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July 15, 2011

1. To usher.Conflict.

Aldo Ricci

Döner. Ein interkulturelles Stück. In drei Überschriften. TEIL 1/3

„Wenn wir unsere Übertreibungskunst nicht hätten,

wären wir zu einem entsetzlich langweiligen Leben verurteilt. Um etwas begreiflich zu machen, müssen wir übertreiben. Nur die Übertreibung macht anschaulich. Auch die Gefahr, dass wir zum Narren erklärt werden, stört uns nicht mehr.“

– Thomas Bernhard.

Figuren:

MANN. – Bauer, liberal.
MANN 1. – Bauer, konservativ.
MANN 2. – Bauer, konservativ.
MANN 3. – Idem.
FRAU. – Zugezogen.
REFERENTIN. – Links, permanent auf der Bühne präsent.
WIRT. – Ein Deserteur.
GLAMOUR POLITIKER. – Ein Populist.
DÖNER MANN. – Ein Fremder.
MANN AUS DEM PUBLIKUM. – Querschläger.
REGISSEUR. – Retter in der Not.

Spielzeit: Gegenwart.

Dieses Stück soll entfremden.
Jedem den Seinen, einem jeden sich selbst.
Vielleicht ein bisschen verstören.
Es soll modern inszeniert sein, um Kontrast zwischen Inhalt und Erzählart herzustellen.
Regieanweisungen sind relativ.

Ergänzung:
Gewisse Textpassagen sind bewusst auf Dialekt geschrieben, da sie im Hochdeutschen drastisch an Charakter und Ausdrucksstärke verlieren.

Szene 1.

REFERENTIN.
Ein Vortrag.
Liebe Mitfrauen, vereinzelte Männer. (Habt euch wohl hier her verirrt.) Naja, kann passieren. Wir verhalten uns dicht homogen zu eurem despotistischen Verhalten uns gegenbüber seit Beginn der Ausdehnung. Das widerspräche dem emanzipatorischen Konzept.
Ich bin stolz – wiederhole – Mitfrauen und Männer, ich bin stolz, dass ich in einer emanzipierten Gesellschaft leben darf. Emanzipiert. Haben uns gelöst von den hegemonialen, paternalistischen Strukturen. Sind nun frei, leben in einer Gesellschaft, in der niemand fremd ist, niemand anders. Toleranz, Gleichheit, Freiheit, in alle Richtungen.
Franz. Rev. + 230 geglückt.
Jetzt mal ganz am Rande. Haben Sie von der Frau gehört, die mit der Berliner Mauer? Ist in sie verliebt. Objektsexual. So nennt sich das. Harmlos, sagt der Sexualwissenschaftler. Das ist doch diskriminierend! Weg mit diesen Mauern in unseren Köpfen. Liebe kennt keine Grenzen. Sprecht mir nach: (man spricht ihr nach) Liebe kennt keine Grenzen. Toleranz kennt auch keine Grenzen. Anders gibt es nicht mehr, wir sind alle gleich.
Es ist mir ein äußerst wichtiges Anliegen, auf das Planspiel der Süd- und Nordtiroler Migrationsexperten hinzuweisen, das im Rahmen des Projektes MigrAlp entstanden ist: Space Migrants 2512.

Ein Handy klingelt.

MANN.
in sein Telefon. Durch Mikrofon hervorgehoben. Vortrag weiter.
Jo, bin i, woll. Jojo, jetz glei? Ban Heilign Andr? Woll. Sel woll. Souwiso. Kimmi schun. Fix. An Weißn? Ollm! Fix. Bin lei no grot do ban Vortog von dr Jungen Emanzipatorischen Bewegung Gegen Reaktionärkonservativstes, Bäuerliches Verhalten. Obr kimi schun. Sofort. Fix. Jo.

Vortragstext parallel zum Telefonat.

Dieses Projekt soll junge deutsche und italienische Südtiroler ab 15 Jahren spielerisch auf die Theman Antidiskriminierung und Vielfalt hinführen. Ich bitte gerade Sie, meine Damen und Herren, ihren Kindern die Teilnahme an solchen Sensibilisierungsprojekten nicht zu verweigern. Sie tragen als Eltern eine größere Verantwortung für die soziokulturelle Prägung, als Sie denken. Kinder streng konservativer Familien neigen statistisch gesehen zu einem weitläufig verschlössenerem Geist anderen Kulturen gegenüber –

Mann unterbricht durch heftige Handbewegungen den Vortrag, in schönstem Deutsch in Richtung Referentin.

MANN.
Entschuldigen Sie, Gnädigste. Ich bitte, mich zwecks wichtiger heimatkultureller Tätigkeit entschuldigen zu dürfen. Sie wissen ja, ich bin Vorstand in einem Verein.

REFERENTIN.
Müssen Sie dafür den ganzen Vortrag unterbrechen?

MANN.
Ja – äh, nein! Ich wollte nicht den Eindruck eines status quo Bauern machen, der diesen höchstinteressanten Vortrag unentschuldigt verlässt.

REFERENTIN.
Na dann gehen Sie jetzt doch einfach, Liebster. Huschhusch. Bussi.

MANN.
Bussi.

Der Mann geht.

Szene 2

Im Wirtshaus Zum Heiligen Andr. Womöglich projiziert.

MANN.
Mir an Weißn. A schnells Glasl geat ollm.
Pause
Und, tuats?

MANN 2.
Woll.

MANN 3.
Wollwoll.

MANN 1.
Hel tuat genua.

MANN 2.
Hem fahlt dr nicht.

Pause

MANN 3.
Wos worn schun wieder so wichtigs zu tian?

MANN.
Ach.

MANN 1.
Worsch wiedr bei de gscheidn Weibr, ha?

MANN 2.
Ouje.

MANN.
Jo oaner muas es jo tian. Dass die Hoferzeit vorbei isch, oppes eppor mitgekriag, odr? Man konn sich nimmr so barrikadiern. Man muas a lernen mit de umzugian, de mir do im Lond hobn.

MANN 1.
A so bisch du schun unterwegs.

MANN 2.
Kersch du jetz schun zu de Multikultis, ha?

MANN.
Südtirol isch holt a Lond wo die Leit zomklotschn. Verbessert sich. Die Kulturen. Mit die Walschn geats jetz jo a.

MANN 1. Mehr oder wianigor

Pause

Die Walschn.

MANN 3.
Jojo, du mit dein Gegschaftle ollm.

Pause

MANN 1.
Wos omsen gsog?

MANN.
Ach, irgendepps von Space Migrants 5…5000, odr so.

Gelächter

MANN 2.
Space wos?

MANN.
Migranten. Migranten.
Zum Wirt
Gea gibmr no an Weißn. Sunsch heb i de zwoa do net.

MANN 1.
Die Auslendr moansch?

MANN 2.
Die Marocchini und die Zigeinor?

MANN.
seufzend. Genau die hem, die Space Marocchini und Zigeinor.

REFERENTIN.
Vielleicht Angst.
Wahrscheinlich Angst.
Womöglich wohnt sie in uns,
tief drin. Im tiroler Urgestein.
Dort kommt sie zum
Vorschein, wo die
Kruste der Manier
abgekratzt ist,
dort wo das Ostalpine
abgetragen und
das Penninikum zum
Vorschein Tritt.
Ein Tauernfenster
der Angst!

MANN 1.
Obr normal sein de net. Net?

MANN 2.
Net, na.

MANN 1.
De lernen jo net, wia man sich zu benemmen hot. Übroll schrein sie ummr. Ollm olle auf oan haufn. Und de Tiachr olm aufn Grint. De werden des schun net lernen, wos ordntlich isch. Nana, obr bei ins do wern sie schun no segn, wo sie hinkemm mit ihre Sittn do.

MANN 2.
Jojo. Nana, hem hosch schun recht.

MANN 3.
In de tat i schun zoagn, wos long geat.

REFERENTIN.
Ethnozentrismus.
Ethnozentrismus ist die Beurteilung anderer Völker und Kulturen vom Standpunkt der eigenen Kultur und der mit ihr verbundenen Wertmaßstäbe. Ethnozentrismus ist der „normale“ Standpunkt des Alltagsmenschen, andere Kulturen werden als Abweichungen klassifiziert.
Das Bestreben, die Eigenschaften der eigenen Volksgruppe höher zu bewerten als die der anderen.

MANN.
tritt aus dem Wirtshaus heraus.
Jaja, ich weiß schon, Sie urteilen jetzt schon hinter vorgehaltener Hand, flüstern, weil sie liberal sind und weltoffen, sind empört, weil Sie sich nicht mit diesen hinterwäldlerischen Bauern gleichsetzen, die wir sind. Sie haben nichts gegen Ausländer, kaufen ihre Pistazien am Obstmarkt extra beim Pakistaner, weil Sie auch den anderen eine Chance geben wollen. Die Kastanien kaufen Sie auch bei denen, nicht weil sie dort die Hälfte kosten, nein, weil Sie diesen Leuten helfen wollen, ihnen zeigen wollen, dass es für Sie kein Problem ist, wenn die ein Teil von uns sind. Das geht vielleicht bei ihnen, in der Stadt. Jaja, wo niemand den anderen kennt, wir alle nichts wissen, über den anderen. Wenn ich da jetzt reingehe und sage, dass ich auch kein Problem habe, mit den Braunen und Schwarzen und den Gelben, na dann werden Sie sehen, das sag ich ihnen. Dann ist basta mit der Wattrunde am Sonntag, anzi, mit dem ganzen Stammtisch ist dann basta. Bei den Schützen brauch ich dann nicht mehr aufzutauchen, dann bin ich der Ausländer unter den Doigen. Vereinshaus adieu.

MANN 3.
Mein Bua hot jetz an Chines in der Klass.

MANN 1.
Na.

MANN 3.
Wol.

MANN 2.
Na.

MANN 3.
Koan Wort versteat der. Nix. Niente.

MANN 1.
Na.

MANN 3.
Wol.

MANN 2.
Und wia tian de jetz?

MANN 3.
Jo olle ondrn oibremsn auf null, net. Drant sich olls leimer um den oan Asiat. Net? Der versteat jo nix. Wos hotn der a in dr Schual zu suachn?

MANN 1.
Und de Fraun wos do oftramol sein, de wos in die Behinderten helfen? Wia hoasn de gschwint?

MANN 3.
Wort, mir follts schun ein.

MANN 1.
Hm…Na….

MANN 2.
Porco!

MANN.
ruft von draußen
Integrationslehrerinnen!

MANN 1.
Genau!

MANN 3.
Sel wors. Für die hel obmse logisch wiedr koan Geld. Haun sie jo ols ban Wohngeld ausi und bo dr Sozialhilfe.

MANN 2.
Na woll du.

MANN 3.
Frior wor sel schun ondrsch.

MANN 1.
Jo frior.

MANN 3.
Hem hobm de gessn, wos gorbeitet hobn und dr Rest eben net. Hem hots no koane sette Faxn gebn.

MANN 1.
Sozialhilfe.

MANN 3.
Denksch, mir hobm olm zu essn kop? Nana, hel woas schun i, wia oft i mit larn Mogn ins Bett gongen bin. Awia a Brotsupp und sel wors.

MANN 2.
Sozialhilfe.

MANN 3.
I sog dr holt oans, solong do dr Heilige Andr isch, wo i mein Weißn trink, so long geat mir do koan Chines und koan Negr und sunsch a koanr einr.

MANN 1.
Zum Wohl!

MANN 2.
Prosit.

MANN 3.
Gsund.

Sie stoßen an. Der Mann draußen gießt seinen Weißen auf den Boden und schüttelt den Kopf. Die Referentin umarmt ihn tröstend.

REFERENTIN.
Er heißt Toni, stammt aus dem Norden Chinas, aus Urumqi. Seit knapp zwei Monaten lebt er mit seiner Mutter in einer Sozialwohnung in der Einwandererstraße. Sie arbeitet neun Stunden am Tag, er hat kürzlich ein Skateboard bekommen, mit dem er durch die fremde Gegend rollt. Toni besucht die erste Klasse der lokalen Mittelschule. Skateboarder waren den Bürgern immer schon ein Dorn im Auge.

Szene 3

FRAU.
Schatz.

MANN.
Ja?

FRAU.
Weißt du…

MANN.
Was?

FRAU.
Naja.

MANN.
Was denn?

FRAU.
Ach, wie soll ich denn sagen.

MANN.
Sag es doch einfach. So schlimm wird’s schon nicht sein.

FRAU.
Du weißt ja, dass ich nicht so bin.

MANN.
Wie so?

FRAU.
Na du weißt ja, dass ich nichts gegen die habe.

MANN.
Gegen wen?

FRAU.
Na gegen die (überlegt) Andersfarbigen.

MANN.
seufzt.

FRAU.
Was denn?

MANN.
Schon wieder. Dreht sich denn eigentlich alles nur noch um Ausländer und Inländer, um Doige und Fremme? Kann man nicht mal wieder einfach nur übers Wetter reden oder über die Ernte. Müssen immer die großen Geschütze der Xenophobie ausgefahren werden, der Integration, Migrantenpolitik den ganzen Tag? Du hättest heute beim Ander sein sollen, wie es da wieder zuging –

FRAU.
Andreas ist heute mit einem blauen Auge nach Hause gekommen.

MANN.
Was? Nein!

FRAU.
Doch.

MANN.
Was ist denn passiert?

FRAU.
Na darauf wollte ich ja hinaus. Aber du musstest ja gleich anfangen zu polemisieren.

MANN.
Jetzt sag halt, was ist passiert?

FRAU.
Na er war ja in der Stadt. In dieses neue Riesengeschäft wollte er unbedingt, einen neuen Mp3 Player kaufen. Er hat ja noch den Gutschein von Ostern. Was soll ich denn machen? Ich kann ihn ja nicht zu Hause einsperren? Ich kann ihn doch nicht immer im Auge behalten?

MANN.
Ja was war denn dann?

FRAU.
Am Bahnhof haben ihn zwei migrantische Jugendliche um Geld gefragt für Zigaretten. Die waren doch älter als er.

MANN.
Und dann?

FRAU.
Er sagt, er sei einfach weitergegangen. Dann haben sie ihn festgehalten. Wieso er nicht mit ihnen reden wolle, haben sie gefragt. Ob er etwas gegen sie habe? Gegen Ausländer.

MANN.
Was hat er geantwortet?

FRAU.
Nichts.

MANN.
Nichts?

FRAU.
Nichts, dass er nichts gegen sie hat. Natürlich. Selbst wenn es anders wäre, hätte er logisch nichts gesagt.

MANN.
Und dann?

FRAU.
Sie haben gesagt, dann solle er ihnen das Geld geben. Es sei nur geliehen, er würde es dann zurückbekommen.

MANN.
Und er?

FRAU.
Er hat gesagt dass es sein Geld sei, mit dem er sich den Mp3 Player kaufen wolle. Dann haben die angefangen zu schubsen.

MANN.
Und er hat zurückgeschubst? –

FRAU.
vorgezogen
Das weiß ich doch nicht! Ich weiß nur, dass er jetzt ein blaues Auge hat und keinen Mp3 Player.

REFERENTIN.
Behauptung: Ausländer sind kriminell. Kriminelle Eigenschaften sind nicht genetisch bedingt, sondern es sind meist die Umstände, die Menschen zu kriminellen Handlungen zwingen. Die selektive und nicht immer korrekte Informationspolitik der Medien trägt einen wesentlichen Teil zu einem verzerrten Bild der Ausländerkriminalität in der Gesellschaft –

MANN.
schreit
Jetzt sei doch mal still. Das ist mein Sohn, der hier gerade verprügelt wurde, da hört es aber auf. Oder? Da helfen tolle Sprüche und kulturelles Blabla auch nicht. Das Auge ist blau und basta.

FRAU.
Ach Schatz.

MANN.
Als ob der Vortrag heute nicht schon gereicht hätte… Wo ist er denn jetzt?

FRAU.
Im Zimmer.

MANN.
Ich geh zu ihm!

FRAU.
Jetzt?

MANN.
Ja.

FRAU.
Ach lass doch, der schläft. Hast dir ja auch wieder Zeit gelassen mit deine Mander. Wie viele Weiße waren es denn heute?

MANN.
Ach, einen trinkt man halt mit, das muss man ja. Danach hab ich es eh gelassen.

FRAU.
Lüg nicht.

MANN.
Zwei.

FRAU.
Ecco.

MANN.
Jaja.

FRAU.
Na dann geh jetzt auch schlafen. Morgen wird‘s sicher nicht leicht. Wer weiß, ob uns der Andreas so in die Schule geht. Gute Nacht.

Frau drückt Mann einen Kuss auf die Stirn. Er legt sich ins Bett, sie bleibt wach.

 

Szene 4.

Albtraum. Musik. Migranten rennen herein und zerren am Bett. Der Mann wacht nicht auf. Sie verschieben es, rollen den Mann darauf hin und her, schreien etc. Der Glamour-Politiker tritt auf, legt sich zum Mann ins Bett. Wenn er spricht, singen die Migranten leise in Lied.

POLITIKER.
durch ein Mikrofon.
Ich bin es, Fisch, ich bin es, dein Fisch! Die Lösung ist da, die Rettung bin ich. Lei Südtirol Partei. Ein lokaler Erlöser praktisch, ein Alpenmoses, der euch hinausführen wird aus der Plage, euch von ihr befreien wird. Fisch! Lei Südtirol Partei. Die Alpenrose, merk dir die Alpenrose, mein Liebster, merk dir den Alpenmose. Fisch. Den Namen wird man lieben. Fisch! Lei Südtirol Partei. Das ganze Geschwätz über Freiheit und Union, Fisch, wird das neue Thema sein, in aller Munde, in allen Ohren nur Fisch. Lei Südtirol Partei.

Mann wacht schreiend auf. Alle rennen weg. Seine Frau beruhigt ihn.

VARIABLE ROLLE.
2009. 39,5 % der Südtiroler macht sich wegen der zu hohen Einwanderungszahl Sorgen.
Laut Wahrnehmung von mehr als 2 von 3 südtiroler Jugendlichen über 14 Jahren halten sich zu viele Einwanderer in unserem Land auf.

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