Singer-Songwritern steht nämlich eindeutig die Persönlichkeit im Vordergrund und ihr Talent, das Publikum damit in ihren Bann zu ziehen. Für mich war das Blue Bird sehr bereichernd, ich habe einige Erkenntnisse gewonnen und spannende neue Musiker und Musikerinnen kennengelernt. Das nächste Jahr eindeutig wieder ein Muss. Blue Bird Festival franzmagazine

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.