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October 26, 2012

Reiseverführung: Auf nach Venedig

Christine Kofler

Eigentlich mag ich Reiseführer nicht. Damit sind nicht die Menschen mit dem verzweifelten Schäferhund-Blick und dem erhobenem Fähnchen (okay, die auch) gemeint, sondern die Bücher. Ich will nicht von Ort zu Ort hetzen, um mir Dinge anzuschauen, nur deshalb, weil es mit dem Prädikat „Sehenswürdigkeit“ versehen wurde. Aber vor allem will ich nicht wissen, was ich verpasse. Ich gammle lieber am Vormittag in einer Bar herum, spreche mit alten Leuten und trinke dabei das landestypische Getränk. Dann brauche ich hinterher keinen Reiseführer, der mir aufzählt, welche unglaublichen Schöpfungen der Menschheit ich keine Zeit hatte, wahlweise einfach zu faul war aufzusuchen. In Paris habe ich die Mona Lisa, in Rom die Sixtinische Kapelle und in Barcelona die Sagrada Famila nicht gesehen.

Nur Venedig ist ein bisserl anders“

Doch Venedig ist anders. Selbst wenn man keine Sehenswürdigkeit sehen will – man kann gar nicht anders. Sie lauern in jeder Ecke, warten in verwinkelten Gassen, sie finden dich – egal wo Du dich versteckst. Du willst ein Eis holen und stehst plötzlich vor der Basilica di San Marco, nimmst eine Abkürzung durch eine Kirche und stolperst über das Grab von Canova. Mit dem Satz „Alle Städte sind gleich, nur Venedig ist ein bisserl anders“ kündigt auch der Folio Verlag sein Buch „Auf nach Venedig“ an, das zu der Reihe „55 Reiseverführungen“ gehört. Die neue Buchreihe hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem Leser „Verborgenes. Skurilles. Kulinarisches“ von Orten in der unbekannten Nähe zu erzählen.

Streifzüge durch Zeit und Raum

Und tatsächlich löst „Auf nach Venedig“ sein Versprechen ein: Eloquent und sicher nimmt die Autorin Barbara Sternthal den Leser an die Hand und führt ihn durch ihr Venedig – zu den besten Frühstücksbars, einer alten Schuhwerkstatt, zum Lido und auf die Inseln der Lagune. Dabei unternimmt sie nicht nur Streifzüge von Castello nach Dorsoduro, von Cannaregio nach La Giudecca – sondern auch Spaziergänge durch die Zeit. Sternthal erzählt von romantischen Legenden versunkener Epochen und von den blühenden Zeiten der Repubblica Serenissima, von Henry James und Peggy Guggenheim und führt alle Fäden wieder kunstvoll zusammen. Auch die Schattenseiten Venedigs werden angesprochen: Die hohen Mieten, die sich die Venezianer nicht mehr leisten können, die gigantischen Kreuzfahrt- und Fährschiffe, die Venedigs Luft verpesten und die fragilen Fundamente der Stadt gefährden.

Niemand, der sich den Bewertungskriterien von Reiseführern unterwirft, kennt Venedig“

Sternthal scheut sich auch nicht davor, das Genre Reiseführer selbst in Frage zu stellen und schreibt: „Niemand, der sich den Bewertungskriterien von Reiseführern unterwirft, kennt Venedig“. Ganz meine Worte und doch bin ich froh, diesen – zugegebenermaßen eher ungewöhnlichen, weil essayistischen Reiseführer – nun mein eigen zu nennen. Ich weiß jetzt, wo es den besten Wein gibt (Al Mercà) und wie das Pasta Schlaraffenland Venedigs heißt (Casa del Parmigiano). Und selbst, wenn man die Lagunenstadt wieder verlassen muss, verschafft das Buch seinen Lesern mit den venezianischen Rezepten Trost: Dann wird, zuhause angekommen, einfach „Carpaccio di branzino ubriaco di Prosecco“ gekocht.

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