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March 15, 2012

Rainer Ganahl per Mail

Maximilian Lösch

Ich wollte mich mit Rainer Ganahl persönlich treffen, allein schon das Foto, auf dem er eine Kuhglocke mit einem Halsband aus Leder und dem Schriftzug: “I wanna be Alfred Jarry” trägt, hat mir sehr gut gefallen. Auch die Themen, die er in seinen Arbeiten behandelt sind sehr interessant, einerseits die Begegnung von Kunst und Ökologie, andererseits das Einbinden von künstlerischen Vorgehensweisen in wirtschaftliche Abläufe, und sicherlich noch viel mehr. Schlussendlich hat es nicht geklappt, dennoch haben wir, dem 21. Jahrhundert entsprechend, ein Gespräch per E-Mail geführt. Was nun daraus entstanden ist, hier:

Alfred Jarry’s Kuh beschäftigt sich mit der Berechnung der Oberfläche Gottes, wie lange braucht es nun mit Ihrem Fahrrad einmal die Runde zu fahren?

Rainer Ganahl: Keine Ahnung, denn Gott ist jenseits meiner mir zugänglichen Vermessungsrepräsentationen. Er ist auch auf Google-Maps oder Google-Astronomie nicht lokalisierbar. Man findet ihn aber oft in der Rubrik Politik, wo er insbesondere in diesen Tagen wegen gewisser Buchzerstörungen für Aufregung sorgt. Auch im gerade stattfindenden US-Wahlkampf hat Gott entscheidende Mitsprache beziehungsweise Leute, die, mit Gott auf den Fahnen, sich für Kandidaten einsetzen, deren Politik aber wie schon unter George W. Bush – ebenfalls ein selbsternannter crusader, deutscher Kreuzritter – sicherlich wieder zu Schaden kommen werden. Nun, sollten all jene, die derzeit viel Sprit verbrauchende Vehikel fahren, auf Fahrräder umsteigen, wäre all jenen Dingen, Wesen und Oberflächen gedient (sie würden vielleicht sogar berechenbar) für die Gott, der Legende nach, das Copyright haben sollte. Alfred Jarry hat Gott im König UBU als eine wesentliche Figur des 20igsten Jahrhunderts skizziert und das schon mehrere Dekaden vor dem Beginn jenes mörderischen Jahrhunderts. Gott bei ihm findet in der Passion Christi als Bergradrennen einen wunderschönen, dem Zeitalter der Erfindung des Fahrrads angemessen Leidensweg, den er nach seinem fatalen Umfall in der Luft fortsetzt.

Kunst und Ökologie – möchten Sie eine “wachrüttelnde” Botschaft in Ihrer Arbeit vermitteln, ist dies für Sie ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit als Künstler?

Nun, das Fahrradmanifest ist ökologisch in der Stoßrichtung, aber de facto geht es um die faire und humane Nutzung des Stadtraums, der derzeit vorwiegend den Straßenverkehr privilegiert. Es geht mir dabei nicht um Kunst, sondern um eine veränderte Umwelt, die nicht nur ökologischer ist, sondern für mich als Mensch und Stadtbewohner angenehmer sein wird. Ich verwende hier nur meine Rolle als Künstler, auf Dinge mit relativ wenig Aufwand aufmerksam zu machen, die ansonsten große Anstrengung und politische Arbeit verlangen. Ich schätze Leute sehr, die die üblichen politischen Prozeduren auf sich nehmen, um sich für eine Sache etwas Gehör zu verschaffen. Ich bin froh, dass es Momente gibt, wie etwa hier in Bozen in diesen Tagen oder in Wien im Mai, wo ich die gewisse mir geliehene kurze Aufmerksamkeit als Künstler auch für solche Belange nützen kann. Ich mach das aber vor allem als Bürger, als Fahrradfahrer, als Stadtmensch, als jemand, der an die Beinflussbarkeit politischer Prozesse glaubt und Stadtraumnutzung als verhandelbar und umstritten und nicht einfach als gegeben ansieht. Die Kunst ist hier nur eine flexible Plattform, die mir für die paar Minuten dazu nützlich ist. Wenn das Rampenlicht so schnell wieder weiterzieht, wie es kommt, darf ich wieder wie ein Schlafwandler transartig den Dreck der Autos einatmen, mich aggressiv knapp anfahren lassen und nur kopfschüttelnd die Zeitungen lesen. Dank des Internets können wir nun auch alle zurückschreiben und unseren Anliegen mit anderen Besorgten, ob Künstler oder nicht, zusammentragen und unter uns und für uns veröffentlichen, diskutieren und kritisieren. Es gibt also eine Öffentlichkeit, die auch ohne Künstler wunderbar auskommt. Und das ist gut so und dadurch profitiert Kunst auch.

I wanna be… der Wunsch etwas Anderes zu sein… ein Grundbedürfnis des Menschen?

I wanna be ist nicht so sehr der Wunsch etwas anderes zu sein, sondern auf etwas anderes hinzuweisen. Weder beneide ich Alfred Jarry, der sich mit 34 Jahren zu Tode gesoffen und gekifft, hat noch möchte ich wirklich ein Chinese sein, wenn ich auch deren im Westen völlig verkannten und mit Arroganz und Ignoranz begegneten Leistungen sehr bewundere. Ich habe weder Lust auf die chinesischen repressiven staatlichen Institutionen, noch auf deren willkürliche Korruption und die damit zusammenhängenden Aggressionen. Auch ist die chinesische Modernisierungspraxis nur schwer verdaulich und die damit zusammenhängende Luftverschmutzung ebenfalls nichts für mich. Dennoch aber kann man von den Chinesen genauso viel Lernen wie von Alfred Jarry und darum geht es mir. Alfred Jarry antwortet auf die Frage nach den Grenzen menschlicher Leistungsfähigkeit mit leistungssteigernden Drogen (Perpetual Motoin Food).

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