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November 18, 2014

Grundbedürfnis Schreiben: Marcel Zischg, Südtiroler Schriftsteller

Petra Götsch

Nachdem der Naturnser Jungautor Marcel Zischg in seinem Erstlingswerk “Familie am Bach” fragile und komplexe Familienkonstellationen beschreibt, arbeitet er in seinem aktuellen Buch “Wandernder Berg, badender Zwerg” alte Sagenstoffe auf. Im Zuge der Buchpremiere am 29. November 2014 im Kleinkunst-Hotel Kreuzwirt in Naturns (Beginn H 16.00) spricht Marcel Zischg mit franz über seine Bücher, das Schriftsteller-Dasein in Südtirol und darüber, was Ängste und Träume mit seinem Schreiben zu tun haben.  

Marcel, wie hat das bei dir mit dem Schreiben begonnen? 

In der Mittelschulzeit habe ich erste eigene Texte verfasst. Meine allererste Geschichte außerhalb der Schule war ein Märchen, das ich in der Nacht zum 31. August 2003 geschrieben habe. Doch: Ich war erst 15 und “nur” auf der Suche nach einem neuen Hobby. Ich war kein sehr beständiger Junge, wechselte meine Interessen je nach Lust und Laune und ging auch nicht gern zur Schule, weil ich sehr introvertiert und eigensinnig war. Trotzdem war ich kein schlechter Schüler. Mich interessierte zwar Vieles, aber doch eigentlich Nichts aus Leidenschaft. Deswegen hatte ich keine großen Erwartungen, dass ich dieses “Schreibhobby” lange durchziehen würde und befürchtete, es wäre eventuell nur eine kurzfristige, pubertäre Laune.   

Offensichtlich nicht. Neben diversen Texten erschien nun nach “Familie am Bach” dein bereits zweites Buch: Erzähl uns mehr über “Wandernder Berg, badender Zwerg“. Und wie ist die Idee dazu entstanden? 

Ich hatte gerade mein erstes Buch “Familie am Bach” veröffentlicht und wurde auf einen Zeitungsartikel aufmerksam, in dem Geschichten zum Thema “Vielfalt” für Kinder gesucht wurden. Startschuss zur Märchensammlung war dann meine Geschichte der Vielfalt, die ich für das jeweilige EURAC-Kinderprojekt geschrieben hatte, ein kurzes, modernes Märchen mit dem Titel “Herr und Frau Einfalt”. Nach und nach entstanden schließlich weitere Märchen, teils modernen Inhalts, teils aus Vinschgauer Sagenstoffen gespeist – ein Jahr später war mein zweites Buch schon fertig. – Natürlich dank der Unterstützung einiger wertvoller Menschen, die mir diesen kleinen Erfolg möglich gemacht haben: Mein Cousin Oswald Zischg, mein Grafiker Rick Krawetzke, mein Lektor Moritz Siegel und mein Verleger Bruno Klammer. In meinem ersten Buch, der “Familie am Bach”, standen noch familiäre Probleme im Mittelpunkt, die aus der Sichtweise von Kindern erzählt wurden. “Wandernder Berg, badender Zwerg” ist ein Märchenbuch für Kinder und Erwachsene und vereint eine Vielzahl von Themen: Die Kraft der Fantasie, kindliche Urängste, Einfalt, Heimatlosigkeit, Weihnachten, Zorn und Zerstörungswut, die Geschichte der Vinschgauer Bahn etc.  

Wie steht es in Südtirol eigentlich um den Autorenberuf? Oder anders gefragt: Kann man von der Schriftstellerei leben?  

Ich glaube nicht, dass jemand in Südtirol “nur” vom Schreiben leben kann, selbst die bekannteren AutorInnen sind oft in anderen Berufen tätig – es sei denn, man etabliert sich in Deutschland und Österreich durch zahlreiche Auszeichnungen und/oder in großen Verlagen. 
Ich bin ein kleiner Autor. Ich muss noch viel lernen, und ich lerne auch langsam: Große Sprünge sind noch nicht möglich, ich muss bodenständig bleiben. Auf der anderen Seite bin ich ein Mensch, der es gewohnt ist, um seine Ziele zu kämpfen und der ein Herz fürs Schreiben, Wertvorstellungen und Ideale hat – ich denke, das gibt mir sehr viel Kraft. Natürlich will ich mich und mein Buch auch vermarkten, sonst würde ich hier kein Interview geben, aber ich mache mir keine Illusionen, ein “Erfolgsmärchen” auf “Teufel komm raus!” verwirklichen zu wollen. Zentral ist, dass man sich und seinem Schaffen treu bleibt – man sollte nicht mit Absicht auf irgendwelche Erfolgsprognosen oder Vermarktungsstrategien schreiben. 

“Wandernder Berg, badender Zwerg” erzählt lokale Sagen in neuem Kleid. Generell kann man in der Gesellschaft eine Art Hinwendung zu dieser Thematik erkennen – an der Kinokasse bilden sich für “Der Hobbit” Schlangen, man fiebert der neuen Staffel von “Game of Thrones” entgegen und auch Mittelalterfeste freuen sich über regen Zuspruch. Wie erklärst du dir das? 

Das ist schwierig. Ich habe diese Zuwendung natürlich mitbekommen. Ich bin jedoch kein großer Leser von englischsprachigen Fantasy-Romanen, auch wenn man das zu Recht annehmen könnte, weil ich selbst bevorzugt Märchen schreibe. Ich denke, dass vor allem junge LeserInnen dieser neuen fantastischen Welt viel Zuspruch abgewinnen können, weil sie keine Grenzen kennt und in ihr alles möglich erscheint – dieser Gedanke des Märchens an sich kann überhaupt schon sehr faszinierend sein. Ich empfinde diese Auseinandersetzung als positiv, denn Tolkien war ohne Zweifel ein höchst intelligenter Autor, dessen Werk hohe Sprachbegabung und vor allem faszinierende, mythologische und kartographische Aspekte enthält, und in seinen Büchern wird das natürlich noch sehr viel deutlicher. “Game of Thrones” kenne ich nicht, wenn ich ehrlich bin. Ich denke, das kommt bei mir daher, weil ich gern in der Vergangenheit nach Impulsen für Märchen suche und eher zum klassischen und/oder kleinen Märchen neige, das weniger in die politische Richtung geht als vielmehr der Frage menschlicher Grundbedürfnisse nach. 

Apropos Impulse: Gibt es Schriftsteller, die dich inspirieren oder zu denen du aufblickst?

Da neige ich eher zu Persönlichkeiten, die Zeit seines/ihres Lebens eher im Hintergrund standen – wenn ich die Wahl hätte, Ingeborg Bachmann oder Marlen Haushofer zu begegnen, würde ich mich wohl gegen die literarische Diva und für Haushofer entscheiden, die heute natürlich auch bekannt ist, jedoch zu Lebzeiten eher im Abseits stand. 
Für mein erstes Buch habe ich diverse Traumliteratur gelesen, der düstere Minimalismus von Raymond Carver hat mich inspiriert, die Märchenphilosophie Clemens Brentanos, aber auch -– und darüber rede ich selten – eigene Träume und Ängste. Für mein zweites Buch habe ich nach kleinen, unbekannten Texten gesucht, um sie in ein neues Kleid zu geben – diese Märchen sind literarische “Außenseiter” und keine Grimm-Texte. Ich habe mich in “Wandernder Berg, badender Zwerg” beispielsweise gegen die Aufarbeitung eines italienischen Volksmärchens von Paul Heyse entschieden, zu dem es in der DDR auch einen Puppentrickfilm gab – solche Namen traue ich mir gar nicht zu.

Du erwähnst Träume und Ängste. Franz Kafka schrieb in einem seiner Briefe, mit seinen Texten würde er aus negativen Zeiten etwas Schönes machen und das sei für ihn Heilung. Was bedeutet dir das Schreiben?

Ich schreibe aus einem inneren Drang heraus. Das Schreiben ist ein Teil von mir geworden. In meinem ersten Buch diente es tatsächlich der Verarbeitung meiner eigenen Lebenswelt – die Dinge, die dort geschehen, sind mir selbst nicht in dieser Art und Weise widerfahren. Aber viele Gefühle habe ich durchlebt und ordne sie in meinen Geschichten anders an. Meine neue Kurzgeschichte “Die Spielzeugpistole” wird ein ganzes Traumgebilde eines jungen Mannes – ich schaffe es dadurch, eigene Ängste und Sehnsüchte zu verarbeiten, auch wenn ich damit die alte, romantische Ansicht des “leidenden Autors” vertrete. Die meisten meiner Figuren tragen Eigenschaften meiner selbst, v. a. in den Märchen: Wenn eine Figur gern lange schläft, dann heißt das, dass ihr Autor ein Morgenmuffel ist.  

Wie geht es jetzt mit dir weiter? Hast du schon Ideen für neue Projekte?

Seit einem Monat habe ich keine Zeit mehr zum Schreiben, weil ich eine Ausbildung absolviere, am Wochenende arbeite und mich um mein Buch kümmere. Ich organisiere meine Buchveranstaltungen und habe in diesem Zusammenhang auch einiges an Papierkram zu erledigen. Das Schreiben fehlt mir aber sehr. Höchstens die Zeit für eine Kurzgeschichte kann ich gerade noch aufbringen.  
Über den Sommer habe ich jeden Tag in meiner Arbeitspause an einem Märchenroman geschrieben. Entstanden ist ein 150seitiges Manuskript mit dem Arbeitstitel “Die Königin von Verlorenherz”. Dieser Roman beginnt mit einer Konstruktion, die man aus dem klassischen Märchen kennt: Eine Königin hatte drei Söhne… Zugleich ist diese Konstruktion auch das Ende des Romans – dazwischen liegt jedoch eine Reise, die noch lange und beschwerlich wird. Ab Januar 2015 werde ich den Märchenroman, nach einem Zeitsprung, fortsetzen. Zurzeit ist das Manuskript seit Ende September 2014 auf Eis gelegt, weil es ein sehr aufwändiges Projekt ist und ich dafür mehr Kraft und Zeit brauche, als ich im Moment aufbringen kann. 

Marcel Zischg, geboren 1988 in Meran, aufgewachsen in Naturns. Studium der Germanistik in Innsbruck. Veröffentlichte neben diversen Kurzgeschichten die Bücher “Familie am Bach” und “Wandernder Berg, badender Zwerg” (beide im Provinz Verlag). Lebt und arbeitet abwechselnd in Naturns und Innsbruck. 

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