Culture + Arts > Literature

September 20, 2014

Wiederbegegnung mit Anita Pichler, Schriftstellerin und Kulturförderin

Kunigunde Weissenegger
Ein Gespräch mit den Nachlassverwalterinnen Sabine Gruber und Renate Mumelter über die Texte von Anita Pichler und die verantwortungsvolle Aufgabe einer Nachlassverwalterin.

Als Nachlassverwalterinnen ist es Sabine Gruber und Renate Mumelter stets ein großes Anliegen, Anita Pichlers Texte am Leben zu erhalten, damit das vielgelobte und diskussionsanregende Werk der Schriftstellerin, aber auch sie als Person nicht der Vergessenheit übergeben werden. Die Neuausgabe von Anita Pichlers Erzählung “Wie die Monate das Jahr” ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Am 22. September 2014 um 18 Uhr wird das eben im Folio-Verlag erschienene Buch im Damensalon des Hotel Laurin in Bozen vorgestellt. Anita Pichler lebte von 1948 bis 1997 und war die erste über die Grenzen von Südtirol hinaus bekannte Schriftstellerin der Nachkriegszeit. Die Schriftstellerin Sabine Gruber und die Journalistin Renate Mumelter  – wachsam das Erbe ihrer Freundin verströmend und im selben Atemzug darauf bedacht, nicht “Unnötiges” preiszugeben, habe ich mit einigen Fragen konfrontiert. 

Sabine und Renate, warum ist es euch als Nachlassverwalterinnen ein Anliegen, Anita Pichlers Texte am Leben zu erhalten? 

Sabine Gruber: Es ist doch die Aufgabe von Nachlassverwalterinnen, die Literatur der Verstorbenen neu aufzulegen, wenn sie vergriffen ist. Und als bibliophiler Mensch ist es mir – und ich glaube auch Renate – wichtig, daß es ein Buch im klassischen Sinn ist, nicht nur ein E-Book, das auf PCs und Smartphones gelesen werden kann. Die Folio-Ausgabe ist übrigens besonders schön geworden, sie enthält neben einem erläuternden Aufsatz der Literaturwissenschaftlerin Christine Riccabona auch noch zwei Radierungen des Künstlers Markus Vallazza, mit dem Anita Pichler befreundet war.

Renate Mumelter: Ich möchte noch ergänzen, dass es Anita Pichlers Texte wert sind, am Leben erhalten zu werden, sonst würden wir uns die Mühe nicht antun.

Sabine Gruber: Sonst hätten wir diese Aufgabe vermutlich gar nicht übernommen.Sabine Gruber - Karl-Heinz StröhleSabine Gruber (c) Karl-Heinz Ströhle

Was können wir und auch “neue Generationen” aus ihren Texten lesen?

Renate Mumelter: Was mich besonders freut, ist zu sehen, dass es immer wieder junge Menschen gibt, die mit Anita Pichlers Texten “etwas anfangen” können. Das hätte auch Anita gefreut. Sie hatte immer ein besonderes Interesse an den nachkommenden Generationen, an der Zukunft. Ich überlasse es gerne den “neuen Generationen” selbst zu sagen, was sie aus Anita Pichlers Texten lesen können. Oder auch nicht.

Sabine Gruber: Gute Literatur ist zeitlos. Anita Pichler hat, wohl auch beeinflusst von der ostdeutschen Literatur – man denke nur an Christa Wolfs “Kassandra” – Sagen, Mythen und Legenden als Form der Geschichtserinnerung verwendet. Es sind oft Bilder und Geschichten, die sich dem Rationalen entziehen. Anita hat mit archetypischen Mythen neue Bilder evoziert, sie erwachen in der Erzählung “Wie die Monate das Jahr” als Zeichnung und als Sprache zu neuem Leben. 

“Wie die Monate das Jahr” ist 1989 bei Suhrkamp erschienen und wird nun im Folio Verlag neu aufgelegt. Ohne zuviel zu verraten: Was erwartet Menschen, die die Erzählung nicht kennen? 

Sabine Gruber: “Wie die Monate das Jahr” ist eine sehr eigenwillige, poetische Sicht auf die Geschichten um Oswald von Wolkenstein, Südtirols großem Minnesänger.

Renate Mumelter: Und es geht auch um eine junge Frau, Myriam, die auf dem Weg ins Leben ist. Menschen, die die Erzählung nicht kennen, kann ich nur empfehlen, sich auf den Text einzulassen, auch mehrmals, die Bilder anzuschauen, die im Kopf entstehen und der Sprache zuzuhören.Renate MumelterRenate Mumelter

Was ist in euren Augen die Aufgabe einer Nachlassverwalterin? – Wie schmal ist der Grat zwischen eurem Anliegen, die Texte am Leben zu erhalten, und der Gefahr, zu viel Preis zu geben? – Wäre es auch Anita Pichlers Anliegen gewesen? – Wie verbunden fühlt ihr euch? – falls nicht zu persönlich gefragt.

Sabine Gruber: Ich denke, vordergründig haben wir dafür zu sorgen, daß es Anita Pichlers Bücher zu kaufen gibt, daß ihr Werk nicht – wie das vieler anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller – vergessen wird. Damit Menschen daran erinnert werden, Anita Pichlers Bücher zu lesen, versuchen wir sie auch als Person ins Gedächtnis zu rufen. Es wird in Bozen beispielsweise einen Anita-Pichler-Platz geben, das ist zweifellos ein Verdienst Renate Mumelters, die sich dafür eingesetzt hat.
Wir veranstalten immer wieder Lesungen, sorgen dafür, daß Anita Pichlers Texte in der einen oder anderen Anthologie vertreten sind, daß ihre Biobibliographie in Nachschlagewerken und online abrufbar ist. Wir machen für Anita Pichler und ihr Werk Werbung auf Facebook und setzen uns dafür ein, daß die testamentarische Verfügung, ihre Wohnung in Venedig betreffend, eingehalten wird. Sie wünschte sich, daß diese nach ihrem Tod Schriftstellern und Schriftstellerinnen zur Verfügung steht.
Seit Anita Pichlers Tod sind 17 Jahre vergangen, wir haben uns nie spekulativ oder in Form von Gerüchten über ihr Privatleben geäußert, was in Anitas Sinne ist. Sie wollte der Öffentlichkeit nie mehr preisgeben als ihre Texte. Genau das haben wir uns auch zum Ziel gesetzt. Im Übrigen fließen – auch das sei einmal öffentlich gesagt – alle Tantiemen und Einnahmen aus ihrem Werk auf ein Konto. Das Geld, das hereinkommt, wird für Werkausgaben und Veranstaltungen ausgegeben. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich. 

Renate Mumelter: So einfach ist es. Die Ehrenamtlichkeit ist für Sabine schwieriger als für mich, die ich ein festes Einkommen habe. Mit dem Zur-Verfügung-Stellen ihrer Wohnung in Venedig hat sie einen großzügigen Akt der langfristigen Kulturförderung gesetzt, der eigentlich zu wenig gewürdigt wird. Mit unseren Bemühungen versuchen wir, in diesem Sinne weiter zu machen.

Anita Pichler ist am 28.1. 1948 in Schenna/Südtirol geboren und  am 6.4.1997 gestorben. Mit 17 Jahren verließ sie ihren Herkunftsort und lebte in Triest, absolvierte ein Sprach- und Literaturstudium in Venedig. 1978 Umzug nach Ostberlin, ab 1982 Universitätslektorin in Venedig, ab 1986 freie Schriftstellerin zwischen Venedig, Wien, Berlin, Südtirol.
Werke: Die Zaunreiterin (1986, Neuaufl. Haga Zussa, Folio 2004), Wie die Monate das Jahr (1989), Die Frauen aus Fanis (1992, Neuaufl. 2014), Beider Augen Blick (1995).
Bei Folio erschienen: Sabine Gruber/Renate Mumelter (Hg.): Es wird nie mehr Vogelbeersommer sein… In memoriam Anita Pichler (1998); Dies. (Hg.): Das Herz, das ich meine. Essays zu Anita Pichler (2002); Flatterlicht (hg. aus dem Nachlass von Helmut Luger, 2007).

Foto oben: Nachlass Anita Pichler

Print

Like + Share

Comments

Current day month ye@r *

Discussion+

There are no comments for this article.