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June 27, 2014

Camilla Martinelli, Kuratorin. Die Südtiroler Kunstszene? – Trägheit vs. Aufschwung

Kunigunde Weissenegger

In Meran arbeitet sie an vorderster, zeitgenössischer Front und assistiert der Direktorin von Kunst Merano Arte Herta Torggler. Nach dem Studium von Kunst- und Kulturmanagement sowie -kommunikation in Mailand und ihrer Spezialisierung in zeitgenössischer Kunstgeschichte, Kulturerbe sowie Marketing hat Camilla Martinelli zunächst dort am Unesco-Lehrstuhl “Cultural and Comparative Studies on Imaginary”  und dann als Universitätsassistentin für Ästhetik, Kunstkritik und Museumsmanagement in Mailand gearbeitet. Die freie Kuratorin aus Riva del Garda ist, neben weiteren Projekten in Italien und ausserhalb, auch Kuratorin der Kunsthalle Eurocenter, Project-Room und Plattform zeitgenössischer Kunstformen in Lana. Zusammen mit Hannes Egger, Arnold Mario Dall’O, Ulrich Egger und Erwin Seppi betreibt sie die auf punktuelle Veranstaltungen konzentrierte, 350 m² große Kunsthalle. – Am 27. und 28. Juni 2014 präsentiert sie in der Kunsthalle Eurocenter in Lana übrigens Luca Reffo mit No Less

Was bedeutet für dich der Begriff “Kuratorin”? Was ist bei der Kuratierung einer Ausstellung wichtig? 

Es bedeutet für mich vor allem, sich immer wieder zu verlieben und sich von der menschlichen Fähigkeit überraschen zu lassen, Illusionen, Magie und Phantasien zu entwerfen und zu gestalten. Jeder Künstler präsentiert seine persönlichen einzigartigen und besonderen Eigenheiten und übergibt der Welt einen bedeutsamen, ästhetischen Beitrag, der sie bereichert. Eine Ausstellung zu kuratieren bedeutet, dass ich mich um das kümmere, was ich für Wert halte, auszustellen, und das impliziert, dass ich die Arbeit des Künstlers vollkommen aufgearbeitet und verstanden habe; es bedeutet aber auch, sie zu respektieren, und einen theoretischen und Sinn gebundenen Faden herauszuarbeiten sowie Absicht und Eigenschaft zu interpretieren, damit sie bestmöglich präsentiert wird. Der Kurator spinnt den Hauptfaden der Inszenierung und gibt der Ausdruckskraft des Künstlers eine Struktur – dabei aber, und das ist meiner Meinung nach heutzutage wichtiger denn je, achtet er gleichzeitig genau auf die verschiedenen Sichtweisen des Publikums, das sich mit den Arbeiten auseinandersetzen wird und von Fall zu Fall einmal mehr oder auch weniger bewandert sein kann. Wenn man eine Ausstellung kuratiert, ist es wichtig, sich gänzlich auf das Konzept einzulassen, das man verfolgt, damit die gehaltvollsten Punkte und interessantesten Verknüpfungen in der jeweiligen Dimension zutage kommen. 
Es ist aber gleichzeitig auch ein großes Vergnügen: Wenn ich schreibe oder eine Ausstellung gestalte, fühle ich, dass ich intensiver lebe und ich erkenne mich in dem, was ich tue, voll und ganz wieder.

Wie suchst du die KünstlerInnen aus, mit denen du für die Kunsthalle Eurocenter arbeitest? 

Die Auswahl, die auf rein kuratorialer Basis beruht, richtet sich unweigerlich auch nach unseren budgetären Grenzen. Deshalb ist die große Herausforderung für mich und meine Kollegen im Organisationsteam (das sind die drei Südtiroler Künstler Arnold Dall’O, Ulrich Egger und Hannes Egger sowie der Meraner Galerist Erwin Seppi), trotz kurzer Zeitspanne und geringer Mittel, qualitätvolle Dinge anzubieten. Die Räumlichkeiten eigenen sich wunderbar: ein Open Space mit Fabrikcharakter, sehr luftig und frei. – Die Ausstellungsgestaltung ist jedes Mal eine große Herausforderung. Die Kunsthalle ist in diesem Sinn eine Art Project Room, deshalb muss sich jede Veranstaltung mit den Eigenheiten der Räumlichkeiten abstimmen. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir uns für die Projekte begeistern können, damit wir unsere Kräfte sammeln und sie mit klar definierten Rollen gezielt in die gemeinsame Umsetzung der Ausstellung fließen lassen können. Wir konzentrieren uns darauf, international ausgerichtete Projekte von lokalen KünstlerInnen zu präsentieren. 

Wie siehst du die zeitgenössische Südtiroler Kunstszene? Passiert etwas? Wo liegen die Möglichkeiten?

In gewisser Hinsicht denke ich, dass die Kunstszene hier sehr im Aufschwung begriffen ist. In Bezug auf die EinwohnerInnenzahl und die geografische Beschaffenheit Südtirols gibt es verhältnismässig viele Initiativen im zeitgenössischen Bereich. Wenn ich daran denke, dass eine Stadt wie Meran mit 40.000 EinwohnerInnen über einen Ausstellungsraum wie Kunst Merano Arte verfügt, ist es klar, dass die meisten Städte in Italien davon nur träumen können. Und das ist sicher nicht einer Knappheit von Mitteln zuzuschreiben. Denn Kunst Merano Arte ist kein Landesmuseum, sondern ein privater Verein, der sich im Südtiroler Kultursystem eine Position erkämpft hat, indem er Wert auf Qualität und Stimmigkeit des Programms legt. Auch – immer vom Standpunkt des Zeitgenössischen aus gesehen, verfügt Südtirol über eines der wichtigsten italienischen Museen, nämlich das Museion. Also glaubt mir ruhig, liebe SüdtirolerInnen: So betrachtet, ist dies euerseits ein Zeichen höchster Kultur und internationaler Sensibilität, Aktualität und kultureller Forschung, die über die bloße Verwurzelung mit diesem Gebiet hinausgeht und so euren echten grenzüberschreitenden Geist aufzeigt, der für euch und eure Herkunft bezeichnend ist.

Andererseits leidet die Südtiroler Kunstszene an einer Trägheit, die auf den Rückgang künstlerischer Persönlichkeiten zurückzuführen ist – es sind mehr oder weniger immer dieselben. Ich will natürlich nicht ausschließen, dass ein Künstler in einem Gebiet, auch innerhalb kürzester Zeit öfters ausstellen kann und soll. Aber dann muss er Arbeiten und Werkzyklen präsentieren, die das Ergebnis gezielter, neuer Studien sind. Will man ein richtiger Künstler sein – und nicht nur ein Sonntagsmaler, dann kann man nicht so tun, als ob man nicht wüsste, wie die Kunstszene ausserhalb Südtirols funktioniert. Dann muss man das nunmehr globale System der zeitgenössischen Kunst gesamtheitlich betrachten und sowohl Museen als auch Galerien und nicht zuletzt Sammler berücksichtigen. Das hat, meiner Meinung nach, ein Rudolf Stingel begriffen. 

Foto: Camilla Martinelli vor der Arbeit  ”Il luogo della polvere” von Michele Parisi 

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