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February 7, 2014

Shopping-Center Ja oder Nein? Das Wort an den Experten Architekt Lorenz Brugger

Kunigunde Weissenegger

Lorenz Brugger stammt aus Bozen, im Jahr 2004 ist er nach Stuttgart zum Architektur-Studium aufgebrochen, das er nach verschiedenen Auslandaufenthalten 2011 als Dipl. Ing. abgeschlossen hat. Seit 2012 ist er in Architekturbüros tätig und im Moment arbeitet er bei der Freien Planungsgruppe 7 in Stuttgart als Architekt und Stadtplaner. Er prüft unter anderem auch Wettbewerbe, hat auch selbst an verschiedenen teilgenommen, zusammen mit einem Freund beispielsweise auch am Ideenwettbewerb für das Gerichtsgebäude.

Lorenz Brugger ist einer der Kritiker, die ihre Skepsis (hier und auch hier) gegenüber des Ideenwettbewerbes zum Erlebnishaus, offen aussprechen und auch mit den Initiatoren Oberrauch, Pan & Co Kontakt aufgenommen haben. Deshalb haben wir den Architekten um eine profundere Ausführung seiner Kritik gebeten. Auch weil wir der Meinung sind, dass ein professioneller Blick von Außen und denkanstoßende Überlegungen zum Vorhaben Einkaufszentrum – egal ob Erlebnishaus von Oberrauch oder Kaufhaus von Benko – an dieser Stelle sicher nicht schaden.

Welche Erfahrung hast du mit derartigen Wettbewerben? Wie sollten sie gestaltet werden?

Lorenz Brugger: Kurz zum Wettbewerbsverfahren: Es gibt unterschiedliche Verfahren, Wettbewerbe auszuschreiben: der offene Wettbewerb, wo jede qualifizierte Person ohne Einschränkung teilnehmen kann; und der begrenzte Wettbewerb, bei dem nur qualifizierte Personen teilnehmen dürfen, die sich bewerben und nach ihren Tätigkeitsfeldern und realisierten Projekten ausgewählt werden; der geladene Wettbewerb, wo nur diejenigen mitwirken dürfen, die eingeladen werden. Manchmal überschneiden sich die Verfahren, manche schränken sich stark ein, je nachdem wie es das Projekt erfordert.
Grundsätzlich aber kann man sagen, dass immer erst einmal die genauen Rahmenbedingungen festgelegt werden. Auch freie, offene Ideenwettbewerbe haben solche Eingrenzungen, es geht einzig und allein darum, sich unnötige Arbeit zu ersparen, Missverständnisse auszuräumen und nicht falsche Hoffnungen bei TeilnehmerInnen hervorzurufen.
Zumindest folgende Parameter sollten im Vorfeld textlich klar benannt werden: genaue Abgrenzung des Wettbewerbsgebietes, Flächengrößen, Art der Nutzungen, welche Kubaturen sind zulässig, ein klar definiertes und ausgearbeitetes Raumprogramm, Schwerpunkte der Betrachtung, Umfang der abzugebenden Pläne, Texte, Zeitplan, Preisgelder… usw.
Dazu gehört auch ein Kolloquium, wo alle TeilnehmerInnen, die Auslober und Mitwirkenden anwesend sind, um die Unterlagen auszugeben, das Areal anzuschauen und die Aufgabe zu präsentieren. So können erste Fragen gestellt werden. Danach geht es darum, einen Informationsaustausch zu organisieren – also Pläne, Stadtpläne, Luftbilder, Fotos, Texte, alles, was man so brauchen kann… Soviel vorerst in sehr groben Anrissen. – Die Zusammensetzung und der Umfang unterscheidet sich je nach Aufgabe, Auslober, Art des Wettbewerbes usw.
Nicht zuletzt sind auch die Preisgelder ein wichtiger Faktor. Es ist so oder so ein Frechheit, was an Preisgeldern gezahlt wird – denn es werden kaum Aufwandsentschädigungen gezahlt. Für viele ist das ein hartes Brot und viele ziehen sich deshalb zurück, weil es sich eben nicht rentiert… Doch entsprechende und vor allem adäquate Preisgelder gehören auf jeden Fall dazu.

Was kritisierst du?

Lorenz Brugger: Im Falle dieses Projektes, das ja wohl nur 30 Tage Planungszeit hat mit allem Pi Pa Po, stellt sich mir die Frage: Warum schaffen es andere, einen ordentlichen Wettbewerb auszuschreiben: Bahnhof Bozen oder etwa der kürzlich ausgeschriebene Wettbewerb für die Erweiterung der EURAC. Diese Frage hat mir das Team von Erlebnishaus auf Anfrage nicht beantwortet.

Benko oder Oberrauch? – Welches der beiden Projekte ist geeigneter für Bozen, deiner Meinung nach? Warum? – Oder gar keines? Und warum?

Lorenz Brugger: Die beiden Projekte sind momentan kaum vergleichbar. Benko hat einen internationalen Stararchitekten (David Chipperfield Architects) beauftragt, das Areal zu planen, da entsteht automatisch mehr Qualität, wie wenn die Bozner Kaufleute das sozusagen unter sich machen. Das sieht man auch den Renderings an. Leider findet man von Benko online keine Pläne (Grundrisse, Schnitte, Lageplan, Konzeptbeschreibung), um da wirklich etwas dazu sagen zu können. Aber der erste Eindruck ist, dass Benko hier wohl die besseren Karten in der Hand hat, weil er professioneller vorgeht, einen guten Architekten am Start hat und Referenzen aufweist (Kaufhaus Tyrol).  
Die Oberrauch-Gruppe kommt dagegen mit billigen Renderings und einem vergleichsweise armseligen Entwurf daher. Ich kann aber NUR die Renderings beurteilen, was nicht sehr aussagekräftig ist   – Benkos Images sind schöne, sehr typische Architektur-Renderings, die jedoch recht wenig mit der Realität zu tun haben. Übrigens finde ich das ältere Rendering von Benko (also den ersten Entwurf) fast prägender bzw. stärker als den des zweiten Entwurfs, der im Prinzip ein No-Name Gebäude zeigt, das in ganz Europa in der Form zu finden ist … In Deutschland nennt man so etwas Investoren-Architektur… – was ja auch stimmt. 
Oberrauchs Renderings sind wesentlich einfacher, aber man kann den Entwurf besser verstehen. Offensichtlich soll im prägenden Teil des Gebäudes, dem auskragenden Obergeschoss, ein Kongresszentrum Platz finden, im Erdgeschoss das ominöse Erlebnishaus. Ob ein Kongresszentrum als prägendes Element des Bahnhofsparks Sinn macht, ist auch eher fraglich. Die Geste macht den Park eher kaputt, als dass sie ihn aufwertet (eine starke Aufwertung des Parks wäre aber dringend notwendig!). Neben der unproportionierten Größe des Gebäudes und der starken Überbauung des Areals ist die Geste des Entwurfs sehr brachial und erscheint mir nicht adäquat für das Bahnhofsviertel. Eine Verbindung von neuem Busbahnhof und dem Rest des Gebäudes ist für mich nicht zwingend, die Entfernungen sind sehr gering, eine Überbauung auf Kosten eines überschaubaren Nutzens überzeugt mich nicht. 

Das Projekt stolpert förmlich in den Park hinein. Der hintere Teil (Busbahnhof) ist überhaupt nicht entworfen worden, sondern einfach nur Kubatur, nach vorne soll ein begehbares, grünes Dach über eine Rampe entlang einer ganzen Gebäudeseite erschlossen werden. Neben diesem entwurflichen Fauxpas wird kein Mensch diese Rampe nutzen, es ist zu umständlich da hoch zu kommen. Elemente wie begehbare und erlebbare Dächer müssen ein integrierter Bestandteil des Entwurfs sein, etwa wie bei der Oper in Oslo – alles andere ist Wunschdenken.
Das Projekt von Oberrauch sieht für mich wie ein Patchwork-Entwurf aus, hinter dem kein geschulter Architekt stehen kann. Es stellt sich tatsächlich die Frage, wer nun diese “professionellen” Planer sind? Und noch eines irritiert mich sehr: Wenn man schon weiß, dass es einen so lächerlichen Zeitraum von 30 Tagen für die Planung gibt, warum versucht man dann trotzdem so ein heikles und vor allem sehr großes Projekt alleine auf die Beine zu stellen? Das kann ja nur schief gehen, mal ehrlich, kein professioneller Planer lässt sich bei dem Zeitplan auf so ein Projekt ein… Außer er hat eine regelrechte Armada von geschulten MitarbeiterInnen hinter sich, was wiederum zur Folge hat, dass die Projektierung überdimensional viel Geld kostet (wer zahlt das am Ende?) oder die Armada besteht aus extrem unterbezahlten Leuten, was einerseits die Qualität des Projektes stark beeinflussen würde und andererseits auch nicht gerade moralisch vertretbar ist.

Anstatt dass die Bozner Kaufleute sich offen auf ein Gespräch mit Benko treffen und sondieren würden, wie man vielleicht GEMEINSAM an diesem Projekt arbeiten kann und dabei das Benko-Projekt einfach besser macht, kocht hier schön jeder sein eigenes Süppchen… DAS ist provinziell! 

Benötigt Bozen und Südtirol überhaupt ein Shopping-Center? 

Lorenz Brugger: Das gemeinsame Problem von Benko UND Oberrauch ist, dass beide Projekte auf gezielte Art und Weise die Bevölkerung täuschen. Ob es nun ein Erlebnishaus (was das konkret sein soll, erschließt sich mir nicht ganz, es geht wohl darum Produkte aus Südtirol anzupreisen – OK, ein regionales Einkaufszentrum also – somit im Prinzip dasselbe, nur unter anderem Namen) mit Kongresszentrum wird oder ein Einkaufszentrum mit Hotel und Wohnungen: Beides sind Kommerztempel, die darauf abzielen, den Konsum zu steigern und die das Einkaufsverhalten der Bevölkerung stark beeinflussen. Hier in Stuttgart kann man ein Liedchen davon singen, es gibt sie hier en masse. Und keiner findet diese Gebäude wirklich gut, denn sie spiegeln die Wirtschaftsinteressen einiger Kaufleute wieder, vernichten aber ganz gezielt öffentlichen Raum. Sie tragen zur Gleichschaltung des Kaufverhaltens bei und zerstören den kleinteiligen, ausdifferenzierten Einzelhandel. Das ist keine Meinung von mir, das ist Fakt und lässt sich in allen großen europäischen Städten beobachten. Was daran gut sein soll, erschliesst sich mir nicht. Ich bin grundsätzlich eher skeptisch gegenüber solchen Einkaufszentren in Innenstädten.

Um aber tatsächlich sagen zu können, ob ein derartiges Projekt an der Stelle in Bozen oder auch an anderer Stelle geeignet wäre, müssten fundierte Analysen erstellt werden: Städtebauliche Analysen, Verkehrsanalysen, Nutzungserhebungen, Stärken-Schwächen-Analysen, Befragungen der Bevölkerung usw. Denn nur so kann man auch darüber entscheiden, welche Nutzungen tatsächlich Sinn machen, welche Nutzungen gebraucht werden usw. Ich bezweifle, dass dies wirklich ernsthaft geschehen ist… Alleine weil Kongresszentrum, Hotel, Wohnungen drei sehr unterschiedliche Arten von Nutzung sind, die eine starke Berechtigung in der Stadt brauchen. Es sieht für mich eher so aus, als wären das Wunschnutzungen bzw. Nutzungen, die Geld garantieren, aber nicht zwangsläufig einen Mehrwert für die Stadt und die Bevölkerung darstellen. Wohnungen kann man als z. B. als Spekulationsobjekte ständig weiter verkaufen, ohne sie wirklich zu nutzen… – das heißt Leerstand, der Geld einbringt. Eine völlig irrsinnige Art und Weise Geld zu machen. 

Resümierend also…?

Lorenz Brugger: Was Benko erreichen will, ist klar: Er will mit dem Projekt Geld verdienen, von daher wird er auch Nutzungen erzwingen wollen, die finanziell lohnenswert sind. Es ist das Naturell von Investoren, sich eher weniger um soziale Verträglichkeit zu kümmern, als vielmehr darum, sein Kapital zu vergrößern. Jedoch zeigt alleine die Beauftragung von Chipperfield als Architekt, dass hier an eine Qualität gedacht wird, die über das rein Kapitalistische hinaus geht.
Bei Oberrauch wird im Gegenzug nur mir Slogans und Schlagwörtern argumentiert, daneben wird ein Schnellentwurf vorgestellt, der bei genauer Betrachtung an allen Ecken und Kanten ordentlich drücken wird, es ist, wie man so schön sagt, viel Lärm und Luft um Nichts.

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