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November 13, 2014

Von der Kompetenzfrage zum Bauchgefühl: das Einkaufszentrum kommt

Lorenz Brugger
Kommentar von Dipl. Ing. Lorenz Brugger für franzmagazine zum Entscheid der Kaufhaus-Dienststellenkonferenz: Benko-Projekt schlägt Oberrauch-Projekt. – Sind wir nun Einkaufszentrum...?

Lorenz Brugger für franzmagazine

Da ist sie endlich, die von vielen heiß erwartete Entscheidung. Die so genannte Dienststellenkonferenz beschäftigte sich wochenlang mit dem wahrscheinlich größten städtebaulichen und architektonischen Umbruch seit Jahrzehnten in Bozens Innenstadt. 

Den Vorsitz dieser Kommission führte der Generaldirektor der Gemeinde Bozen, Helmut Moroder. Zur Arbeitsgruppe gehörten Beamte und Techniker der Stadtverwaltung und jener der Landesämter aus den Abteilungen Raumplanung, Vermögen und Wirtschaft : Stefano Rebecchi als Verantwortlicher für die Marschroute, Ulrike Pichler, Fulvio Rizzolo, Giovanni Seppi, Mario Begher, Fabiola Petilli, Anton Aschbacher, Günther Burger, Hansi Felder und Giulio Lazzara. Die Liste setzte sich hauptsächlich aus Rechtsanwälten und Bauingenieuren zusammen, in der Tat saßen dort kein Raumplaner, kein Landschaftsarchitekt, kein einziger Stadtplaner und ganz genau 1 Architekt. Es darf die Frage gestellt werden, wie ein derart zusammengesetztes Gremium fachgerecht über diese beiden Projekte entscheiden kann. Hier wurden schließlich hauptsächlich über stadtplanerische, architektonische und landschaftsarchitektonische Fachthemen diskutiert, wie der Kriterienkatalog zeigt. Dieser setzte sich aus den Bereichen urbanistische Qualität, architektonische Qualität, Qualität des städtischen Raumes, Umwelt-Qualität und energetische Qualität zusammen. Eine Bewertung der Projekte durch eine fachlich nur bedingt qualifizierte Kommission wertet das Projekt selbst ab und dies kann fatale Folgen haben für die größte innerstädtische Entwicklungsfläche in Bozen. Eine Kommission aus Fachleuten vorrangig aus der Architektur, der Stadtplanung, des Städtebaus und ja auch aus Ingenieuren und politischen Entscheidungsträgern, wie sie beispielsweise in Jurys für Architekturwettbewerbe eingesetzt wird, hätte vielleicht ein gänzlich anderes Urteil gefällt. 

Sei es drum, nach wochenlangen Beratungen stand das Ergebnis fest. Das Benko-Projekt konnte die vorgegebene Hürde von 70% in allen Bereichen weit übertreffen (urbanistische Qualität: 86,6%; architektonische Qualität: 85,8%; Qualität des städtischen Raumes: 96,9%; Umwelt-Qualität: 80,3%; energetische Qualität: 84,7%). Das Oberrauch-Projekt schaffte es in dem Bereich urbanistische Qualität gerade einmal auf 50,1%, die automatische Disqualifizierung. 

Die Mitglieder der Dienststellenkonferenz sprachen sich mit beeindruckender Eindeutigkeit für das Projekt von Investor Benko aus und bereiteten dem Erlebnishaus Team ein jähes Ende. Es stellt sich die Frage, ob das Ergebnis dieser Konferenz nach dem Motto “auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn” zu bewerten ist oder ob die Unterschiede tatsächlich so frappierend waren, dass auch fachfremde Rechtsanwälte und technisch orientierte Bauingenieure das vermeintlich schlechtere Projekt erkennen können. Nun ist es durchaus auch so, dass wir alle ein gewisses Grundverständnis zur gebauten Umwelt mitbringen. Schließlich leben wir alle mit Gebautem, gehen dort ein und aus, ärgern uns über schlecht geschnittene Räume oder schlicht hässliche Häuser. – Ein Laie erkennt vielleicht nicht, dass zum Beispiel die Dreiteilung der Fassade sowohl bei Podrecca als auch bei Chipperfield wahrscheinlich als Abwandlung bzw. Weiterentwicklung der Fassade des Palais Widmann  gedacht und entworfen wurde. Diese besitzt ebenfalls die klassische Aufteilung à la Basis, Säule und Kapitell. Jedoch wird ihm sein Bauchgefühl sagen, dass sich die Fassade von Chipperfield wesentlich besser in das Stadtbild einfügt und annehmbarere Proportionen aufweist, als die unruhige, zusammenhanglose Fassade von Podreccas Entwurf. Diese Einschätzung hat nämlich nichts mit Wissen zu tun, sondern sie entsteht im Bauch. Und wir alle wissen, dass unser Bauchgefühl oft richtig liegen kann. 

Es scheint demnach so, als ob sich die Dienststellenkonferenz aus dem Bauch heraus für das vordergründig bessere Projekt entschieden hat. Dass Bauchgefühle bei einer derart wichtigen Entscheidung nichts zu suchen haben, interessiert im Nachhinein natürlich niemanden mehr. Glück für Benko, dass Oberrauchs Projekt noch dazu bereits des Öfteren öffentlich schlecht bewertet wurde, wie etwa in der Studie des ehemaligen Abteilungsleiters für Hochbau Josef March, ein Architekt von Beruf. Dies mag vielleicht die Entscheidung dann auch in diese Richtung begünstigt haben. Eine fachliche und objektive Aussage welches der beiden Projekte wirklich besser oder schlechter ist, stellt die Entscheidung der Dienststellenkonferenz nicht dar. 

Die Oberrauch-Gruppe ist jetzt erst einmal gekränkt, gibt sich aber naturgemäß weiter kämpferisch. Sie vertraut auf die Politik, die das Ganze dann im nächsten Jahr hoffentlich stoppt. Auch betonte sie bereits, dass sie kein Problem damit hätte, ein Jahr zu warten. Sie setzt also auf Zeit. Dieses Vorgehen hat natürlich überhaupt nichts mit dem Anliegen zur Aufwertung des Areals zu tun, sondern ist ein politisches Spiel. Für die tatsächliche Aufwertung des Busbahnhofs – in welcher Form auch immer, stellt dies die schlechteste aller Varianten dar: Politische Machtspiele führen natürlich erst einmal wieder zu Stillstand. Am Ende spielt man mit der Möglichkeit, dass das Busbahnhofsareal in 10 Jahren genauso aussieht wie heute. 

Oberrauch und seine 37 Mitstreiter sollten sich um ihrer Glaubwürdigkeit wegen eher darüber Gedanken machen, wie sie sich selbst in das Benko-Projekt einbringen können. Noch steht das Bozner Einkaufszentrum, wenn es denn am Ende wirklich kommt, am Anfang. Noch gibt es die Chance, sowohl für die Bozner Unternehmer als auch und vor allem für die Bozner BürgerInnen, sich in das Projekt einzubringen und es von einer namenlosen Mall zu einem vielleicht sogar identitätsstiftenden Kaufhaus in dieser traditionsreichen Handelsstadt Bozen zu entwickeln. Es würde sich sofort von all den anderen Konsumtempeln in Europa unterscheiden und vielleicht das erste Einkaufszentrum sein, das tatsächlich einen nachhaltigen Mehrwert für den urbanen Raum, den grünen Raum und die dort lebenden BewohnerInnen darstellt. 

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