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June 5, 2014

Para Noise Garden:
Tag 2 bei columbosnext

Marco Russo

Zum xten Mal schlendere ich am entstehenden Para Noise Garten vorbei und bemerke eine junge Dame – womöglich eine Touristin, die sich mit beiden Händen an der Abtrennung festhält und neugierig den dahinterstehenden Arbeitsprozess verfolgt. Prompt schießt mir die Idee durch den Kopf, diese Situation mit einem Fotoapparat einzufangen, da ich ja gerade an einer Dokumentation über den Para Noise Garden arbeite. Ohne lange zu Zögern nehme ich den Fotoapparat in meine Hand, betätige die On-Taste und während sich das Objektiv aus dem Gehäuse bewegt, beginne ich die Begebenheit zu fokussieren, drücke ab, fange das Ereignis ein und noch ehe das soeben eingefangene Motiv auf dem Monitor der Kamera als Standbild erscheint, dreht sich die von mir als Touristin kategorisierte Frau um, nimmt ihre Sonnenbrille ab und fragt in einem äußerst höflichen Ton, ob sie mir irgendwie behilflich sein könne. 

Ein bisschen erstaunt ob dieser Frage, erkläre ich ihr den Grund für dieses Foto. Dabei entschuldige ich mich, da ich die Leute gewöhnlich frage, bevor ich ein Foto von ihnen mache, weil meine Bilder oft auf franzmagazine oder auf meiner Facebook-Seite landen. Sie sagt mir, dass es wirklich kein Problem sei. Im Gegenteil: Sie fühlt sich in ihrer Existenz bestätigt und bestärkt, wenn sie allein durch ihre Präsenz anderen Menschen behilflich sein kann. Ich erwidere, dass wenn dem wirklich so sei, ich es lieber bei diesem einen Foto belassen würde, da es natürlich und nicht gestellt wirke. Ich will mir ein zweites Motiv für die Reportage suchen und, noch bevor ich etwas Passendes entdecke, erzählt mir die junge Dame, dass sie gerade auf dem Weg zur Arbeit sei, da sie in Pradl in einer sozialen Einrichtung arbeite und einigen Menschen dort beim Erledigen ihrer Geschäfte und Ähnlichem helfe. Ohne dass ich sie überhaupt gefragt hätte, erzählt mir die Touristin ihr Leben.Para Noise Garden - columbosnext - Heart of Noise 2014 Tag 2 Tag 2

Alsbald entpuppt sie sich als Hannelore, die der Einfachheit halber von ihren Freunden Hanni genannt wird. Sie stamme ursprünglich aus einem kleinen Dorf im Außerfern und sei vor knapp einem Jahr, nach der (bravurös bestandenen) Matura, in die Landeshauptstadt gezogen, um Theologie zu studieren. Sie erzählte mir, dass es ihr bis vor zwei Wochen nicht so gut gegangen sei. Sie habe als einzige Frau mit drei Jungs in einem kleinen Haus am Mentlberg gelebt. Einmal wöchentlich hätten sich die Jungs im Keller des Hauses eingesperrt, um dort – so Hannelores Schilderung – satanische Messen zu feiern. Sie hätten angeblich sogar Tiere geschlachtet, denn die Geräusche, die aus dem finsteren Loch nach oben gedrungen seien, hätten dem Blöken eines auf der Schlachtbank gefesselten Lammes geglichen. Hanni sei es so vorgekommen, als hätte sie 17 lange Wochen an der Pforte zur Hölle gewohnt, und 17 Mal habe sie sich aus Angst und zu ihrem Selbsttrost den Kreuzgang unseres Herrn Jesus Christus vergegenwärtigt. Nun aber, da sie schon seit einigen Tagen aus der WG ausgezogen sei, gehe es ihr wesentlich besser. Sie wohne nun mit Freundinnen aus dem Gebetskreis in einer Wohnung in Hötting, helfe ab und zu in der Pfarre aus und habe kürzlich nun diesen Job als Sozialarbeiterin begonnen.

Hannis Monolog wird von Satz zu Satz skurriler. Trotz meines Willens, mich von hier fort zu begeben, fällt es mir äußerst schwer, eine passende Ausrede zu finden. Ich hoffe, dass mich jemand von der Baustelle anspricht, dass ich vielleicht einen Anruf bekomme, dass das eine oder andere bekannte Gesicht den Platz überquert, doch alles vergebens. Nichts von all dem geschieht. Nur Hanni und ich, vis a vis, Tête-à-Tête; und um uns das Rauschen der vorbeifahrenden Autos, Fiaker und japogermanischen Touristenmassen. Mir ist kalt und warm zugleich und mein inneres Auge spielt ein nicht decodierbares Flimmern ab. Ein schwindelähnliches Gefühl ergreift mich, mein Bewusstsein schlägt entgegen meines Willens einen Weg ein, der einer transzendentalen Erfahrung gleich kommt. Mir wird klar, dass Hanni weitaus mehr als eine unschuldige und naive Theologiestudentin und Sozialarbeiterin ist. Im Anblick ihres Antlitzes und ihres Gemüts wird mir offenbar, dass sie mir wie mein eigenes Spiegelbild gegenüber steht. Denn in Wahrheit erblicke ich vor mir nicht Hanni, sondern den tiefen Abgrund meiner selbst. Nein – nicht auch du Hanni… Bitte alle, aber nicht du. Du bist noch so jung, so zart und unberührt, stehst noch in der Blüte deiner Jugend… nein, Hanni, du nicht… 

Du bist kein Opfer des Helfersyndroms… 

Helfer Syndrom, 07.06.2014 / 16.00 Uhr / Para Noise Garden – watch 

Kreuz 17, 08.06.2014 / 16.00 Uhr / Para Noise Garden – watch

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